Nato und Russland Alte Feindschaft rostet nicht

Vor 71 Jahren kapitulierte Nazi-Deutschland: Russland feiert das jährlich mit einer Militärparade. Doch die Machtdemonstration verschärft die Spannungen zwischen Russland und der Nato – und das kann gefährlich werden.

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Die Soldaten scheinen sich ihrer Macht gewiss: Sie marschieren mit einem Lächeln auf den Lippen. Doch die jährliche Parade verschärft die Spannungen zwischen Russland und der Nato. Quelle: AP

Moskau Es ist kein rundes Jubiläum, doch auch am 71. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands hat die Militärparade zum „Tag des Sieges“ in Moskau nichts von ihrer Dimension eingebüßt: Rund 10.000 Soldaten sind auf dem Roten Platz aufmarschiert, dazu modernste Panzertechnik, Raketen- und Flugabwehrsysteme, Kampfhubschrauber und Atomraketenträger.

Der Tag gilt dem Gedenken an die Opfer des faschistischen Angriffskriegs und ist zugleich eine alljährliche Demonstration der Stärke, die sich generell an den Westen und besonders an die Nato richtet. Dass westliche Truppen der Anti-Hitler-Koalition an der Siegesparade teilnehmen, wie es noch 2010 der Fall war, scheint inzwischen undenkbar. Zu groß sind Misstrauen und Ablehnung auf beiden Seiten.

„Russland ist bereit, an der Schaffung eines blockfreien Systems für internationale Sicherheit zu arbeiten“, sagte Wladimir Putin dann am Montag vor der mit Ehrengästen besetzten Tribüne. Der Präsident machte deutlich, dass die Nato für die russische Führung kein Sicherheitselement darstellt. Seine Erinnerung, dass es „namentlich das sowjetische Volk war, das anderen Völkern die Freiheit brachte“, wird freilich vor allem in Osteuropa heftig bestritten. Dort gilt die Rote Armee vielfach nur als weiterer Unterdrücker.

Allen voran im Baltikum und in Polen ist die Angst vor dem „russischen Bären“ groß. Die dröhnende Siegestour des nationalistisch-orthodoxen Bikerclubs „Nachtwölfe“ nach Berlin wurde dort als Provokation aufgefasst. Warschau versuchte – letztendlich vergeblich – die Fahrt des russischen Motorradclubs zu verhindern. Balten und Polen sind in Europa auch die eifrigsten Befürworter einer Nato-Aufrüstung und –Erweiterung gen Osten.

Eben diese Erweiterungspläne haben wohl die schärfste Krise in Europa nach Ende des Kalten Kriegs hervorgerufen. Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch wurde in Russland als Angriff auf die eigene Sicherheit verstanden, auf die es mit der Annexion der Krim reagierte. Die Ukraine als Nato-Mitglied gilt in Moskau als Horrorvision – der Kreml will sie weiterhin mit allen Mitteln verhindern.


Russland investiert 20 Prozent in Rüstungsetat

Auch mit Georgien liegt Russland im Streit. Das georgisch-amerikanische Militärmanöver „Noble Partners“ rief kürzlich einen neuen verbalen Schlagabtausch zwischen Moskau und Tiflis hervor: Das russische Außenministerium sprach von einer „Provokation“, woraufhin Georgiens Parlamentschef David Usupaschwili Amerikanern und Europäern demonstrativ seinen Dank für ihre diplomatische Hilfe im Fünftagekrieg 2008 aussprach, „als Georgien von Flugzeugen eines anderen Lands“ bombardiert worden sei.

Eine schnelle Aufnahme Georgiens und mehr noch der Ukraine in die Nato ist trotz ihres Strebens nicht zu erwarten. Die Aufrüstung des Militärbündnisses hingegen ist bereits in vollem Gang: Vier Nato-Bataillone sollen künftig in Osteuropa stationiert werden, kündigte Pentagon-Chef Ashton Carter Anfang Mai an.

Insgesamt 4000 Soldaten rücken damit an die russische Westgrenze – auch die Bundeswehr soll sich beteiligen. Die USA erwägen gar die Stationierung einer gesamten Panzerbrigade in Osteuropa. Über die genauen Modalitäten will sich die Militärallianz bei ihrem Treffen in Warschau verständigen. Russland ist in das Wettrüsten eingestiegen. Zwei neue Divisionen, also rund 20.000 Soldaten, sollen an die West- und Südflanke verlegt werden.

Trotz Wirtschaftskrise investiert Russland weiterhin etwa 20 Prozent seiner Etatausgaben in das Militär. „Weder die Ukraine, noch Syrien konnten die psychologische Spannung auflösen. Die Führer der USA und teilweise auch Russlands glauben noch nicht, dass ihre Länder die gefährliche Grenze erreicht haben. Es ist eine noch größere Krise nötig, um die sich angehäuften Fragen zu lösen“, kommt Alexej Fenenko, Mitarbeiter des Instituts für internationale Sicherheit an der Russischen Akademie der Wissenschaften, zu einer pessimistischen Prognose.

Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass beide Seiten die Konfrontationsspirale nicht endlos weiterdrehen wollen. So wurde jüngst der Nato-Russland-Rat nach zwei Jahren Pause wiederbelebt. Viel Einfluss hat das Organ nicht – und doch ist die Wiederaufnahme des Dialogs ein Indikator dafür, dass der Ernst der Lage verstanden wurde.

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