NATO, Handel und transatlantisches Verhältnis „Amerika war immer die Fackel der Freiheit“

„Amerika wird wieder mit am Tisch sitzen. Die Philosophie von ‚America first‘ oder ‚America only‘ wird verschwinden und ersetzt werden durch ‚America forward‘“, sagt Demokrat Gregory Meeks. Quelle: imago images

Die amerikanische Glaubwürdigkeit auf der Weltbühne hat gelitten. Nicht nur in den jüngsten Tagen, sondern seit Jahren, sagt Gregory Meeks, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Repräsentantenhaus. Joe Bidens Administration werde einiges reparieren müssen.

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US-Politiker Gregory Weldon Meeks ist Mitglied der Demokratischen Partei und seit 1998 Mitglied des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten für den Bundesstaat New York und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Repräsentantenhaus

WirtschaftsWoche: Chairman Meeks, wenige Tage vor der Amtsübernahme von Joe Biden stürmten Protestler das Kapitol und unterbrachen damit den Verfassungsprozess, der üblicherweise die friedliche Machtübergabe regelt. Was bedeutet der Aufstand für das Image einer so stolzen Demokratie?
Gregory Meeks: Amerika war immer die Fackel der Freiheit. Der Beweis, dass freie und faire Wahlen möglich sind und die Demokratie funktioniert. Aber was im Kapitol passiert ist, schadet unserer Reputation und beschädigt unser Ansehen weltweit. Das wird spürbare Auswirkungen auf die amerikanische Glaubwürdigkeit auf der Weltbühne haben. Während unsere Alliierten trauerten, schauten die autoritären Regimes dieser Welt entzückt zu, wie unser System in Wanken geriet. Und doch: Unsere Institutionen haben dem Aufstand Stand gehalten. Ich hoffe, dass wir nun überparteilich beweisen können, dass die vergangenen vier Jahre eine Ausnahme waren.

Die transatlantischen Beziehungen haben in der Tat vier harte Jahre hinter sich. Wird sich das Verhältnis mit Biden im Weißen Haus wieder bessern?
Absolut! Amerika wird wieder mit am Tisch sitzen. Die Philosophie von „America first“ oder „America only“ wird verschwinden und ersetzt werden durch „America forward“. Das bedeutet, dass wir mit unseren Alliierten auf der anderen Seite des Atlantiks multilateral kooperieren werden. Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir mit unseren europäischen Partnern so eng wie möglich zusammenarbeiten. Denn uns verbinden Werte.

Einige Streitpunkte zwischen den Partnern sind jedoch nicht beigelegt. Die USA kritisieren bereits seit Langem, dass mehrere europäische NATO-Mitglieder ihren Verpflichtungen mit Blick auf Verteidigungsausgaben nicht nachkommen – darunter auch Deutschland. Wird Washington den Druck der Trump-Jahre in dieser Frage aufrechterhalten?
Wir müssen das Thema ganzheitlich betrachten. Einige Länder – wie Deutschland – tun deutlich mehr im Bereich Entwicklungshilfe oder sind stark von Migrationsbewegungen betroffen. Ich denke, das muss man mit Blick auf die Verteidigungsausgaben berücksichtigen. Natürlich sollen alle NATO-Länder ihre Verpflichtungen erfüllen. An dieser Einschätzung wird sich nichts ändern und wir werden versuchen sicherzustellen, dass es auch so kommt. Doch wir sollten dieses Ziel erreichen, ohne unsere Beziehungen aufs Spiel zu setzen. So arbeitet man mit Freunden und Alliierten zusammen.

Twitter sperrt das Konto des scheidenden US-Präsident – dauerhaft. Während Donald Trump auf Twitter verstummt und über eine eigene Plattform nachdenkt, versuchen die Demokraten, ihn nun noch des Amtes zu entheben.

