Muslime in Myanmar in Gefahr Südostasien droht eine neue Extremisten-Front

Die muslimische Volksgruppe der Rohingya wird in Myanmar seit Jahrzehnten unterdrückt. Nun fürchten Beobachter, dass die Gewalt eskalieren könnte. Denn der Konflikt spielt zunehmend Extremisten in die Hände.

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Die muslimische Minderheit der Rohingya sieht sich im buddhistischen Myanmar immer wieder Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt. Quelle: AFP

Washington Die Szene scheint der dunklen Vergangenheit Myanmars zu entstammen: Abgeschirmt von den Blicken der Weltöffentlichkeit rücken Soldaten auf Dörfer vor, Häuser gehen in Flammen auf, Zehntausende Angehörige einer ethnischen Minderheit werden obdachlos. Etliche sterben – wie viele, ist unklar. Die Militäroffensive ist nicht vor Jahrzehnten geschehen, sondern vor wenigen Wochen – mitten in der Zeit der demokratischen Öffnung des südostasiatischen Landes.

Im Westen von Myanmar, dem einstigen Birma, wird die Minderheit der muslimischen Rohingya seit Jahrzehnten immer wieder Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Im Oktober eskalierte die Lage erneut. Unbekannte griffen im Bezirk Rakhine an der Grenze zu Bangladesch Polizeistationen an – möglicherweise das blutige Signal einiger weniger Rohingya, dass sie die Unterdrückung im mehrheitlich buddhistischen Myanmar nicht länger hinnehmen wollen. Die Streitkräfte reagierten mit ihrer Sicherheitsoffensive.

Die jüngste Entwicklung macht nicht nur Menschenrechtlern Sorgen. Ausländische Regierungen, allen voran die USA, fürchten, dass die Gewalt im Rohingya-Konflikt den Extremismus in Südostasien – und womöglich darüber hinaus – anheizen könnte. Angehörige der Rohingya könnten radikalisiert werden, Extremisten aus anderen Ländern könnten das Vorgehen Myanmars zu Propagandazwecken ausnutzen.

Die Eskalation bringe das Risiko mit sich, den Dschihadismus anzustacheln, warnt der für Ostasien zuständige US-Staatssekretär Daniel Russel. „Die Region Rakhine könnte vom Dschihadismus infiziert und befallen werden, von dem bereits das Nachbarland Bangladesch und andere Länder heimgesucht sind“, erklärt er.

Die Rohingya sind in Myanmar nicht offiziell als Minderheit anerkannt. Sie gelten als illegal Eingewanderte, obwohl viele von ihnen seit Generationen in dem Land leben. Ihr lange weitgehend vergessenes Schicksal machte 2012 international mehr Schlagzeilen, als von nationalistischen Buddhisten geschürte Gewalt Zehntausende in die Flucht schlug und Hunderten das Leben kostete. Viele der Vertriebenen harren weiterhin in Lagern aus.

Seitdem sind aber auch zahlreiche Rohingya in wackeligen Booten übers Meer geflohen, nach Thailand, Malaysia oder Indonesien. Im vergangenen Jahr trieben Tausende Bootsflüchtlinge wochenlang hilflos auf dem Meer, bevor sie von Nachbarländern aufgenommen oder zurück nach Myanmar geschickt wurden. Die neue Gewalt könnte nun eine weitere Fluchtwelle übers Meer hervorrufen, mahnt Daniel Sullivan von der Organisation Refugees International.


Staaten fordern unabhängige Untersuchung

In der Region stößt die Entwicklung auf Empörung. In Bangladesch, Indonesien, Malaysia und Thailand kommt es zu Protesten gegen die Verfolgung der Rohingya. US-Staatssekretär Russel appelliert daher auch an muslimische Nachbarländer, auf Proteste zu verzichten, die die Stimmung auf religiöser Ebene weiter aufheizen könnten.

Selbst außerhalb Südostasiens mussten die Rohingya bereits als Rechtfertigung für eine Radikalisierung herhalten. So protestierte ein Student aus Somalia, der in dieser Woche einen Angriff an der Ohio State University verübte, Berichten zufolge auf seiner Facebook-Seite gegen die Verfolgung von Muslimen in Myanmar. In Indonesien wurden vor wenigen Tagen zwei mutmaßliche Extremisten festgenommen, die einen Angriff auf die Botschaft Myanmars in Jakarta geplant haben sollen.

Mehrere Länder haben eine unabhängige Untersuchung der Gewalt in Rakhine gefordert. Die Schätzungen der Todesopferzahlen liegen zwischen mehreren Dutzend und mehreren Hundert. Auf Satellitenbildern sei zu erkennen, dass mindestens 1250 Häuser zerstört worden seien, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Ende November. Es kursieren Berichte über Tötungen und Vergewaltigungen seitens der Soldaten, Journalisten können den Vorwürfen vor Ort allerdings nicht nachgehen. Sie dürfen nicht nach Rakhine.

Auch die Vereinten Nationen zeigen sich zunehmend besorgt angesichts der Berichte. Sollten sich diese bestätigen, wäre das Leben Tausender Menschen in Gefahr, warnt Sonderberater Adama Dieng. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan, den Myanmar schon im August in dem Konflikt um Vermittlung gebeten hatte, lenkt zudem den Blick auf die Not der Menschen in der Region. Der Militäreinsatz dürfe nicht den Zugang für Hilfsgüter blockieren, forderte er erst in der vergangenen Woche.

Zeitgleich gab das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen bekannt, dass seit Oktober nur noch 20.000 der mehr als 150.000 zu versorgenden Menschen Lebensmittel und Geldhilfen bekommen hätten. Daneben seien weitere 7000 Hilfsbedürftige erreicht worden, die erst kürzlich geflohen seien.

Die Militäroffensive wirft auch ein Schlaglicht auf die Grenzen der neuen Regierung: Seit März ist die langjährige Oppositionsbewegung NLD der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi an der Regierung, die Streitkräfte haben jedoch nach wie vor in wichtigen Bereichen das Sagen. Und dazu zählt auch die Kontrolle sicherheitsrelevanter Grenzregionen.

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