
Es ist eine düstere Analyse, mit der Wolfgang Ischinger die 52. Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet. „Die internationale Ordnung ist im schlimmsten Zustand seit Ende des Kalten Krieges“, sagt der Konferenzchef am Freitagnachmittag im Münchner Luxushotel Bayerischer Hof vor mehreren hundert Teilnehmern.
Trotzdem hat der frühere deutsche Botschafter in Washington Grund, mit ein klein wenig Zuversicht in das dreitägige Treffen zu gehen. Denn im kompliziertesten aller Konflikte gibt es seit Freitagnacht einen Hoffnungsschimmer. Er besteht in einem dreiseitigen Papier, auf das sich die Außenminister von 17 Ländern sowie Vertreter von EU, UN und Arabischer Liga nach sechs Stunden Verhandlungen in München verständigt haben. Es soll den gerade erst eingeleiteten Friedensprozess vor einem schnellen Scheitern bewahren.
Nach den ernüchternden, teils schockierenden Ereignissen der vergangenen beiden Wochen war eine solche Einigung kaum zu erwarten. Die syrische Armee war nördlich von Aleppo flankiert von russischen Luftangriffen vorgerückt. Mindestens 500 Menschen sollen bei der Offensive getötet worden sein, Zehntausende sind auf der Flucht. Die Friedensgespräche zwischen dem Regime von Baschar al-Assad und der Opposition in Genf wurden nach nur wenigen Tagen abgebrochen.
Jetzt gibt es einen Plan, der den Weg zurück zum Verhandlungstisch ebnen soll:
- Innerhalb einer Woche soll eine „Feuerpause“ eingeleitet werden. Dieser Begriff wurde mit Bedacht gewählt. Pause bedeutet, dass die Waffen nicht unbedingt dauerhaft schweigen sollen. In einen solchen „Waffenstillstand“ will die syrische Opposition erst einwilligen, wenn Assad nicht mehr an der Macht ist. Außerdem wird der Kampf gegen die Terrororganisationen Islamischer Staat und al-Nusra ausgenommen.
- Die Blockade von humanitärer Hilfe für belagerte Gebiete soll aufgebrochen werden. In der Münchner Erklärung werden sieben Orte genannt, für die das sofort gelten soll.
- Die Genfer Friedensgespräche sollen so bald wie möglich wieder aufgenommen werden. Über das Ziel dieses Prozesses besteht aber weiterhin keine Einigkeit. Der Westen will Assad loswerden, Russland steht ihm weiter zur Seite.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Das ist aber nicht das einzige Problem. Wie sollen die Angriffe auf die Terrorgruppen von anderen Kampfhandlungen abgegrenzt werden? Und hat Assad überhaupt Interesse an einer Feuerpause? Das Papier von München ist zunächst einmal reine Theorie.
„Der Beweis muss jetzt angetreten werden“, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu Beginn der Sicherheitskonferenz. „Wer wirklich Frieden will, der muss nicht wochenlang warten.“
Der Optimismus hält sich aber in engen Grenzen. In den ersten Stunden nach der Münchner Vereinbarung gab es keine Anzeichen für ein Ende der Kämpfe. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten kamen mindestens 16 Zivilisten in der Nähe der Stadt Homs bei einem russischen Luftangriff ums Leben.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnt deshalb vor zu hohen Erwartungen. „Wir kennen die Erfahrungen der Vergangenheit, deshalb spreche ich heute nicht von einem Durchbruch“, sagte er nach den Verhandlungen.
Die Ukraine-Krise hat gezeigt, wie schwer Vereinbarungen über Feuerpausen umsetzbar sind. Der Minsker Friedensplan, der unter Vermittlung Merkels zustande kam, wurde am Freitag ein Jahr alt. Die Bilanz ist ernüchternd. In der Ostukraine gibt es immer noch Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten. Wo eigentlich längst eine entmilitarisierte Zone sein sollte, stehen nach wie vor schwere Waffen.
Und der Syrienkonflikt ist noch deutlich komplizierter. Russland und die USA, Iran und Saudi-Arabien, die Türkei - alle verfolgen ihre eigene Agenda. Allerdings scheint auch Russland eingesehen zu haben, dass es in dem Bürgerkrieg keinen militärischen Sieger geben wird. Andernfalls würde es Verhandlungen wie im November in Wien und jetzt in München gar nicht geben.
Vielleicht wird sich schon am Wochenende bei der Sicherheitskonferenz etwas klarer zeigen, wie es um die Chancen auf Frieden in Syrien steht. Mit Spannung wird die Rede des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew am Samstag erwartet. Konferenzchef Ischinger versucht die Entscheidung aus der Nacht zu Freitag möglichst positiv zu sehen: „Wir brauchen mehr Entscheidungen wie diese - und wir müssen sie umsetzen.“