Wer den Worten von Wladimir Putin zuletzt aufmerksam zugehört hat, könnte meinen, dass für Russland nun wirklich dunkle Zeiten anbrechen. Mit einem Wahlkampf, der fast komplett auf Stärke und Militarismus aufbaute, holte der Amtsinhaber nach vorläufigem Ergebnis über 76 Prozent der Stimmen. Ein Ergebnis, das in seiner Deutlichkeit viele Beobachter überrascht hat. Zumal auch die größte Angst des Kremls, dass mehr Russen als bei den vergangenen Wahlen zu Hause bleiben, sich nicht bewahrheitet hat. Noch in der Nacht hat die Zentrale Wahlkommission verkündet, dass gut zwei Drittel der Wähler ihre Stimme abgegeben haben. Gleichzeitig kommen die liberalen Kandidaten zusammen auf weniger als drei Prozent.
Natürlich weiß niemand genau, wie hoch das Ergebnis ausgefallen wäre, hätte es bei dieser Wahl keine Manipulationen gegeben. Auch diesmal wurden Beamte, Lehrer, Verwaltungsangestellte und Mitarbeiter von Staatskonzernen regelrecht zur Stimmabgabe gedrängt. Das Verteidigungsministerium meldete, dass 98 Prozent der Soldaten ihre Stimme abgegeben hätten. Und wieder zeigten die Überwachungskameras Mitarbeiter von Wahlkommissionen dabei, wie sie stapelweise Zettel in die Urnen eingeworfen haben, um Putins Ergebnis noch einige Prozent nach oben zu hieven.
Doch selbst in Moskau und Sankt-Petersburg, wo es flächendeckend unabhängige Wahlbeobachter in den Lokalen gab, holte der Präsident üppige 70 Prozent. Dabei ist die Verdrossenheit der Russen mit der Alternativlosigkeit der politischen Landschaft in Russlands in den beiden Metropolen am deutlichsten zu spüren. Die Ergebnisse dürften im Schnitt näher an der Realität liegen als anderswo in Russland.
Unregelmäßigkeiten bei Präsidentschaftswahl in Russland
Tatsächlich scheint der Präsident mit seinem verschärften antiwestlichen Kurs der letzten Wochen den Nerv vieler Wähler getroffen zu haben. Vor allem die martialische Rede vor der Föderalversammlung, bei der Putin von überlegenen Waffensystemen schwärmte, brachte offenbar Stimmen. Und auch den Skandal um den in London vergifteten Agenten Sergej Skipal wussten die staatlichen Medien zu nutzen. Über Tage zeichneten sie mit voller Kraft das Bild eines vom bösen Westen grundlos gepiesackten Russlands, das beinahe umzingelt ist von Feinden. Sonntagabend spottete dann auch Putins Wahlkampfsprecher Andrej Kondraschow über die Reaktion des Westens. „Wir rechneten mit einer Wahlbeteiligung von um die 50 Prozent“, sagte Kondraschow gegenüber dem Propagandasender Russia Today. Dafür, dass diese nun höher liege, müsse man sich bei Großbritannien bedanken.
Wichtiger als der Blick zurück bleibt die Frage, was die neue Amtszeit Putins bringt. Um sich im Amt bestätigen zu lassen, stützte sich Putin vor allem auf die konservativen Kräfte im Land. Das heißt jedoch nicht automatisch, dass der Kremlherr sein Land noch weiter in Richtung Staatswirtschaft und Autoritarismus treiben will. Auch Putins Regierungsmannschaft dürfte nicht entgangen sein, dass die Niederlage der liberalen Kräfte nicht damit zu hat, dass die Ideen keine Anhänger mehr haben. Vielmehr wurde das Ergebnis der Opposition mit der Auswahl der Kandidaten, die nur dank eines informellen Segens von oben antreten durften, vorbestimmt.
Putin lenkt Russlands Politik seit 18 Jahren
Putin übernimmt die Führung des Landes von Boris Jelzin. Sein erstes Mandat ist geprägt vom Tschetschenien-Krieg und vom Vorgehen gegen Oligarchen. Der prominenteste Fall ist der des Ölmanagers Michail Chodorkowski.
Putin konsolidiert seine Macht. Auch der Personenkult festigt sich. Bei einer scharfen Rede in München 2007 zeichnet sich der Konflikt Russlands mit dem Westen ab.
Nach der Verfassung darf Putin nach zwei Amtszeiten nicht wieder kandidieren. Sein Vertrauter Dmitri Medwedew übernimmt und wird Präsident, Putin Regierungschef. 2012 vollziehen sie eine „Rochade“, Putin wechselt wieder an die Staatsspitze.
Putins Rückkehr in den Kreml wird überschattet von Massenprotesten, die schon nach der Parlamentswahl 2011 begonnen hatten und auch nach der Präsidentenwahl aufflammten. International steht sie im Zeichen der Krim-Annexion 2014 und der schärfsten Spannungen mit dem Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Ebenfalls ist Wladimir Putin nicht entgangen, dass sein Land vor einem enormen Reformbedarf steht. Im militanten Wahlkampfgetöse mag das untergegangen sein. Doch schon in seiner Rede zur Lage der Nation mahnte der Präsident, das Land müsse sich modernisieren und mehr unternehmerische Freiheiten zulassen. Echte Strukturreformen dürften in Putins vierter Amtszeit ausbleiben. Mit der Taktik, an den makroökonomischen Schalthebeln des Landes kluge, wirtschaftsliberale Fachleute zu installieren, hat er bisher jedoch Erfolg gehabt. Es gibt für ihn keinen Grund, Leute wie Zentralbankchefin Elwira Nabiullina oder Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin auszutauschen. Beide haben geholfen, die teils marode Wirtschaft des Landes durch die Krise der vergangenen Jahre zu steuern.
Auch die Kooperation mit westlichen Firmen, von der Russland zum Beispiel im Öl- und Gassektor, aber auch im Automobilbau oder der Produktion von Konsumgütern profitiert, liegt Putin am Herzen. Kein Wunder, dass die meisten westlichen Unternehmer, die in Russland aktiv sind, sich auch wenig für die Wahl in Russland interessiert haben. Ein Weiterso unter Wladimir Putin war die Option, auf die sie sich längst eingestellt haben.
Weit mehr Sorgen bereitet jenen Russen, die gestern zu Hause geblieben sind, der Gedanke an die Zeit nach 2024. Dann endet Putins letzte erlaubte Amtszeit. Und ob der Kremlherr die Macht freiwillig abgibt, einen Nachfolger benennt oder die Verfassung ein zweites Mal wie schon 2008 austrickst, das weiß wohl noch nicht ein Mal Wladimir Putin selbst.