Monostädte Russlands sterbende Strukturen

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Der Oligarch Oleg Deripaska Quelle: AP

Jetzt gibt’s erst einmal Geld aus Moskau. Mit 2,3 Milliarden Euro will Putin die Monostädte durch die Krise schleppen. Vom Geldregen aus der föderalen Gießkanne profitieren aber nicht alle. Dafür ist die Zahl der Pleitestädte einfach zu gewaltig, die Probleme sind zu vielfältig.

In Pikaljowo, einer Stadt mit 60.000 Einwohnern nahe St. Petersburg, blockierten Arbeiter eines Zementwerks im vorigen Juni eine Fernstraße. Der Eigentümer, Oligarch Oleg Deripaska, hatte monatelang keine Löhne gezahlt. Als Putin ein paar Tage später herbeiflog, um den Industriellen zu rüffeln, waren die Zahlungen zwar schon erfolgt. Doch das eigentliche Problem blieb bestehen: Pikaljowo lebt nur von dem Deripaska-Werk.

Die Betriebe, in deren Nachbarschaft einst die Reißbrettstädte hochgezogen worden waren, stehen überwiegend vor dem Bankrott. Oligarchen kauften diese früheren Sowjet-Kombinate billig ein. Doch sie investierten keinen Rubel, um deren Effizienz und Produktivität zu erhöhen. Mit zu viel Personal an veralteten Anlagen fertigen die Kombinate Metallteile, Maschinen, Flachs oder Möbel – oft in miserabler Qualität und dennoch viel zu teuer. Im Boom fällt das nicht auf, in der Krise umso mehr.

Im 24. Stock der Lada-Zentrale in Togliatti sitzt Vizepräsident Eduard Wajno, ein netter kleiner Mann, der im Februar 2008 den Einstieg des französischen Autoherstellers Renault eingefädelt hat. Die Franzosen sollen Lada aus der Krise ziehen, indem sie das Billigmodell Logan produzieren. Wajno, ein feiner Herr mit baltischen Wurzeln, schlohweißem Haar und akkurat gestutztem Schnauzbart, erklärt, wie Lada aus seiner tiefen Krise kommen könnte: „Wir müssen Kosten senken und die Qualität erhöhen.“ Aha!

Pulverfass Togliatti

Vor der Krise hat AvtoVAZ rund 700.000 Autos pro Jahr verkauft. Im Januar wurden sie nicht einmal 20.000 davon los. Das Gros der Belegschaft befindet sich in Kurzarbeit und verdient nur noch die Hälfte. Trotzdem werden doppelt so viele Autos produziert und bei den Händlern zwangsweise geparkt. Alles nur, um die Arbeiter ruhig zu halten. Manche Arbeiter verdienen sich ein Zubrot beim Staat, indem sie in der Stadt Schnee schippen, die Aschenbecher in der Kantine leeren oder Anlagen abbauen.

Derzeit entlässt der Autoriese rund 20.000 Mitarbeiter, jeden fünften. Zuallererst ältere Jahrgänge, dann ein paar Tausend jüngere Arbeiter. In einem Dokument des Industrieministeriums, das der WirtschaftsWoche vorliegt, wird die „Soll-Zahl an Mitarbeitern“ bei AvtoVAZ auf 55.000 taxiert, jeder zweite soll also entlassen werden. Wajno bestreitet das und sagt: „Die Mitarbeiter müssen sich keine Sorgen machen.“ Doch was der nette Herr Wajno sagt, ist ziemlich egal. Die Politik wird in Moskau gemacht.

Dort sitzt Premier Putin und fürchtet Aufstände. So wie Ende Januar, als 10.000 Menschen in Kaliningrad gegen Putins kurzsichtige Wirtschaftspolitik demonstrierten – und seinen Rücktritt forderten. In Togliatti kam es im Oktober zu Protesten gegen den Stellenabbau. Damit das Pulverfass nicht explodiert, hat Putin dem Autokonzern rund 1,67 Milliarden Euro Staatshilfe überweisen lassen. Damit lassen sich zumindest kurzzeitig Gehälter und Abfindungen bezahlen.

An die eigentlichen Probleme, sagt Geografin Subarewitsch, traut sich niemand heran. Der Staat müsste jetzt in Bildung investieren, Gründern helfen, Kreditvergaben erleichtern und nicht zuletzt: „Wir haben eine gewaltige Menge miserabler Betriebe, von denen ein Teil insolvent gehen muss.“ Dann würden die Monostädte von allein aussterben – durch Migration und demografischen Wandel.

Trotzdem will Andrej Syrzow nicht weg aus Togliatti. „Hier sind die Mieten so günstig wie sonst nirgendwo in Russland“, sagt er. Er hat den sowjetischen Traum nicht vergessen. Respekt vor der Vergangenheit bedeutet, vor der Zukunft nicht zu resignieren.

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