Nahost-Konflikt Israel reagiert mit Militärschlag auf Angriffe Irans, Großmächte fordern Deeskalation

Israelische Streitkräfte haben in der Nacht massiv gegen Angriffe iranischer Stellungen in Syrien zurückgeschlagen. Russland und die EU rufen beide Seiten zur Zurückhaltung auf.

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Tel Aviv Angesichts der zugespitzten Lage im Nahen Osten haben Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Deeskalation aufgerufen. Macron und Merkel hätten in Aachen miteinander gesprochen und sich besorgt gezeigt, verlautete es aus Kreisen des Élyséepalastes mit Blick auf die Militärschläge in Syrien. Ein deutscher Regierungssprecher betonte, beide hätten zu Besonnenheit und Deeskalation in der Region aufgerufen.

Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran war in der Nacht zum Donnerstag gefährlich eskaliert. Iranische Streitkräfte hatten nach israelischen Angaben erstmals von Syrien aus israelische Militärposten angegriffen. Damit habe das Land nach den Worten des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu „eine rote Linie überschritten“. Israels Luftwaffe griff daraufhin Dutzende iranische Militärziele in Syrien an. „Die israelische Armee hat einen sehr breiten Angriff gegen iranische Ziele in Syrien ausgeführt“, sagte Netanjahu. Für gewöhnlich äußert Israel sich nicht zu solchen Attacken.

„Wir befinden uns in einem langem Kampf, und unsere Politik ist klar: Wir werden es dem Iran nicht erlauben, sich militärisch in Syrien zu etablieren“, sagte Netanjahu. Auch die Weltgemeinschaft müsse dabei helfen, die dortige Etablierung der iranischen Al-Kuds-Brigaden zu verhindern. Wer Israel angreife, müsse mit einer siebenfach härteren Reaktion rechnen, warnte Netanjahu.

Auch mit Blick auf den US-Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran erklärte Merkel in ihrer Laudatio auf den neuen Karlspreisträger Macron: „Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.“

Auch die britische Regierung hat zur Besonnenheit aufgerufen. „Wir verurteilen die Attacke des Irans auf Israel“, sagte ein Regierungssprecher am Donnerstag in London. Der Iran müsse weitere Angriffe unterlassen. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen. „Wir rufen Russland dazu auf, seinen Einfluss in Syrien zu nutzen, um weitere iranische Attacken zu verhindern.“

Der russische Außenminister Sergej Lawrow wiederum hat die Spannungen zwischen Israel und dem Iran als beunruhigend bezeichnet. „Alle Fragen müssen im Dialog gelöst werden“, sagte er am Donnerstag bei einem Treffen mit Bundesaußenminister Heiko Maas in Moskau. Russland habe bei seinen Gesprächen mit dem Iran und Israel dazu aufgerufen, auf gegenseitige Provokationen zu verzichten.

Der Golfstaat Bahrain verteidigte die israelischen Luftangriffe. „Solange der Iran die Region destabilisiert und Länder mit ihren Truppen und Raketen verletzt, hat jedes Land in der Region, einschließlich Israel, das Recht sich zu verteidigen und Quellen der Gefahr zu zerstören“, schrieb Bahrains Außenminister Chalid bin Ahmed al Chalifa am Donnerstag auf Twitter. Bahrain betrachtet den schiitischen Iran als Feind, der versucht, seinen Einfluss in der arabischen Welt auszubauen. Die Regierung des Golfstaates hatte Teheran wiederholt vorgeworfen, die schiitische Mehrheit des Landes gegen das Königshaus aufzubringen.

Die Stellungnahme ist bemerkenswert, weil Bahrain wie viele weitere arabische Staaten keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhält. Unter Arabern ist die Abneigung gegenüber Israel weit verbreitet. Zuletzt hatte jedoch auch die Regionalmacht Saudi-Arabien im Angesicht der Spannungen mit Teheran seine Position gegenüber Israel abgeschwächt.

Israels Luftwaffe hatte auf einen iranischen Raketenangriff aus Syrien mit massiven Attacken auf iranische Ziele in dem Bürgerkriegsland reagiert. Dabei wurden nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers Avigdor Lieberman fast alle dortigen Infrastrukturen des Irans getroffen. Dagegen sei keine der 20 von iranischen Streitkräften auf die Golanhöhen abgefeuerten Raketen auf von Israel kontrolliertem Gebiet eingeschlagen, sagte Lieberman am Donnerstag auf einer Konferenz in Herzlija bei Tel Aviv. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, bei dem Angriff in Syrien seien 23 Menschen getötet worden.

Nach Angaben der israelischen Armee wurden vier der Geschosse von der israelischen Raketenabwehr abgefangen. Es habe keine israelischen Opfer gegeben. Die anderen Raketen schlugen nach Aussage von Lieberman noch auf syrischem Staatsgebiet ein.

