Noch in der Nacht zum Mittwoch forderte der US-Botschafter in Berlin, deutsche Unternehmen sollte ihre Geschäfte im Iran „sofort runterfahren“. Darüber schmunzeln die deutschen Unternehmer auf der Messe für Öl, Gas und Petrochemie in Teheran. Beim Mittelständler Samson ist die Stimmung gut bis trotzig. „Wir machen weiter“, sagt Verkaufsleiter Matthias Rüdiger. Gestern Nacht schaute er mit seinen iranischen Kollegen die Trump-Rede im Fernsehen. Er vergleicht die Stimmung mit einem Champions-League-Spiel, bei dem die gegnerische Mannschaft mit einem Tor in Führung ging. Schade, aber kein Weltuntergang. „So lange die deutsche Regierung uns lässt, bleiben wir hier“.
Der Mittelständler ist seit über 40 Jahren im Iran aktiv, und Rüdiger selbst kennt das Land seit zehn Jahren. Für große Unternehmen mag es jetzt schwieriger werden, doch die Mittelständler bleiben – so lange man sie lässt. Viele von ihnen machten in den vergangenen Jahren gute Geschäfte im Iran – ohne dabei viel Risiko einzugehen.
Denn was Direktinvestitionen betrifft, waren die Deutschen zurückhaltend. Es gibt kaum eine deutsche Produktion im Iran. Das liegt vor allem an den Finanzierungsproblemen. Zwar wurden mit Obamas Atomdeal viele der Sanktionen gegen Teheran wieder aufgehoben. US-amerikanische Anti-Terror-Sanktionen aber blieben weiter in Kraft. Das hatte zur Folge, dass keine deutsche Bank mit US-Geschäft Investitionen im Iran finanzieren wollte. Deutsche Mittelständler mussten sich auf Sparkassen und kleinere Banken verlassen, die aber große Investitionen nicht stemmen konnten. Und so lange kein Automobil-Hersteller oder Großkonzern mit einem Werk vor Ort ist, macht es für kaum einen Mittelständler Sinn, eine Produktion im Land zu eröffnen.
Warum das Iran-Abkommen so wichtig für Deutschland ist
13 Jahre wurde über das Atomabkommen mit dem Iran verhandelt. Mit am Tisch saßen nicht nur die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats - USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich - sondern auch Deutschland. Der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der den Kompromiss 2015 als Außenminister mit aushandelte, sprach damals von einem „historischen Erfolg der Diplomatie“. Es war nicht nur für ihn persönlich der größte Erfolg seiner Amtszeit, sondern auch einer der größten diplomatischen Erfolge, an dem Deutschland seit der Wiedervereinigung 1990 mitgewirkt hat.
Deswegen legt sich die Bundesregierung jetzt auch so ins Zeug, um das Abkommen zu retten. Bisher aber ohne zählbaren Erfolg. In Berlin wartet man einigermaßen machtlos darauf, was Trump verkündet.
Die deutsche Wirtschaft hatte große Hoffnungen in das Atomabkommen und die daraus folgende Aussetzung der Sanktionen im Januar 2016 gesetzt. Innerhalb von zwei Jahren erwartete der deutsche Industrie- und Handelskammertag eine Verdoppelung des Handelsvolumens von 2,4 Milliarden Euro (2015) auf fünf Milliarden. Innerhalb von fünf Jahren seien sogar zehn Milliarden Euro möglich, so die Ursprungsprognose.
Die tatsächliche Entwicklung ist zwar weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Tendenz nach oben ist dennoch deutlich erkennbar: Seit Anfang 2016 hat der deutsch-iranische Handel um 42 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro zugelegt.
Die Drohungen Trumps mit einem Ende des Atomabkommens haben aber bereits jetzt negative Auswirkungen. „Diese Risiken gefährden die wieder verbesserten Wirtschaftsbeziehungen deutscher Unternehmen mit dem Iran erheblich“, sagt DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. „Sollte das Atomabkommen scheitern, würde dies nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen treffen, sondern auch das Vertrauen in internationale Vereinbarungen.“
Sollte das Atomabkommen mit dem Iran scheitern, könnte das eine Kettenreaktion der atomaren Aufrüstung auslösen, die auch Europa bedrohen würde. Der Iran könnte dann sein Atomprogramm wieder in Gang setzen und damit auch Saudi-Arabien - neben Israel der mächtigste Gegner des Iran im Nahen Osten - dazu animieren, nach der Bombe zu greifen. Israel hat sie mutmaßlich schon, auch wenn die Regierung das nicht offiziell zugeben würde.