Tatsächlich haben mehrere europäische Länder ihre Verteidigungsausgaben erst erhöht, nachdem Präsident Trump die NATO-Mitgliedschaft der USA in Frage stellte. Brauchte die Allianz vielleicht diesen Schock, um in Bewegung zu kommen?
Wenn ich in den vergangenen Jahren nach Europa gereist bin, habe ich in vielen Gesprächen immer das gleiche gehört: Vielleicht können wir Amerika nicht mehr trauen und vielleicht können wir uns auf Amerika nicht mehr verlassen. Das hat einige unserer Partner dazu gebracht, mehr in ihre eigene Sicherheit zu investieren. Es geht jedoch nicht nur ums Geld. Es geht darum sicherzustellen, dass wir eine echte Partnerschaft haben, in der wir uns gegenseitig stützen – so wie es etwa unsere europäischen NATO-Partner nach den Anschlägen des 11. September 2001 getan haben. Gemeinsam haben wir die erfolgreichste Allianz seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut. Der finanzielle Aspekt ist wichtig, aber eben nicht alles. Es geht darum, wie wir miteinander zusammenarbeiten.

Ein anderer Bereich, in dem sich die Beziehungen zuletzt verschlechtert haben, ist das Thema Handel. Vor fünf Jahren haben die EU und die USA noch über TTIP verhandelt, kurz darauf standen sie an der Schwelle zu einem Handelskrieg. Wie wird sich die Beziehung entwickeln?
Ich glaube nicht an Zollschlachten, schon gar nicht mit unseren Alliierten. Und persönlich glaube ich auch nicht, dass sie uns im Umgang mit unseren Gegnern viel bringen. Es würde uns allen nützen, wir uns in einer globalisierten Welt in Handelsfragen mit Europa eine gemeinsame Linie finden. Werden wir uns immer zu 100 Prozent einig sein? Nein. Aber wir werden miteinander reden. Und es sollte auch nicht zu schwer sein, einen gemeinsamen Nenner zu finden – schließlich verbinden uns Werte. Handelsgespräche brechen oft zusammen, wenn es Streit um beispielsweise humanitären Fragen gibt. Das dürfte zwischen den USA und der EU nicht passieren. Und indem wir uns einigen, können wir ein Vorbild werden für die immer enger zusammenwachsende Weltwirtschaft.

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von Andreas Freytag

Ist eine formale Wiederaufnahme der TTIP-Gespräche derzeit denkbar?
Dafür müsste sowohl hier als auch in Europa viel passieren. Man müsste die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Handelsbeziehungen überzeugen – und da gibt es noch einiges zu tun. Ich denke, dass Präsident-elect Biden die richtigen Personen ausgewählt hat, um diese Aufgabe anzugehen, sodass wir den abgerissenen Gesprächsfaden vielleicht doch wieder aufnehmen können. Wenn wir in der Endphase der Obama-Administration TTIP nicht wegen des Fokus auf TPP zurückgestellt hätten, wäre es wohl ratifiziert worden. Wir waren sehr nah dran. Ich hoffe, dass wir daran anschließen können.

Aus deutscher Perspektive sah es in den vergangenen vier Jahren so aus, als hätte die Trump-Administration in Europa vor allem Beziehungen jenseits ihrer traditionellen Partner gesucht – etwa durch gute Kontakte zu Ländern wie Polen, Ungarn oder Österreich. Warum diese Verschiebung?
Das waren nun einmal die unglücklichen Beziehungen, die der 45. Präsident angestrebt hat. Ich hatte ohnehin den Eindruck, dass er vor allem an engen Kontakten zu autoritären Regierungen interessiert war und zu solchen Staaten, die Demokratie nicht im klassischen Sinne praktizieren. Diese Politik auf Kosten unserer traditionellen Verbündeten wird sich mit der Amtseinführung von Joe Biden ändern. Wir haben gute Gründe, wegen der Entwicklung in Polen und Ungarn besorgt zu sein. Und wir werden unsere Bedenken gemeinsam mit Ländern wir Deutschland künftig mit einer Stimme ansprechen.

