Nach Einigung mit Euro-Gruppe Griechenland ist noch nicht gerettet

Athen hat mit der Einigung mit der Euro-Gruppe nur eine kurze Atempause gewonnen. Denn trotz neuer Milliarden-Finanzspritze bleibt die Lage des Krisenlandes prekär. Auf Premierminister Tsipras wartet ein heißer Herbst.

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Griechenland bleibt noch auf Jahrzehnte im Korsett strikter Sparvorgaben. Quelle: Reuters

Athen Sichtlich entspannt trat der griechische Regierungschef Alexis Tsipras am Freitagabend in Brüssel vor die Presse. „Wir waren heute kein Thema beim EU-Gipfel, und das ist positiv“, verkündete Tsipras. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron bestätigte, man habe „gar nicht über Griechenland gesprochen“, was „eine gute Nachricht“ sei.

Tsipras kann aufatmen. Nach mehr als einjährigem Tauziehen mit den Gläubigern ist die zweite Prüfrunde des Anpassungsprogramms endlich abgeschlossen, vor einer Woche gaben die Euro-Finanzminister grünes Licht für die Überweisung dringend benötigter Hilfsgelder nach Athen.

Aber gerettet ist Griechenland noch lange nicht. Tsipras hat mit der vor einer Woche erzielten Einigung bei der Eurogruppe nur eine kurze Atempause gewonnen. Nach der Prüfung ist vor der Prüfung: Anfang Oktober werden die Vertreter der Gläubiger wieder in Athen erwartet. Dann beginnt die dritte Prüfrunde. Sie enthält politisch brisante Themen wie Änderungen im Arbeits- und Streikrecht, die Deregulierung des Strom- und Gasmarktes, eine Verschlankung der Staatsbürokratie und weitere Privatisierungen – durchweg Reformen, die dem regierenden Linksbündnis Syriza ideologisch gegen den Strich gehen.

Ohnehin ist die Stimmung in der Regierungsfraktionen schlecht. Tsipras hatte seinen Abgeordneten die Zustimmung zu den jüngsten Sparpaketen damit schmackhaft gemacht, im Gegenzug werde er den Gläubigern konkrete Zusagen über Schuldenerleichterungen abhandeln. Doch die Euro-Finanzminister vertagten das Schuldenthema auf den Sommer 2018, wenn das derzeitige Hilfsprogramm ausläuft. Deswegen ist auch eine Aufnahme Griechenlands ins Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) vorerst nicht in Sicht. Die Regierung versprach sich davon ein vertrauensbildendes Signal für eine baldige Rückkehr des Landes an den Kapitalmarkt.

Tsipras feiert die jetzt endlich abgeschlossene Prüfrunde zwar als „entscheidenden Schritt auf dem Weg aus der Krise“; er sieht „das definitive Ende der Hilfsprogramme und der damit verbundenen Auflagen“. Doch das ist Wunschdenken. Griechenland bleibt noch auf Jahrzehnte im Korsett strikter Sparvorgaben. Von 2018 bis 2022 muss Athen in der Primärbilanz einen Überschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausweisen, anschließend soll das Land jährlich Primärüberschüsse von zwei Prozent des BIP erwirtschaften – und zwar bis 2060. Das bedeutet ein halbes Jahrhundert Sparkurs seit Beginn der Hilfsprogramme im Frühjahr 2010.

Zum ersten Prüfstein wird der Haushaltsentwurf 2018, den die Regierung im September vorlegen soll. Offen ist, ob Finanzminister Euklid Tsakalotos die Überschuss-Vorgabe ohne neue Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen erfüllen kann. Ein schlechtes Vorzeichen: Erst kürzlich korrigierte die Regierung ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr von 2,7 auf 1,8 Prozent. Für 2018 erwartet die Regierung jetzt nur noch ein Plus von 2,7 Prozent, gegenüber ursprünglich 3,1 Prozent. Weniger Wachstum bedeutet weniger Steuereinnahmen.

Nicht nur in der Finanzplanung steht die Regierung unter Druck. Die dritte Prüfrunde muss planmäßig bis Ende des Jahres erledigt sein. Auf sie folgt eine vierte Überprüfung, deren Abschluss im Sommer 2018 das Ende des laufenden Anpassungsprogramms markieren soll. Ob die Athener Regierung diesen Zeitplan einhalten kann, ist aber fraglich, nachdem sich die zweite Prüfrunde bereits um mehr als ein Jahr verzögert hat. Athen ist mit dem Anpassungsprogramm immer noch im Rückstand. Nicht weniger als 113 Reformschritte muss die griechische Regierung bis zum Ende des ersten Quartals 2018 umsetzen, 95 davon noch in diesem Jahr.

Einige der Themen, wie die Öffnung so genannter „geschlossener Berufe“ oder die Deregulierung im Energiesektor, standen schon 2010 auf der Reformagenda, sind aber immer noch nicht vollständig umgesetzt. Klaus Regling, Chef des Euro-Stabilitätsmechanismus ESM, der die Griechenland-Kredite bereitstellt, kritisierte diese Woche im griechischen Staatsfernsehen, dass sich die Regierung das Programm nicht wirklich zu eigen mache. Die Zusammenarbeit mit Finanzminister Tsakalotos sei zwar sehr gut, aber „manche andere Minister“ zögen die von der Regierung beschlossenen Maßnahmen in Zweifel. Regling dürfte vor allem an die Privatisierungen denken, die zwar vom Parlament gebilligt, hernach aber von einzelnen Ministerien immer wieder gezielt hintertrieben werden. Diese Praxis signalisiere den Finanzmärkten und der europäischen Öffentlichkeit, dass die Regierung das Programm nicht voll unterstütze. Das wirke nicht gerade vertrauensbildend, kritisierte Regling.

Vertrauen ist das Schlüsselwort, wenn Griechenland von Hilfskrediten unabhängig werden will. Nach Auslaufen des Programms im August 2018 soll sich das Land wieder am Markt refinanzieren. Dazu muss die staatliche Schuldenagentur PDMA allerdings schon vorher die Kreditwürdigkeit Griechenlands testen, am Besten noch in diesem Jahr. Im Gespräch ist ein neuer fünfjähriger Bond.  Die Rückkehr an den Markt wird aber dadurch erschwert, dass die EZB Griechenland wegen der ungeklärten Schuldenproblematik bisher nicht in ihr Anleihekaufprogramm aufgenommen hat. Umso mehr kommt es nun für Premier Tsipras darauf an, das Vertrauen der Anleger mit einer entschlossenen Reformpolitik und einem zügigen Abschluss der dritten Prüfrunde zu stärken.

Gelingt ihm das nicht, müssen die Euro-Staaten im August 2018 entscheiden, ob sie ein weiteres Rettungsprogramm für Griechenland auflegen. Es wäre das vierte seit dem ersten Hilfspaket von 2010. Für Griechenland könnte es finanziell schon 2019 wieder eng werden: Dann stehen Anleihen und Kredite von insgesamt 13,9 Milliarden Euro zur Tilgung an, rund doppelt so viel wie in den Jahren 2017 und 2018 zusammen. Hinzu kommen Zinsrückzahlungen von 6,6 Milliarden. Aus heutiger Sicht ist ungewiss, ob Athen das benötigte Geld zu vertretbaren Konditionen am Kapitalmarkt aufnehmen kann.

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