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Neue Regierung Ehrgeizige Ziele für Großbritannien

Die neue konservativ-liberale Koalition stellt die Weichen für grundlegende Reformen in Politik und Wirtschaft. Aus London berichtet Yvonne Esterházy.

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David Cameron (r.) und Nick Quelle: AP

Das Idyll war fast zu perfekt. Als der neue britische Premierminister David Cameron und sein Stellvertreter, Nick Clegg von den Liberalen, sich Mittwochnachmittag erstmals als neues Regierungsteam den Fragen der Journalisten stellten herrschte eine entspannte – ja fast ausgelassene Stimmung. Im Rosengarten der Downing Street 10 zwitscherten die Vögel und die beiden Politiker stellten ihre neugefundene Harmonie demonstrativ zur Schau.

Nach 13 Jahren Labour regiert wieder ein Tory in Großbritannien, der jüngste Premier seit fast 200 Jahren leitet die erste Koalitionsregierung seit 1945 und die hat sich ehrgeizige Ziele für die Zukunft Großbritanniens gesetzt. Drastische Sparmaßnahmen zum Abbau des Haushaltsdefizits, Steuerreformen, eine neue Bankgesetzgebung und eine grundlegende Überholung des Wahlrechts stehen im Zentrum der Regierungspläne.

Der unentschiedene Wahlausgang vom 6. Mai, die enormen Haushaltsprobleme und das schwierige wirtschaftliche Umfeld erzwangen dieses in Großbritannien unübliche politische Zweckbündnis, von dem niemand zu prognostizieren wagt, wie lange es halten wird. Möglicherweise wird es unter dem Druck der großen Meinungsunterschiede, die vor allem Europa, den Krieg in Afghanistan und die Haushaltssanierung betreffen,  schon in wenigen Monaten platzen und Neuwahlen erzwingen. Doch zunächst einmal hat die neue Regierung einen sechsseitigen Koalitionsvertrag vorgelegt, der – in Form einer Regierungserklärung - am 25. Mai von Königin Elizabeth II im Parlament vorgestellt werden soll. „Ein glaubwürdiges Dokument, das zeigt dass die neue Regierung die entscheidenden Probleme anpacken will“, lobte Richard Lambert, Generaldirektor des Industrieverbandes CBI.

Euroskeptiker wird Außenminister

Neuer Finanzminister wird der konservative Politiker George Osborne, mit 38 Jahren der jüngste Amtsinhaber seit 125 Jahren – eine Wahl die nicht unumstritten sein dürfte, da Osborne in der City mit dem Ruf mangelnder Kompetenz zu kämpfen hat. Schon in 50 Tagen will Osborne einen Nothaushalt mit Ausgabenkürzungen in Höhe von sechs Milliarden Pfund vorlegen. Die Haushaltssanierung soll in erster Linie über Sparmaßnahmen finanziert werden. Geplant ist außerdem ein neues parteiunabhängiges Budgetgremium, das den Finanzminister beratend zur Seite stehen, unpolitische Wachstumsprognosen und Empfehlungen für die Neuverschuldung veröffentlichen soll.

Außenminister wird der Euroskeptiker William Hague von den Tories, sein dem rechten Flügel zugerechneter Parteifreund Liam Fox erhält das Verteidigungsressort. Der 67-jährige Liberaldemokrat Vince Cable übernimmt das Wirtschaftsressort und wird künftig auch für die Banken zuständig sein. Während der Finanzkrise hatte er sich als scharfer Kritiker der Bonus-Exzesse in der City profiliert.

Als Zugeständnis an die „Libdems“ gilt die Reform des Wahlrechts: Künftig wird es in Großbritannien fixe Legislaturperioden von fünfjähriger Dauer geben – demnach würde die nächste Wahl im Mai 2015 stattfinden. Das Parlament kann allerdings mit Zustimmung von 55 Prozent der Stimmen im 650 Mandate zählenden Abgeordnetenhaus vor diesem Termin aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen werden. Damit verliert der Premier das Recht,  Neuwahlen zu einem ihm genehmen Zeitpunkt anzuberaumen. Ferner  sollen die Briten in einer Volksabstimmung über die Reform des Mehrheitswahlrechts entscheiden. Stimmen sie zu, so würde künftig nach einem System gewählt, das eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht darstellt. Gewählt werden sollen künftig auch alle neuen Mitglieder des Oberhauses, ein Plan der noch aus Zeiten der alten Labour-Regierung stammt.

Weitere Neuerungen betreffen die City. Geeinigt haben sich die Koalitionspartner auf eine neue Bankenabgabe, über die Details wird noch verhandelt. Langfristig geplant ist außerdem ine Bankenreform, die nach dem Muster der früheren Glass-Steagall-Gesetze in den USA auf eine Trennung von Investmentbanking und Geschäftsbanking hinauslaufen könnte. Eine Kommission zur Prüfung dieser Frage soll in rund einem Jahr erste Empfehlungen für die Neuorganisation vorlegen. Der Bank of England wird die Oberaufsicht für das Bankensystem übertragen. Was aus der Finanzaufsichtsbehörde FSA wird, die im Zuge der Finanzkrise ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, ist noch unklar.

Auf wenig Freude dürften die Steuervorschläge in der City stoßen. Der von Labour eingeführte Spitzensteuersatz von 50 Prozent wird bis auf weiteres beibehalten, die Kapitalertragssteuer von 18 auf 40 Prozent erhöht. Die von von Labour vorgesehene Erhöhung der Sozialabgaben sollen für die Arbeitgeber – nicht aber für die Arbeitnehmer zurückgenommen werden. Niedrigverdiener mit einem Jahreseinkommen von bis zu 10.000 Pfund müssen dagegen keine Steuer zahlen.

Der Chef der Bank von England, Mervyn King, begrüßte die Pläne der neuen Regierung: „Die Finanzkrise ist noch lange nicht vorüber“, sagte er und mahnte, das Land müsse dringend sein Haushaltsdefizit in den Griff bekommen. Trotz Vogelzwitscher und Rosenduft stehen Cameron und Clegg schwierige Wochen bevor.

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