Die nukleare Abschreckung erlebt ohnehin schon seit einigen Jahren eine Renaissance. Alle Atommächte investieren in die Modernisierung ihrer Waffen. Alleine die Ausgaben der USA dafür werden für die nächsten zehn Jahre auf 400 Milliarden US-Dollar (336 Milliarden Euro) geschätzt. Auch in Deutschland sind nach Expertenschätzungen noch etwa 20 Atombomben stationiert, die auf dem Fliegerhorst Büchel in der Vulkaneifel lagern sollen.
Die Iran-Vereinbarung ist übrigens nicht das einzige Atomabkommen, das wackelt. Die USA und Russland werfen sich gegenseitig vor, gegen das Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen zu verstoßen, das im Dezember 30 Jahre alt wurde. Es galt als Startsignal für die nukleare Abrüstung. Platzt es, wäre es ein maasiver Rückschlag für die Bemühungen um eine Reduzierung der Atomwaffen in Europa.
Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen begnügte sich deswegen damit, vor Ort eine kleine Niederlassung in Form eines Vertriebsbüros zu gründen. Auch wenn Teheran sich gerne größere Investitionen gewünscht hätte, waren beide Seiten damit gut bedient. Die Deutschen verkaufen in den Iran hauptsächlich Kapitalgüter, also Waren, die die Produktivität steigern und damit der iranischen Wirtschaft auf die Beine helfen. Das Geschäft lieft gut in den vergangenen beiden Jahren - mit teils zweistelligen Wachstumsraten. Seit dem Ende der Sanktionen wuchs der deutsch-iranische Handel um 42 Prozent, allein im vergangenen Jahr nahmen die deutschen Maschinenexporte um 21 Prozent auf 901 Millionen Euro zu. Diese schlanken Investitionen sind auch in einer derart unsicheren politischen Gemengelage von Vorteil.
Unternehmer brauchen eine europäische Iran-Politik
Anders Frankreich: Mit PSA und Renault haben gleich zwei französische Autobauer größere Produktionen im Land. „Die große Sorge war, dass Macron umkippt“, sagt ein deutscher Unternehmensberater. Eine gemeinsame europäische Linie sei wichtig. Er möchte anonym bleiben, da er auch in Dubai gerade eine Firma gründet. Er glaubt, würde man in Dubai mitbekommen, dass er auch im Iran tätig ist, könne er sein Geschäft dicht machen. Auch das ist Folge der immer stärkeren Blockbildung im Nahen Osten. Auf der einen Seite stehen die erbitterten Iran-Gegner Israel, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Falken in den USA. Dem gegenüber steht eine losere Allianz aus dem Iran mit seinen Stellvertretern im Jemen und der Hisbollah, der Assad-Regierung und Russland. Beide Blöcke liefern sich einen heißen Krieg in Syrien und im Jemen.
Schlagartig ändern könnte sich die Lage, wenn sich dieser Krieg sich in den Iran verlagert - zum Beispiel im Fall eines Bombenangriffs Israels und der USA auf die iranischen Atomreaktoren. Angesichts Rohanis Antwort, die Urananreicherung wieder aufzunehmen, trägt Teheran momentan genauso zur Eskalierung der Lage bei wie die USA. Rohani ist zudem unter starken Druck im eigenen Land. Die Öffnungspolitik ist bisher nicht in dem Maße wie erhofft bei der iranischen Bevölkerung angekommen. Die Inflation zieht wieder an, die Arbeitslosigkeit ist mit zwölf Prozent zu hoch für ein Land mit einer sehr jungen Bevölkerung. Die Wirtschaft wuchs 2017 nur mit enttäuschenden 3,5 Prozent. In der Folge steigt die Unzufriedenheit. Das kommt den iranischen Ultrakonservativen zu Gute, die während der Sanktionszeit von der Schattenwirtschaft profitierten. Wie fragil die innenpolitische Lage ist, zeigten die Proteste vom Januar dieses Jahres, als wegen einer Brotpreiserhöhung plötzlich Aufstände im ganzen Land ausbrachen.
