Mladic-Prozess Kein Frieden ohne Aufarbeitung

Mit der lebenslangen Haft für den uneinsichtigen Armeechef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, setzt das UN-Kriegsverbrechertribunal ein glasklares Signal für den Balkan: Am Ende setzt sich internationales Recht durch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wien Der Jubel der „Mütter von Srebrenica“ über die Strafe für Ratko Mladic war riesig. Gemeinsam verfolgten die Angehörigen der Opfer in dem bosnischen Ort die Urteilsverkündung des UN-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag. Der einstige Armeechef der bosnischen Serben wurde dort wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslangem Gefängnis verurteilt.

„Ich wünsche aber, dass Gott ihn lange leben lässt, damit er seine Familienmitglieder verliert und sie überlebt, um zu spüren, wie es ist, wenn man alleine, ohne Familie leben muss. Nur das wünsche ich ihm“, sagte eine Hinterbliebene. Vor allem wegen des Völkermords von Srebrenica und der jahrelangen Belagerung Sarajevos wurde der serbische Militär verurteilt. In zehn von elf Anklagepunkten wurde er für schuldig gesprochen. Mladic zeigte unterdessen keine Reue. Der militante Nationalist sagte im Gerichtssaal: „Ihr seid alle Lügner.“ Seine Anwälte legen Revision ein.

Das Urteil ist eine große Genugtuung für die Opfer des Balkan-Krieges. In Srebrenica ließ Mladic während des Bosnien-Krieges 1995 insgesamt 8000 Muslime umbringen. Es war das größte Massaker seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Darüber hinaus organisierte Mladic persönlich die drei Jahre dauernde Belagerung von Sarajewo. Bei ihr wurden durch Granaten und Heckenschützen rund 11.000 Menschen ermordet.

Denis Zvizdic, Regierungschef von Bosnien-Herzegowina, versteht das Urteil in Den Haag als Warnung an Nationalisten, die auf Teilung und Konflikt setzen. Tatsächlich ist der Kunststaat in Südosteuropa ein fragiles Gebilde, in dem Bosniaken, Kroaten und Serben nur nebeneinander und nicht miteinander leben. Der extreme Nationalismus teilt das kleine Land an der Adria immer mehr. Insbesondere die bosnischen Serben streben seit Jahren nach Unabhängigkeit. Sie wollen – entgegen jeder internationalen Vereinbarung – sogar einen eigenen Staat gründen. Die bosnischen Serben sehen sich als permanentes Opfer. Den Schuldspruch von Den Haag erkennen sie nicht an.

Die internationale Gemeinschaft darf dem stillen Zerfall von Bosnien-Herzegowina nicht zusehen. Angesichts der vielen Herausforderungen in Europa genießt das bitterarme Land derzeit nur wenig Aufmerksamkeit. Doch die ethnischen Spannungen dort sind eine tickende Zeitbombe. Die selbsternannte „Republika Srpska" droht den Zerfall von Bosnien-Herzegowina zu beschleunigen. Europa muss sich sehr viel stärker engagieren, um die Aussöhnung und Verständigung im fragilen Bosnien-Herzegowina voranzutreiben. Ohne eine faire und rücksichtslose Aufarbeitung der leidvollen Geschichte wird es auf Dauer keinen Frieden geben. Noch immer lernen serbische Schüler in der „Republika Srpska“ nichts über grausige Morde der eigenen Landsleute.

Die in den Neunziger Jahren gegründete „Republika Srpska“ ist das mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnte Staatsgebiet mit Banja Luka als wirtschaftliches und politisches Zentrum. Das Gebiet strebt die Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina an.


Europas kriselndes Armenhaus

Für die Stabilität und den Frieden auf dem unruhigen Balkan ist von entscheidender Bedeutung, wie sich die serbische Regierung künftig verhält. Mit Serbiens neuem Präsidenten Aleksandar Vucic, der sich einst seine politische Sporen als Propagandaminister des serbischen Regierungschefs und Kriegsverbrechers Slobodan Milosevic verdiente, hält heute ein Geläuterter die Zügel in Belgrad fest in der Hand. Vucic bat die Bürger des untergegangenen Jugoslawiens, den Blick nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft zu richten.

Das ist durchaus eine mutige Äußerung des serbischen Präsidenten. Denn damit stellt sich der national-konservative Politiker gegen die einflussreichen Ultranationalisten auch im eigenen Land. In die Zukunft zu blicken, ist auch bitter nötig für die Nicht-EU-Länder in Südosteuropa.

Um nicht länger das Armenhaus Europas zu bleiben, müssen Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Albanien auf die europäische Karte setzen. Der Annäherungsprozess verläuft in jedem Land anders. Doch Belgrad strengt sich besonders an, baldmöglichst der EU beizutreten. Vucic hat für dieses Ziel schmerzvolle Reformen durchgeführt. Der serbische Präsident weiß: Die Beseitigung historischer Altlasten wie die Bestrafung der Kriegsverbrechen des „Schlächters von Srebrenica“ sind für eine Mitgliedschaft eine zwingende Voraussetzung. Doch das ist ein langer, steiniger Weg.

Der Urteilsspruch von Den Haag sendet an alle Extremisten in Osteuropa ein klares Signal. Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nicht vergessen. Mehr als zwei Jahrzehnte hat es bis zum Urteilsspruch gedauert. Doch nun steht fest: Verbrecher wie Mladic werden zur Rechenschaft gezogen. Internationales Recht wird ohne Rücksicht durchgesetzt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%