Nahost Jordanien – eine tickende Zeitbombe

Die Konflikte in Syrien und Irak destabilisieren Jordanien. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Konjunktur schwächt sich ab. Experten fürchten eine Radikalisierung. Das wäre fatal, weil Jordanien der Anti-IS-Koalition angehört.

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Das Wirtschaftswachstum in Jordanien schwächt sich ab, während die Arbeitslosigkeit steigt. Vor allem für junge Menschen sind die Perspektiven schlecht. Quelle: Reuters

Dhiban Sabri Maschaaleh fühlt sich betrogen. Er studierte Psychologie und strebte eine Stelle im öffentlichen Dienst an – für jordanische Hochschulabsolventen ein typischer Werdegang. Doch nach vier Jahren Suche ist der 29-Jährige noch immer arbeitslos. Im Frühjahr demonstrierte er mit anderen jungen Männern für Arbeit, jeden Tag hielten sie am Kreisverkehr ihrer kleinen, abgelegenen Heimatstadt Dhiban Sit-Ins ab. Doch als dann Regierungstruppen im Juni ihr Zelt einrissen, schwand Maschaalehs letzte Hoffnung.

Für Dhibans Zukunft sieht er nun schwarz: „Dhiban ist inzwischen ein fruchtbarer Boden für radikale Gedanken, Drogenprobleme und Kriminelle“, sagt er.

Die steigende Jugendarbeitslosigkeit infolge der Konflikte im benachbarten Syrien und Irak ist inzwischen Jordaniens größtes Problem. Zwar grassiert sie überall im Nahen Osten, wo überdurchschnittlich viele junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen und die Wirtschaft in unruhigen Zeiten stagniert. Doch vor allem die Situation in Jordanien beobachten viele genauer. Denn die prowestliche Monarchie ist Teil der US-geführten Militärkoalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat, die Teile Syriens und des Iraks kontrolliert und auch in Jordanien tausende Anhänger gewann.

Eine Destabilisierung Jordaniens, etwa durch wirtschaftliche Probleme, würde die Verbündeten des Königreichs alarmieren. „Wir können nicht riskieren, dass das Arbeitslosenproblem zum Radikalisierungsproblem wird“, sagt der Ökonom Omar Rassas, der mit einem Expertenteam eine neue Arbeitsmarktstrategie entwickeln soll. „Das ist eine tickende Zeitbombe.“


35 Prozent der Jugend ohne Arbeit

Nach Angaben der Weltbank fiel das Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent 2014 auf 2,4 Prozent im vergangenen Jahr und 2,3 Prozent im ersten Quartal 2016. Anhaltende Kämpfe in Syrien und dem Irak zwangen 2015 zur Schließung der wichtigsten jordanischen Überlandverbindungen und schadeten Tourismus und Baugewerbe.

Die Arbeitslosigkeit stieg von 13 Prozent 2015 auf 14,7 Prozent 2016. Unter den 18- bis 24-Jährigen seien 35 Prozent ohne Arbeit, sagt die Jordanien-Expertin bei der Weltbank, Lea Hakim. „Die Wirtschaft hat nicht genug Jobs geschaffen für die Bevölkerung, weder quantitativ noch qualitativ.“ Die Flut syrischer Flüchtlinge seit 2011 hat das Heer der Arbeitssuchenden weiter vergrößert. Bei einer Bevölkerung von 9,5 Millionen sind in Jordanien rund 660.000 Flüchtlinge registriert, doch eine Volkszählung ergab vor kurzem, dass doppelt so viele Syrer in Jordanien leben.

In den ersten Jahren der Syrien-Krise erhielten Flüchtlinge in Jordanien keine Arbeitserlaubnis. Daraufhin arbeiteten Zehntausende Syrer ohne Papiere im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und im Einzelhandel – Branchen, die bis dahin von Migranten aus Afrika und Asien dominiert waren.

Doch 2016 schlug das Königreich einen neuen Kurs ein und versuchte, die Flüchtlingskrise als Chance zu sehen: Es versprach, Zehntausenden Syrern Arbeitsgenehmigungen zu erteilen – im Gegenzug lockerte Europa Handelsbeschränkungen, um Investitionen zu fördern. Zudem stellten die Weltbank und andere Geldgeber Kredite zu Vorzugskonditionen in Aussicht und Subventionen für Entwicklungsprogramme und arbeitsintensive Projekte im Land.

In drei bis vier Jahren werde sich dieser Deal mit Wachstum und Jobs auszahlen, glaubt Weltbank-Regionaldirektor Ferid Belhadsch. „Die Krise ist eine gewaltige Herausforderung, kann aber zu einer Chance werden.“


Handeln, bevor es Proteste gibt

Die Zeit bis dahin sollte laut Rassas mit einem Beschäftigungsprogramm im öffentlichen Dienst überbrückt werden, etwa durch umfangreiche Einstellungen bei der Betreuung von Kindern und Senioren. „Wir sollten dieses Programm starten, bevor es Proteste gibt“, rät er. Regierung und Geberländer hätten Pilotprogramme finanziert, die dem Bedarf nicht gerecht würden.

Für Planungsminister Imad Fachuri hat der Abbau der Arbeitslosigkeit oberste Priorität. Unter anderem sollen mit umgerechnet 31 Millionen Euro junge Unternehmensgründer gefördert werden. Die Jordanier müssten verstehen, dass der öffentliche Sektor nicht länger der wichtigste Arbeitgeber des Landes sein könne, sagt Fachuri. Es gebe auch Chancen außerhalb des Staatsdienstes. „Doch das erfordert auch ein Umdenken“.

In Dhiban, einer 25.000-Einwohner-Stadt, rund 70 Kilometer von der Hauptstadt Amman entfernt, fühlen sich viele an den Rand gedrängt. Als Regierungstruppen unterstützt von gepanzerten Fahrzeugen das Protestcamp räumten, wurden zwei Dutzend Demonstranten vorübergehend festgenommen, darunter auch Maschaaleh. Die Proteste seien friedlich gewesen, betont er, obwohl nach Angaben des Innenministeriums in Dhiban drei Beamte durch Schüsse verletzt wurden.

Bürgermeister Fhaid al-Rauahneh betont, man wolle nicht gegen Sicherheitskräfte kämpfen. Doch die Regierung müsse mehr tun, um Produktionsstätten in die Region zu locken. Der Versuch, ein Fertighaus-Unternehmen auf einem Gratis-Grundstück in Dhiban anzusiedeln, scheiterte nach seinen Worten an der Bürokratie.

Junge Leute haben wenig Möglichkeiten. Wer kann, meldet sich zum Polizei- oder Militärdienst in Amman, doch ein großer Teil des kargen Lohns wird dann von den hohen Beförderungskosten aufgefressen. Nur eins seiner vier Kinder mit Hochschulabschluss habe eine Stelle, klagt Al-Rauahneh: „Es gibt Arbeitslosigkeit in jeder Familie. Alles, was wir verlangen, sind Arbeitsplätze.“

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