Am Ende entschied Alexander Novak sich alles aus sicherer Entfernung anzuschauen. Während seine Kollegen am Mittwoch nach Wien aufbrachen, um über eine mögliche Kürzung der Öl-Förderung zu diskutieren, blieb der russische Energieminister zu Hause. Für diese Reise gebe es keine Notwendigkeit, begründete Novak. Die Opec solle erst ein Mal untereinander einig werden. Erst dann wolle sich Russland möglicherweise anschließen.
Dass sich die Ölförderer in der österreichischen Hauptstadt einig werden, und eine Kürzung der Fördermenge beschließen, damit hatte der russische Minister wohl nicht gerechnet. Für die kommenden Monate will das Öl-Kartell die tägliche Fördermenge um 1,2 Millionen Barrel reduzieren. Novaks Fernbleiben zahlt sich für Moskau dennoch aus. Damit hat sich Russland bis zum nächsten Treffen, voraussichtlich am 9. Dezember, in eine gute Verhandlungsposition gebracht, ohne die Karten auf den Tisch zu legen. Schließlich hängt es nun zu großen Teilen an Moskau, ob der Deal zustande kommt.
Über Monate hatte Russland bereits taktiert. So hatte Wladimir Putin zwar formell schon vor Wochen für einen Deal mit der OPEC ausgesprochen, um die Ölförderung zu begrenzen und so den Preis für Russlands wichtigstes Exportgut zu stützen. Trotzdem laufen die Ölpumpen in Russland auf Hochtouren. Im November stellte die Branche mit einer Tagesförderung von 11,2 Millionen Tonnen Rohöl einen neuen Rekord auf. Laut Internationaler Energieagentur ist das ein Plus von zwei Prozent. Für das kommende Jahr prognostizierte die Agentur ein weiteres Plus in ähnlicher Größe. Nicht zuletzt deswegen zählt Russland, obwohl selbst kein Mitglied der OPEC, derzeit zu den Schlüsselländern, um eine effektive Begrenzung durchzusetzen. So weilten am Dienstag etwa die Energieminister von Venezuela und Algerien zu Gesprächen in Moskau, während der iranische Präsident Hassan Rouhani mit seinem russischen Amtskollegen telefonierte.
Was Sie über den Ölpreis wissen müssen
Da Öl ursprünglich in Fässern abgefüllt wurde - Barrel im Englischen -, wird diese Maßeinheit in der Branche bis heute verwendet. Ein Barrel sind 159 Liter.
Die steile Talfahrt begann Mitte 2014, bis Anfang 2016 hatte sich der Preis mehr als gedrittelt. Seitdem hat sich der preis wieder erholt, bleibt aber weiter weit hinter früheren Niveaus zurück. Hintergrund ist ein knallharter Wettbewerb zwischen den klassischen Ölförderern wie Saudi-Arabien und neuen Konkurrenten, die Rohöl mit der aufwendigen Fracking-Methode aus Schiefergestein lösen, allen voran in den USA.
Rohöl ist nicht gleich Rohöl. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Sorten – je nach Region. Alleine der Finanzinformationsdienst Bloomberg listet mehr als 100 Stück auf, wovon allerdings nur wenige große Bedeutung haben. Als Richtwert am Finanzmarkt gilt das US-Rohöl West Texas Intermediate (WTI). Eine weitere wichtige Sorte ist das Nordsee-Öl Brent.
Bei den Ölsorten gibt es gravierende Unterschiede bei der Qualität, was auch zu merklichen Preisunterschieden führt. So kann etwa die Sorte North Dakota Sour in der Raffinerie nur schwer verarbeitet werden, weil sie stark schwefelhaltig ist. Das schlägt sich auch im Preis nieder.
Für US-Öl und Brent-Öl werden die Preise über das Spiel von Angebot und Nachfrage gebildet. Aber auch diese Sorten können eine Vielzahl von unterschiedlichen Preisen haben, was daran liegt, dass sie in sogenannten Future-Kontrakten gehandelt werden. Der Käufer erwirbt dabei Rohöl mit unterschiedlichen Lieferdaten. Der am meisten gehandelte und damit für die Anleger wichtigste Future-Kontrakt läuft über einen Monat.
Auch die Ölsorten des Ölkartells Opec (Organisation erdölexportierender Länder) sind für die Weltwirtschaft von hoher Bedeutung. Von der Opec-Zentrale in Wien wird einmal täglich der sogenannte Opec-Korbpreis ermittelt. Hierfür melden alle Mitgliedstaaten des Ölkartells ihre jeweiligen Ölpreise, dann wird der sogenannte Korbpreis aller 13 Opec-Sorten errechnet. Dieser Durchschnittspreis wird allerdings immer mit einem Tag Verzögerung veröffentlicht und spiegelt daher nicht die neueste Entwicklung wider.
