Nach Isaf-Einsatz Afghanische Helfer hoffen auf Deutschland

Viele Bundeswehr-Mitarbeiter aus Afghanistan sind gefährdet und hoffen, nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Auch Omid S. träumt vom „Königreich Deutschland“. Doch niemand bereitet die Ortskräfte auf die Realität vor.

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Die afghanische Ortskraft Omid S. (l) im Gespräch mit Fregattenkapitän Frank Martin im Camp Marmal in Masar-i-Scharif. Quelle: dpa

Masar-i-Scharif Omid S. hat sein Ziel erreicht: Er darf mit seiner Ehefrau und den beiden kleinen Kindern nach Deutschland ausreisen. Seit 2012 arbeitet der 28-Jährige unter anderem als Übersetzer bei der Bundeswehr in Nordafghanistan. Er gehört zu den bislang mehr als 440 Ortskräften der Truppe, die die Bundeswehr davon überzeugen konnten, dass sie in Afghanistan gefährdet sind.

Vorbereitet auf ihre neue Heimat werden die Afghanen nicht. Omid S. dürfte nicht der einzige sein, der mit falschen Vorstellungen nach Deutschland kommt – und dem Enttäuschungen drohen. Omid S. will eine angebliche „alte deutsche Redensart“ gehört haben, die er so wiedergibt: „Wenn Du das Leben in einem Königreich sehen willst, komme nach Deutschland.“

Der Afghane hat auch gehört, dass in Deutschland jeder „390 Euro oder Dollar pro Person“ bekommt. Das trifft fast genau den Hartz-IV-Satz von 391 Euro für Alleinstehende. Tatsächlich haben die afghanischen Ortskräfte von ihrer Ankunft an dieselben Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen wie Deutsche.

Ortskräfte bei der Bundeswehr verdienen in der Regel zwischen 350 und 500 Euro im Monat, was in einem der ärmsten Länder der Welt viel Geld ist. Dass Hartz IV in Frankfurt am Main – wohin Omid S. am liebsten ausreisen würde, weil er Freunde in Gießen hat – gerade einmal genug zum Überleben ist, scheint ihm nicht klar zu sein.

Wenn frühere Ortskräfte eine Aufnahmezusage haben, hat die Bundeswehr keine Verantwortung mehr für sie. Einen zentralen Ansprechpartner oder eine systematische Vorbereitung auf Deutschland gibt es nicht. Später sind die Kommunen zuständig, denen die Afghanen zugewiesen werden.

„Jeder will gerne ein besseres Leben haben“, sagt der Übersetzer. Sein Englisch ist nach afghanischen Maßstäben in Ordnung, in Deutschland würde er damit aber durch jede Abiturprüfung rasseln. Deutsch kann er nicht.

Von der Gesellschaft in der Bundesrepublik weiß er nach eigenem Bekunden ebenfalls nichts. Sein Traum ist es, irgendwann einmal als Anwalt zu arbeiten. Er sagt, seine Familie freue sich auf die Ausreise, „weil es Deutschland ist“.

Omid S. glaubt, dass die rückläufige Bevölkerungszahl in Deutschland ein Grund dafür ist, dass die – für den deutschen Arbeitsmarkt in aller Regel unqualifizierten – Ortskräfte aufgenommen werden. „Weil, wissen Sie, Deutschland braucht mehr Menschen, mehr Bevölkerung.“


Viele Ortskräfte sind gefährdet

Afghanistan ist ein extrem gastfreundliches Land. Dass dagegen längst nicht alle Deutschen Muslime aus fernen Ländern mit offenen Armen empfangen, kann Omid S. nicht ahnen. Von „Pegida“ hat man in Masar-i-Scharif noch nie gehört.

Zu den Gefahren, der er sich ausgesetzt sieht, möchte Omid S. sich nicht äußern. Menschen würden bedroht, sagt er vage. „Niemand weiß, wann der Feind angreift.“ Ob er selber bedroht worden sei? Ja, das könne man so sagen, antwortet er. Wie konkret? „Entschuldigung, aber dazu kann ich nichts sagen. Das ist eine persönliche Angelegenheit.“

Außer Frage steht, dass viele Ortskräfte tatsächlich gefährdet sind. Im November 2013 wurde im nordafghanischen Kundus unter bis heute ungeklärten Umständen ein ehemaliger Übersetzer der Bundeswehr ermordet, dem die Aufnahme in Deutschland bereits zugesagt worden war. Unstrittig ist allerdings auch, dass Belege für eine Bedrohung wie angebliche Taliban-Drohbriefe leicht zu fälschen sind.

1020 frühere Bundeswehr-Mitarbeiter haben Anträge auf Ausreise nach Deutschland gestellt, 444 davon wurden positiv beschieden. Letztlich genehmigt das Bundesinnenministerium die Aufnahme. Nach Angaben der Bundeswehr wird dabei aber ihren Empfehlungen gefolgt.

„Diese Empfehlung ist im Zweifelsfall immer für die Betroffenen“, sagt der Bundeswehr-Sprecher in Masar-i-Scharif, Fregattenkapitän Frank Martin. „Wir versuchen wirklich, die Person in den Mittelpunkt zu stellen und nicht in irgendeiner Form jetzt Maßstäbe heranzuziehen und zu sagen, wenn da irgendwo ein Kreuzchen in einem Raster fehlt, dann kann er nicht kommen.“

Kritiker monieren, das Verfahren sei intransparent, eine Ablehnung werde dem Antragsteller nicht begründet. „Sie können es nirgendwo im Netz nachlesen, wie das Verfahren läuft“, sagt Martin.

Alle Fälle würden aber verantwortungsvoll geprüft. Wer abgelehnt werde, könne jederzeit einen neuen Antrag stellen. „Es gibt keine Sperren, keine zeitlichen Grenzen, weil sich ja im Grunde in der nächsten halben Stunde die Situation wieder ändern kann.“

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