„Die Biden-Administration wird also einiges reparieren müssen“

Trotzdem bleiben Streitpunkt zwischen den USA und Deutschland. Der Kongress etwa verabschiedete erst kürzlich wieder neue Sanktionen gegen das deutsch-russische Pipelineprojekt Nord Stream 2. Wie werden die Vereinigten Staaten regieren, wenn der Bau abgeschlossen werden sollte?
Ich halte Nord Stream 2 für einen schlechten Deal. Das Projekt ist nicht gut für die Energieversorgung Europas und auch nicht für die europäische Wirtschaft. Ich denke aber nicht, dass das Projekt die transatlantischen Beziehungen grundsätzlich in Frage stellen sollte. Wenn man mit einem Freund und Alliierten in einer Frage unterschiedlicher Auffassung ist, dann spricht man das offen an. Das haben wir getan. Aber würden wir wegen Nord Stream 2 eine Scheidung in Erwägung ziehen? Natürlich nicht!

Welchen Anteil hat das Interesse der amerikanischen Energiewirtschaft in Europa LNG zu verkaufen am Widerstand gegen die Pipeline?
Ich weiß nicht, wie groß der Anteil ist. Es mag für einige eine Rolle spielen. Für mich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses tut es das nicht. Mir geht es darum, einen schlechten Deal für die Energiepolitik unserer europäischen Partner abzuwenden.



Der Fokus der amerikanischen Außenpolitik scheint sich in den vergangenen Jahren zunehmend Richtung Asien verschoben zu haben – vom „Pivot to Asia“ unter Obama bis zu Trumps Handelskrieg mit China. Welche Rolle kommt Europa aus amerikanischer Sicht in diese Auseinandersetzung zu?
China wird auf absehbare Zeit Teil unserer Konversationen bleiben. Und das muss angesichts der Bevölkerungsentwicklung auch so sein. Der beste Weg mit China umzugehen ist aus meiner Sicht jedoch nicht, Europa und unsere europäischen Verbündeten zu vergessen. Wir müssen uns den Herausforderungen durch Chinas Aufstieg gemeinsam mit unseren Alliierten stellen. Wir dürfen zudem nicht vergessen, dass China zuletzt an Einfluss gewonnen hat, weil die USA sich von der internationalen Bühne zurückgezogen und wir Peking so Raum geboten haben, sich auszubreiten. Wir müssen jetzt gemeinsam mit unseren europäischen Partnern China signalisieren, dass wir es nicht ausschließen wollen, aber dass es sich an Regeln halten muss. Das Ziel muss sein, gemeinsame globale Lösungen zu finden, um beispielsweise im Bereich Klimawandel echte Fortschritte auf der ganzen Welt zu machen. Und dafür brauchen wir klare Regeln und einen fairen Umgang miteinander.

Gibt es im außenpolitischen Erbe der Trump-Administration etwas, dass sich Präsident Biden zu eigen machen sollte?
Sehr wenig. Es ist eine positive Entwicklung, dass einige arabische Staaten Israel anerkannt haben. Ich hoffe, dass wir darauf aufbauen können und so auch die Palästinenser für echte Verhandlungen an den Tisch bekommen.

Im Bereich der transatlantischen Beziehungen fällt Ihnen nichts ein?
Nein. Was denn auch? Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat er die Existenz der NATO bedroht. Er scheint die EU zu verachten und hat den Brexit unterstützt. Er hat das Pariser Abkommen verlassen und den Atomdeal mit dem Iran. Mir fällt wirklich nichts ein, was die Beziehungen über den Atlantik in den vergangenen vier Jahren gestärkt hätte. Wir haben uns vielmehr voneinander entfernt. Die Biden-Administration wird also einiges reparieren müssen – und ich werde als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses alles dafür tun, um dabei zu helfen.

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Wird Biden neben der Reparaturmaßnahmen überhaupt noch Kapazitäten haben, um die Beziehungen nach vorne zu entwickeln?
Natürlich wird es Initiativen geben, die Beziehungen auszubauen. Ich erwarte etwa Vorstöße über eine Zusammenarbeit im Bereich nachhaltiger Entwicklung oder bezüglich der Beziehungen zu Afrika. Aber wir müssen auch das Vertrauen unserer Partner zurückgewinnen. Da ist in den vergangenen Jahren viel verloren gegangen. Trotzdem spüre ich eine große Freude darüber, dass die USA wieder mit am Tisch sitzen werden.

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