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Nach eineinhalb Jahren Neue Regierung in Belgien in Sicht

Der Druck der Finanzmärkte hat es offenbar möglich gemacht: Nach mehr als 530 Tagen bekommt Belgien eine neue Regierung. Sechs Parteien wollen nächste Woche eine Koalition bilden.

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Der designierte Premier Elio Di Rupo von der Parti Socialiste (PS). Quelle: dapd

Brüssel Nach fast eineinhalb Jahren geht die politische Krise in Belgien zu Ende: Schon Anfang Dezember soll eine neue Regierung aus Sozialisten, Christdemokraten und Liberalen aus beiden Landesteilen (Flandern und Wallonie) stehen.

König Albert II. beauftragte den designierten Premierminister Elio Di Rupo mit der Regierungsbildung. Belgien ist seit Juni 2010 ohne gewählte Regierung – ein Weltrekord. Auf die Frage, wann das Land eine Regierung haben werde, sagte Di Rupo: „Ich hoffe, im Laufe der nächsten Woche.“ Er benötige noch ein paar Tage, um die letzten offenen Fragen zu klären. Mit der Etat-Einigung sei eine „entscheidende Etappe“ geschafft.

Die flämischen Nationalisten der Partei N-VA werden nicht zur Regierung gehören. Sie bilden seit der Wahl vom Juni unter Führung von Bart De Wever die stärkste politische Kraft. De Wever, der einen eigenen Staat Flandern fordert, hatte als Verhandlungsführer mögliche Kompromisse mehrfach blockiert.

Die sechs Parteien hatten gestern den letzten Streitpunkt aus dem Weg geräumt. Sie einigten sich auf den Haushalt 2012, der Einsparungen von 11,3 Milliarden Euro vorsieht. Die Parteien kamen überein, im kommenden Jahr das Haushaltsdefizit auf 2,8 Prozent nach geschätzten 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr zu senken. 2015 soll der Staat ohne neue Schulden auskommen.

Nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon beschlossen die sechs Parteien das Sparpaket sowie Strukturreformen. 2012 soll der Haushalt um rund 10 Prozent kleiner werden. Niedrigere Ausgaben und neue Steuern sollen dazu beitragen. Zu den Reformen am Arbeitsmarkt gehören die Senkung des Arbeitslosengelds und eine höhere Altersgrenze für den vorgezogenen Ruhestand. Die Steuer auf Aktiengeschäfte steigt, auf hohe Einkommen wird eine Solidaritätsabgabe eingeführt.

Andere Ideen wurden wegen des Widerstands der Sozialisten nicht weiter verfolgt. So bleibt die in Belgien übliche automatische Erhöhung der Löhne entsprechend der Inflation unangetastet. Auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer und eine Steuer auf Flugtickets wurden verworfen.

„Dieses Budget ist gerecht und vernünftig“, sagte der designierte Premier Di Rupo auf einer Pressekonferenz, umringt von den sechs Verhandlungsführern. „Die Schwachen der Gesellschaft, wie Arbeitnehmer, Familien und die Mittelschicht werden geschont.“ Der Sparplan gebe ein Signal an die Finanzmärkte, dass Belgien „extrem schwierige“ Entscheidungen treffen könne. Der Haushaltsplan werde das Defizit im nächsten Jahr unter die in der EU erlaubten drei Prozent der Wirtschaftsleistung drücken. „2015 erlaubt uns der Plan sogar einen ausgeglichenen Haushalt.“

Nach der Einigung machte sich im ganzen Land Erleichterung breit. König Albert II. ließ in einer Stellungnahme des Palastes erklären, er sei über die Einigung erfreut. Der belgische EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy schrieb auf Twitter: „Das ist der Weg, um Vertrauen wiederherzustellen.“ Kritik kam von der N-VA. Ihr Vorsitzender De Wever nannte das Sparpaket mit Steuererhöhungen „desaströs“. Auch Grüne und Gewerkschaften bemängelten den Kompromiss. Die Gewerkschaften haben für Freitag (2. Dezember) Proteste gegen das Sparpaket angekündigt.

Schon vor Monaten hatte König Albert II. Di Rupo mit der Suche nach einer Regierungsmehrheit beauftragt, doch dessen Mission gestaltete sich schwierig; mehrfach warf er das Handtuch. Im September war eine Einigung auf eine Staatsreform gelungen, in deren Mittelpunkt das Wahlrecht im Umland von Brüssel stand. Danach stockten die Verhandlungen über das Budget. Erst unter dem Druck der Finanzmärkte gingen die tagelang unterbrochenen Gespräche am Freitagabend weiter.

Zuvor hatte die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) die Kreditwürdigkeit Belgiens um eine Note von bisher „AA+“ auf „AA“ gesenkt und mit weiteren Herabstufungen gedroht. Als Grund nannte S&P unter anderem den politischen Stillstand. Seit Sommer 2010 verwaltet Premierminister Yves Leterme die Regierungsgeschäfte, doch wichtige Reformen konnten nicht angegangen werden.

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