Die Angriffe erfolgten einen Tag nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran und dem Besuch von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Teheran ist neben Russland und der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah wichtigster Verbündeter des syrischen Staatschefs Baschar al-Assad. Israel wirft Teheran vor, seine Präsenz im Bürgerkriegsland Syrien ausgebaut und viele Waffen dorthin geliefert zu haben. Israel wird für Luftangriffe in Syrien verantwortlich gemacht, bei der auch Iraner getötet wurden. Teheran drohte mit Vergeltung.

„Wir haben kein Interesse an einer Eskalation, aber wir müssen auf jedes Szenario vorbereitet sein“, sagte Lieberman. Er sagte, es handele sich um einen punktuellen Konflikt Israels mit den iranischen Al-Kuds-Brigaden, der Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden. „Alle wollen den Konflikt genau auf dieses Karree beschränken.“ Das israelische Sicherheitskabinett wollte nach Medienberichten am Donnerstagabend zusammenkommen.

„Irans Militär schweren Schaden zugefügt“

Iranische Streitkräfte hatten in der Nacht zum Donnerstag erstmals von Syrien aus israelische Militärposten angegriffen, wie der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus mitteilte. Die Al-Kuds-Brigaden hätten 20 Raketen auf die Golanhöhen abgefeuert. „Wir sehen diese iranische Attacke auf Israel als sehr schwerwiegend an.“ Israels Luftwaffe habe daraufhin mehr als 50 iranische Militärziele in Syrien angegriffen, teilte die Armee mit.

Die israelischen Luftangriffe in Syrien gehörten zu den „größten, die Israels Armee gegen iranische Ziele unternommen hat“. Man habe dem iranischen Militär schweren Schaden zugefügt. Es seien Einrichtungen des Geheimdienstes, der Logistik, Militärposten, Lagerräume und Spähposten getroffen worden. Man habe auch das Gefährt zerstört, von dem aus die Raketen auf die Golanhöhen abgefeuert wurden. Es habe sich in 30 bis 40 Kilometern Entfernung von Damaskus befunden.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte trafen Israels Raketen zahlreiche Ziele im Zentrum und Süden Syriens. Angegriffen worden seien Stellungen der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah und anderer regierungstreuer Milizen. Diese werden vom Iran unterstützt. Den Menschenrechtlern zufolge wurden zudem Militärposten bombardiert, an denen iranische Kämpfer sowie Soldaten der syrischen Armee stationiert waren. Es habe große Schäden gegeben.

Die syrische Luftabwehr habe israelische Flugzeuge beschossen, aber nicht getroffen. „Wir haben die Syrer gewarnt, sich nicht einzumischen, aber sie haben es trotzdem getan.“ Conricus warnte: „Weitere Versuche, Israel zu attackieren, werden eine schwerwiegende Reaktion zur Folge haben.“ Man habe Russland vor dem Angriff in Syrien informiert.

Russland rief beide Parteien zur Zurückhaltung auf. „Das ist alles sehr beunruhigend“, sagte der russische Vizeaußenminister Michail Bogdanow in Kasan der Agentur Tass zufolge. „Wir haben Kontakt mit beiden Seiten.“ Russland bemühe sich seit langem um eine Entspannung der Lage, sagte er.

Israel habe in der Nacht etwa 70 Raketen auf syrisches Gebiet abgefeuert, teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau mit. Dabei seien 28 F15- und F16-Kampfjets im Einsatz gewesen. Etwa die Hälfte der Geschosse habe das syrische Militär abgefangen, hieß es weiter.

Mit Hinweis auf Warnungen vor einem iranischen Angriff von Syrien aus hatte Israels Armee schon am Dienstag Reservisten mobilisiert. Die Armee hatte zudem Ortschaften auf den Golanhöhen angewiesen, die Luftschutzbunker zu öffnen. Israel hatte die Golanhöhen 1967 erobert und später annektiert. Die Armee wies die Einwohner der Golanhöhen am Donnerstag an, ihrer normalen Routine nachzugehen. Schulen und Kindergärten blieben geöffnet.

Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, bei den israelischen Angriffen seien unter anderem Einheiten der Luftverteidigung, eine Radarstation und ein Munitionslager getroffen worden. Syriens Luftabwehr schoss demnach Dutzende israelische Raketen ab. Die meisten hätten ihr Ziel nicht erreicht, berichtete Sana.

Auch in der Nacht zuvor wurde ein mutmaßlicher israelischer Raketenangriff auf Ziele in Syrien gemeldet. Dabei kamen nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mindestens 15 Menschen ums Leben. Der Angriff habe einem Waffenlager der iranischen Revolutionsgarden gegolten.

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