Nahost-Experte Bassam Tibi Es gibt keine Lösung für den Syrien-Krieg

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Voraussetzungen für Demokratisierung fehlten

Kein EU-Politiker merkte, dass alle Voraussetzungen für eine Demokratisierung in Nahost fehlten. Vor allem in Syrien und Libyen, wo die massenhafte, von kriminellen Schleuserbanden und Islamisten organisierte illegale Migration nach Europa generiert wird. Das ausgediente Märchen der Demokratisierung wurde dann von einem neuen Märchen abgelöst: Merkels „Wir schaffen das“. Es unterstellt, eine millionenfache Zuwanderung von Sozialhilfeempfängern bewältigen zu können.

Als sich dies als eine Illusion entpuppte, folgte das nächste Märchen: Merkels Deutschland und Obamas USA wollen die Fluchtursachen an den Wurzeln packen, also die Instabilität in Syrien und Libyen beenden, um die massenhafte Zuwanderung in den Griff zu bekommen.

Als Sozialwissenschaftler, der fünfzig Jahre lang fast in allen arabischen Ländern gelebt hat, sehe ich - anders als Merkel und andere EU-Politiker - in Syrien einen blutigen Konflikt, der noch lange anhalten wird. Eben einen protracted conflict. Wie gehen europäische Politiker mit diesen politischen Herausforderungen um?  

Mit Hilfe von Max Weber will ich abschließend einige Worte über die Eignung der EU-Politiker, über Nahost zu urteilen, verlieren. In seinem berühmten Essay „Politik als Beruf“ meint Weber, dass ein erfolgreicher Politiker folgende drei Qualitäten vorweisen müsse: „Leidenschaft in der Sache – Verantwortungsgefühl – Augenmaß“. Weber beeilt sich, hinzuzufügen, dass er unter Leidenschaft keine Sentimentalitäten, sondern dies versteht: „die Verantwortlichkeit gegenüber eben dieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns“ zu erheben.

Nach Weber bedarf dies „des Augenmaßes, der Fähigkeit, die Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen“. Nur diese drei Qualitäten befähigen Politiker dazu, „ein langsames Bohren von harten Brettern“ als Politik vorzunehmen. Ich vermisse dies bei der Syrien-Politik sowohl Frau Merkels als auch anderer EU-Politiker.

Auch in den nächsten Jahren werden weitere Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Libyen kommen und die EU hat weder ein „Policy“-Konzept für den Staatszerfall als Flüchtlingsursache noch dafür, mit dem Flüchtlingsstrom umzugehen. Das Versprechen, die Flüchtlingskrise durch „Bekämpfung der Fluchtursachen“ zu bewältigen, erweist sich als ein weiteres Märchen von Tante Merkel, die die Prüfung bei Max Weber nicht bestehen kann.

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