Kritischer als die Mittelständler auf der Messe in Teheran sehen die Verbände der deutschen Industrie die Lage. „Die Unternehmen treibt die Sorge um, durch ihren Handel mit Iran das US-Geschäft zu verlieren“, teilte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit.
Die Druckmittel des Irans bei einem Ende des Atomabkommens
Nach den Erfolgen der sunnitischen Extremistenmiliz IS half der schiitische Iran bei der Ausbildung und Bewaffnung Tausender Milizionäre in dem Nachbarland. Bei einem Scheitern des Abkommens könnte die Regierung diese Gruppen ermuntern, verbale und vielleicht auch militärische Angriffe gegen die im Irak verbliebenen US-Truppen zu starten. Um einen direkten Konflikt zu vermeiden, könnte der Iran bestreiten, daran beteiligt gewesen zu sein.
Iran und die mit ihm verbündete Hisbollah sind dort seit 2012 aktiv. Sie unterstützen Tausende Kämpfer, die aufseiten von Präsident Baschar al-Assad stehen. Bei einem Ende des Abkommens gäbe es für den Iran nur wenig Anreize, ihre Verbündeten von Attacken auf Israel abzuhalten. Auch die 2000 US-Soldaten im Norden und Osten Syriens könnten dann in Gefahr sein. Sie sollen kurdischen Milizen beim Kampf gegen den IS helfen.
Die mit dem Iran verbündete schiitische Hisbollah hat bei den Parlamentswahlen zusammen mit Verbündeten mehr als die Hälfte der Sitze gewonnen und damit ihren Einfluss ausgebaut. Iran könnte die Hisbollah zu einer härteren Gangart auffordern und damit den Libanon destabilisieren. Zudem könnte die Hisbollah dazu animiniert werden, Angriffe auf Israel zu starten. Nach israelischen und amerikanischen Angaben hat der Iran der Hisbollah beim Aufbau von Fabriken zur Herstellung von Raketen mit präziser Steuerung geholfen. Die Spannungen zwischen Iran und Israel könnten wie 2006 zu einem Krieg zwischen dem jüdischen Staat und der islamistischen Gruppe führen.
Iran hat stets eine militärische Beteiligung am Bürgerkrieg im Jemen bestritten. Die Regierungen der USA und Saudi-Arabiens gehen aber davon aus, dass die Regierung in Teheran die schiitischen Huthi-Rebellen mit Raketen und anderen Waffen beliefert. Bei einem Ende des Atomabkommens könnte der Iran seine Hilfen für die Huthis aufstocken und so eine militärische Reaktion von Saudi-Arabien und Verbündeten provozieren.
Der Iran verfügt auch über Optionen, die direkt mit dem Atomprogramm zusammenhängen. So haben Vertreter des Staates erklärt, man könnte sich eventuell aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückziehen. Zwar hat die Regierung in Teheran erklärt, nicht nach Atomwaffen zu streben. Aber der Rückzug aus dem Vertrag würde weltweit als alarmierendes Signal gewertet. Unabhängig davon könnte Iran stärker als bislang Uran anreichern. In dem Atomabkommen ist eine Obergrenze von 3,6 Prozent vorgesehen. Für Atombomben ist Uran mit einer Reinheit von 80 bis 90 Prozent nötig.
Denn selbst wenn sich die Europäer auf eine eigenständige Iran-Politik einigen können, wird das durch die US-Sanktionen torpediert. José Campos-Nave ist Geschäftsführender Partner bei der Wirtschaftskanzlei Rödl & Partner und zuständig für die Niederlassungen im Iran. Er geht davon aus, dass sich die Europäer auf eine eigenständige Politik einigen werden. „Kein europäisches Land hat momentan Interesse an der Wiederaufnahme der Sanktionen.“ Fraglich aber ist, wie effektiv ein separates Abkommen sein kann. „Die USA sind der wichtigste Handelspartner Deutschlands“, sagte Campos-Nave. „Wenn deutsche Unternehmen in den USA mit Sanktionen gedroht werden, dürften viele lieber auf ihr Iran-Geschäft verzichten.
Deutsche Mittelständler ohne US-Geschäft können also vorerst weitermachen wie bisher. Für alle anderen wird die Lage brenzliger. Der lachende Dritte wird ohnehin China sein. Seit Jahren baut Peking seine Präsenz im Iran aus. Das Handelsvolumen zwischen Iran und Peking liegt mittlerweile bei 18 Milliarden US-Dollar.