Die bequeme Lage Russlands hatte auch unter OPEC-Mitgliedern Neid geschürt. So kritisierte der saudische Ölminister Khalid Al-Falikh im Vorfeld des Wiener Treffens, es reiche nicht aus, wenn Russland seine Förderung nach einem möglichen Deal auf den derzeitigen Höchstständen belassen werde. Auch Nicht-Mitglieder sollen die Förderung kürzen. Russlands Energieminister Novak hatte hingegen erklärt, eine Begrenzung auf dem jetzigen Niveau käme für Russland einer Kürzung gleich. Schließlich wollte das Land im kommenden Jahr täglich 200.000 bis 300.000 Barrel Öl mehr aus der Erde holen.
Doch als sich im Laufe des Mittwochs eine Einigung in Wien abzeichnete, wurde klar, dass Russlands Poker aufgeht. Während die Ölpreise in die Höhe schossen, kann Russland verhandeln. Berichten zufolge wollte die OPEC, dass Russland seine tägliche Förderung um 0,4 Millionen Barrel kürzt. Quellen aus dem Moskauer Energieministerium ließen jedoch bereits durchsickern, dass diese Forderung aus ihrer Sicht überzogen sei. Stattdessen dürfte Russland daran interessiert sein, das jetzige Niveau zu halten. Oder eben diese Niveau, wie bereits von Novak angedeutet, als Kürzung zu verkaufen.
Für Moskau ist die Förderbegrenzung bequem
“Eine Förderbegrenzung auf dem heutigen Level stellt für Russlands Regierung eine bequeme Lösung dar“, meint Energieexperte der Raiffeisenbank Andrej Polischtschuk. Die Förderung befinde sich auf einem Höhepunkt und könne sowieso nur langsam weiter gesteigert werden. „Für den Staatshaushalt seinerseits bringen fünf Dollar mehr beim Ölpreis deutlich höhere Einnahmen, als eins bis zwei Prozent Plus bei der Förderung“, erklärt der Analyst. Zumal eine gleichbleibende Fördermenge noch lange nicht bedeute, dass der Export nicht zunehmen kann. So stiegen die Ausfuhren, dank sinkendem Inlandsverbrauch von Januar bis September des laufenden Jahres um 5,5 Prozent, doppelt so schnell wie die Förderung. „Wir rechnen damit, dass die Ölverarbeitung derzeit sinkt und dass einige neue Vorkommen eher auf den Export orientiert sind“, ergänzt Polischtschuk.
Gleichzeitig verweisen Branchenkenner darauf, dass es ohnehin für Russlands Regierung ziemlich kompliziert sein dürfte, die geforderte Kürzung statt der von Moskau angestrebten Begrenzung gegenüber der eigenen Ölwirtschaft durchzusetzen. Russlands Steuersystem ist im Energiebereich so ausgelegt, dass der Staat von steigenden Preisen profitiert. „Bei einem Ölpreis von 40 Dollar pro Barrel kassieren Russlands Exporteure etwa 22 Dollar , während der Rest beim Fiskus landet. Steigt der Preis auf 100 Dollar, kassieren die Exporteure lediglich etwa 35 Dollar pro Fass“, rechnet Mikhail Krutikhin vom Branchendienst Rusenergy vor. Die Förderunternehmen haben also viel weniger Interesse an steigenden Preisen.
Das bestätigt auch Raiffeisen-Experte Polischtschuk: „Im Vergleich zu ihren internationalen Konkurrenten geht es russischen Ölkonzernen blendend, weil ein Großteil des Einbruchs beim Ölpreis durch sinkende Steuern und Exportzölle kompensiert wurde“. Für Irritationen sorgte zum Beispiel Rosneft Chef Igor Setschin, als er er Anfang Oktober, erklärte, sein Unternehmen sei nicht zu Kürzungen bereit. Dabei hatte Putin zuvor Bereitschaft für einen Deal mit der OPEC signalisiert. Zwar zog Setschin seine Äußerung später zurück. Den offensichtlichen Interessenskonflikt konnte das aber nicht mehr verdecken.
Das mangelnde Interesse der Konzerne, die eigene Förderung zu kürzen und somit Konkurrenzvorteile aus der Hand zu geben, ist jedoch nicht das einzige Problem, sagen Brancheninsider. Denn auch wenn Russlands staatlicher Einfluss im Ölsektor hoch ist, existiert dort , anders als bei vielen OPEC-Mitgliedern keine Staatsholding. Vielmehr konkurrieren auch Unternehmen untereinander, deren Anteile in staatlicher Hand sind, etwa Rosneft und Gazpromneft. Gleichzeitig gibt es mit Lukoil, Surgutneftegaz und einer Reihe kleinerer Ölförderer viele Unternehmen in privater Hand. Ein Mechanismus, wie deren Förderung kurzfristig geändert und aufeinander abgestimmt werden kann, existiert nicht. Hinzu kommen technische Probleme, denn vor allem in der Polarregion könnte ein Förderstopp die Bohrlöcher beschädigen, weil das Öl zufriert.
„Russland will natürlich, dass der Ölpreis steigt, deswegen wird die Regierung den OPEC-Deal verbal unterstützen“, meint Experte Krutikhin. Der reale Beitrag, den das Land leisten kann, um das Überangebot zu reduzieren, bleibt allerdings äußerst fraglich. „Selbst wenn Russland jetzt alles unterschreibt, wird es sehr sehr schwierig sein, die gegeben Versprechen zu halten“.