Nazi-Vergleich Erdogan spielt mit der Wirtschaft seines Landes

Die Türkei und Deutschland sind wirtschaftlich eng verflochten. Die aggressiven Worte des türkischen Präsidenten Erdogan könnten dem Verhältnis aber schaden. Das Investitionsvolumen ist schon gesunken.

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Die Diplomatie des türkischen Staatspräsidenten nimmt wenig Rücksicht auf die Interessen der Unternehmen im Land.

Präsident Recep Tayyip Erdogan könnte mit seinem Nazi-Vergleich den ohnehin schwächelnden deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen einen weiteren Schlag versetzt haben. Er droht mit provozierenden Äußerungen nicht nur den wichtigen deutschen Wirtschaftspartner zu verschrecken, sondern auch andere Partner in Europa. Damit riskiert er viel, denn die türkische Wirtschaft ist von ihren deutschen und europäischen Handels- und Geschäftspartnern in vielfältiger Weise abhängig.

„Die Wirtschaft des Landes läuft für türkische Verhältnisse sehr schlecht“, beschreibt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutsche Industrie- und Handelskammertages (DIHK), die Lage. Die Auslandsinvestitionen brachen im vergangenen Jahr um fast ein Drittel ein, das Wirtschaftswachstum 2017 könnte bestenfalls mit rund drei Prozent halb so groß wie vor zwei Jahren ausfallen und die Arbeitslosenrate betrug zuletzt rund zwölf Prozent.

Dass es mit dem Wachstum der türkischen Wirtschaft momentan dennoch vergleichsweise gut aussieht, sollte nach Treiers Worten nicht täuschen. Wenn es weiter mit den Beziehungen der Türkei zu Deutschland und der EU so bergab gehe wie zuletzt, könnte das nur "die Ruhe vor dem Absturz" sein, sagt er voraus. Es gebe aber, ganz im Gegensatz zur provozierenden Rhetorik des Präsidenten, inzwischen viele Bemühungen türkischer Stellen, Investoren aus Deutschland und andern Ländern zu umwerben.

In das Bild passt, dass der türkische Vize-Premier Mehmet Simsek im Februar Deutschland bereiste und um Unterstützung für die wackelige Wirtschaft seines Landes warb – nicht nur bei Finanzminister Wolfgang Schäuble, sondern auch bei Vertretern der deutschen Wirtschaft. Denn mit rund 6800 Firmen im Land stehen die Deutschen unter den ausländischen Wirtschaftspartnern der Türkei ganz weit oben. „Die deutschen Unternehmen verlassen zwar nicht das Land, aber sie investieren nicht neu“, beschreibt der DIHK die jüngsten Entwicklungen. Die Anfragen von deutschen Firmen bei der deutsch-türkischen Handelskammer, die in oder mit dem Land Geschäfte machen wollen, hätten sich zuletzt halbiert. „Neue deutsche Investoren bleiben fern“, erzählt er.

Die Türkei ist in vielfältiger Weise abhängig von Partnern in aller Welt. Das gilt in Hinblick auf Deutschland und seine EU-Partner. Schaut man sich die Rangliste der wichtigsten Bestimmungsländer für türkische Exporte an – die 2016 insgesamt trotz der schwacher Lira leicht zurückgingen – liegt Deutschland mit knapp zehn Prozent Anteil ganz vorne. Als Lieferland sind die Deutschen mit knapp elf Prozent der türkischen Importe Nummer zwei, etwa zwei Punkte hinter China. Gut 37 Milliarden Euro erreichte der Warenaustausch beider Länder im Vorjahr.

Nimmt man die gesamte EU, so entfallen auf den Staatenbund fast die Hälfte aller türkischen Güter-Exporte. Bei den türkischen Importen war die Position der Union 2016 mit 39 Prozent etwas schwächer. Die ausländischen Investitionen sackten unter dem Eindruck von Anschlägen und innenpolitischen Wirren um 31 Prozent auf rund zwölf Milliarden Dollar ab. Unter den fünf größten Auslandsinvestoren lagen drei Europäer – die Briten, die Niederländer und die Deutschen.

Auch der Türkei-Tourismus als großer Devisenbringer der letzten Jahre ist ins Straucheln geraten. Nur noch gut 25 Millionen Ausländer kamen im Vorjahr in das Land – gut zehn Millionen weniger als ein Jahr zuvor. Und nur noch 3,89 Millionen deutsche Reisende zählten die Behörden – eineinhalb Millionen weniger als 2015. Der negative Trend setzte sich im Januar 2017 fort – wobei die Deutschen inzwischen auch nicht mehr die Nummer Eins waren.

Ein weiterer wichtiger Bereich, bei dem die Türkei auf die EU-Länder setzt, ist die Zollunion. Ungeachtet der politischen Spannungen wollen EU und Türkei diese seit 20 Jahren bestehende Union vertiefen. In Brüssel rechnet man für diesen Fall mit einer Zunahme der Exporte Richtung Bosporus um 27 Milliarden Euro. Die Türkei könnte mehr Waren im Wert von fünf Milliarden Euro in die Staatengemeinschaft einführen. Für beide Seiten wird ein Wachstumsimpuls erwartet. Noch ist die Zollunion aber nicht Gegenstand im aktuellen Streit.

Ganz anders ist das bei den Milliarden an Vorbereitungshilfen der EU für die Türkei mit Blick auf einen fernen Beitritt. Um rund 4,5 Milliarden Euro geht es für den Zeitraum 2014 bis 2020. Österreichs Kanzler Christian Kern hat eine Streichung dieser Hilfen schon ins Gespräch gebracht.

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