Die neue WiWo App Jetzt kostenlos testen
Download Download

Nachruf Meine Begegnung mit Nelson Mandela

Die Welt trauert um Nelson Mandela. Die Freiheitsikone Südafrikas ist im Alter von 95 Jahren gestorben. Unsere Autorin erinnert sich an ihre Begegnung mit Mandela vor zwanzig Jahren.

  • Artikel teilen per:
  • Artikel teilen per:
Nelson Mandela ist im Alter von 95 Jahren verstorben. Quelle: REUTERS

Als ich vor zwanzig Jahren, im Sommer 1993, nach dem Examen sieben Wochen lang durch Südafrika reise, ist Nelson Mandela erst drei Jahre zuvor aus dem Gefängnis freigekommen. Gemeinsam mit dem weißen Präsidenten Frederik de Klerk hat er vor wenigen Monaten den Friedensnobelpreis erhalten. Und er steht kurz vor den ersten freien Wahlen für alle Menschen in diesem landschaftlich so wunderschönen Land. Ich nutze die Chance, Mandela bei einer Wahlkampfrede in Kapstadt zu erleben.

Als er den Saal betritt, bin ich im ersten Moment fast ein bisschen enttäuscht. Da kommt ein lächelnder, unspektakulär wirkender älterer Herr mit grauen Haaren in einem buntgemusterten Hemd, freundlich in die Menge winkend, ohne große Geste geschweige denn Siegerpose. Faszinierend aber ist die Wirkung des 75-Jährigen auf sein Publikum. Die Menschen - vor allem Schwarze und Mischlinge sowie einige wenige Weiße - springen auf, jubeln und begrüßen ihn mit begeisterten "Madiba, Madiba"-Rufen. Der Ehrenname Madiba steht für Mandelas Xhosa-Stamm. Dann stimmt die Menge lautstark ein Lied an, das als Kirchenlied entstand, zur Hymne des Befreiungskampfs der Schwarzen wurde und heute Kern der Nationalhymne des Landes ist: Nkosi Sikelel’ iAfrika (Gott schütze Afrika). Mir läuft ein Schauer den Rücken herunter.

Ich weiß nicht mehr, was Mandela an dem Abend alles gesagt hat. Aber ich weiß, dass sein Vorbild, nach fast 26 Jahren Haft auf Hass und Rache zu verzichten und zur Versöhnung aufzurufen, maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der Machtwechsel in Südafrika friedlich verlaufen ist.

Wirtschaftsdaten ausgewählter Länder in Afrika

Wie Mandelas Vorbild der Bescheidenheit, Freundlichkeit und Versöhnungsbereitschaft wohl auf viele seiner Landsleute wirkt, lerne ich wenige Tage später bei einem Besuch im Township Khayelitsha bei Kapstadt, in dem geschätzt 300.000 Menschen leben. Die Townships sind damals die für Schwarze vorgeschriebenen Siedlungen. Mit einem einheimischen Führer in dessen klapprigen kleinen Auto fahre ich zunächst durch recht normal wirkende Viertel mit geteerten Straßen, Wohnblocks und Geschäften. Dann kommen wir in die Siedlungen der Ärmsten mit holprigen Lehmpisten und aus Wellblech, Holz und Pappe zusammengeschusterten Hütten ohne Strom- und Wasseranschluss. Hier wird mir doch etwas mulmig.

Auf der ganzen Reise schon werde ich das ungute Gefühl nicht los, dass mich die Schwarzen als Weiße automatisch zum Kreis ihrer bisheriger Unterdrücker zählen. Obwohl die Sanktionen aus Apartheid-Zeiten aufgehoben sind, kann man zu dieser Zeit nicht in Südafrika unterwegs sein, ohne sich für seine Hautfarbe irgendwie zu schämen.

Und dann die Überraschung, als ich mit dem Führer spontan irgendwo mitten in der Wellblech-Siedlung aussteige: Kinder kommen angerannt, sie betteln nicht, sondern lachen, winken. Auch andere Bewohner kommen neugierig herbei, bieten uns Wasser an und scheinen sich tatsächlich zu freuen, dass sich eine Weiße in ihr Township wagt - was die meisten Südafrikaner vermeiden. Von Bedrohung keine Spur. Diese unerwartete Freundlichkeit inmitten der absoluten Armut beschämt mich nun wirklich.

Es halte mich niemand für naiv: Es sind auch schon Weiße in Townships umgebracht worden. Die Kriminalität im Land hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen - auch dank der immer noch riesigen Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Aber Mandela hat seit der Geburt des neuen Südafrika 1994 verhindert, dass das Land in einen blutigen Bürgerkrieg abstürzt wie im Kongo, in Angola oder Mozambique. Seine Persönlichkeit hält auch nach dem Ende seiner Präsidentschaft 1999 die Regenbogennation zusammen. Und ich hoffe sehr, dass das Vorbild Mandela über seinen Tod hinaus wirkt und den Frieden in Südafrika erhält. Nkosi Sikelel’ iAfrika!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%