Materialmangel in der Industrie „Das ist nur der Anfang, die Engpässe werden bald noch schlimmer“

Verhoben. Der Duisburger Hafen ist über die sogenannte Neue Seidenstraße mit China verbunden, rund 11.000 Kilometer Schiene führen von Chongqing bis ins Ruhrgebiet. Doch nicht nur die strikten Lockdowns stellen die Logistiker nun vor Herausforderungen.   Quelle: imago images

Pekings strikte Zero-Covid-Politik verschärft die Engpässe in der Industrie. Nicht nur deshalb suchen Firmen nach alternativen Partnern in Asien. Was dabei zu beachten ist, erklärt Markus Bangen, CEO der Duisburger Hafen AG.

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Markus Bangen ist seit August 2021 Vorstandsvorsitzende der Duisburger Hafen AG. Mehr als 20.000 Schiffe und rund 25.000 Güterzüge werden jährlich in Duisburg abgefertigt, mehrere Millionen Container umgeschlagen. 

WirtschaftsWoche: Herr Bangen, Sie sind Chef des Duisburger Hafens, des größten Binnenhafens Europas. Bei Ihnen endet die sogenannte Neue Seidenstraße, die Duisburg über 11.000 Kilometer Schienennetz mit der chinesischen Industriemetropole Chongqing am Jangtse-Fluss verbindet. Welche Auswirkungen hat Chinas strikte Zero-Covid-Politik bei Ihnen?
Markus Bangen: Die Auswirkungen sind massiv. Unsere Terminals sind am Anschlag. Denn viele dringend benötigte Materialien haben durch die Lockdowns lange Lieferzeiten, Schiffe können China ja teilweise noch immer nicht oder sehr zeitverzögert wegen der dortigen Aufstauungen verlassen. Viele Unternehmen bestellen deshalb deutlich mehr Lieferungen, als sie brauchen. 

Haben Sie ein Beispiel? 
Unternehmen bestellen beispielsweise 400 Containerladungen statt zehn. Aber sie haben dafür gar keinen Lagerplatz, deshalb stapeln sich die Container nun bei uns. Meine Kollegen müssen quasi schon Tetris spielen, um doch noch ein Plätzchen zu finden. Aber selbst die hohen Lagergelder für die Spätabholer ändern nichts.

Die Firmen zahlen also lieber hohe Stand- und Lagegelder als ihre Container abzuholen?
Ja, denn sie wollen unbedingt ihre Versorgung sicherstellen, damit nicht wegen eines fehlenden Teils gesamte Produktionen lahmliegen, koste es, was es wolle. Wenn die Container hier aber nur rumstehen, fehlen sie anderswo für neue Ladungen, durch die Knappheit steigen dann wiederum die Preise. Das ist also eine fatale Verkettung. 

Und ein Kurswechsel in China ist nicht absehbar. 
Das alles ist nur der Anfang der Welle, in den nächsten vier bis fünf Monaten werden die Folgen der Lockdowns wohl noch schlimmer. Unsere Wahrnehmung ist, dass es in der gesamten verarbeitenden Industrie niemanden gibt, der nicht von Einschränkungen betroffen ist, weil Teile oder Rohstoffe fehlen. Auch wir selbst sind übrigens von den Engpässen betroffen.

Seit knapp einem Jahr Vorstandschef des Duisburger Hafens: Markus Bangen. Quelle: duisport / Oliver Tjaden

Inwiefern?
Wir haben einen Kran, der seit sechs Monaten stillsteht, weil ein Generator aus Südkorea fehlt. Aber das ist ja noch harmlos im Vergleich zu anderen fast schizophrenen Situationen wie bei der Industrie und den Maschinenbauern, die sich Berge von Waschmaschinen zusammenkaufen, um an die Halbleiter zu kommen.

Verschärft wird die Lage nun durch Russlands Krieg in der Ukraine. Was bedeutet das für die Außenwirtschaftspolitik – auch mit Blick auf den G7-Gipfel in Elmau?
China gut, alles gut – diese Denke funktioniert nicht mehr. Das war lange Zeit bequem, die Chinesen galten als „nice ones“, bei denen alles gut läuft. Auch wir mit dem Duisburger Hafen haben uns zu sehr zurückgelehnt.  

Zuletzt haben die Xinjiang-Papers noch einmal gezeigt, wie brutal China die Menschenrechte der Uiguren verletzt. 
Es ist ja nicht nur das Vorgehen in der Region Xinjiang, sondern quasi jeder Nachbar im asiatischen Raum wird durch China mit Territorialstreitigkeiten konfrontiert. Auch die Null-Covid-Strategie und die Unterstützung Russlands zeigt, wie stark sich China fühlt und dass es starke Eigeninteressen verfolgt. Das muss für uns ein Weckruf sein. Wir müssen unsere Geschäftsbeziehungen endlich breiter aufstellen.

Was heißt das?
Das heißt nicht, das China-Geschäft zu stoppen, dafür ist China auch zu wichtig. Und wir werden auch nicht die Globalisierung rückabwickeln oder große Industrieproduktionen zurückholen. Aber wir müssen Globalisierung endlich voll ausgerollt denken.  

Sie waren gerade mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Singapur, auch weitere Unternehmensvertreter etwa von Herrenknecht, Beiersdorf und der Peter Cremer Holding waren als Teil der Wirtschaftsdelegation dabei. Wie wichtig wird Singapur als Alternative zu China?
Singapur hat den zweitgrößten Containerhafen weltweit nach Shanghai, eine wichtige Drehscheibe. Wer wissen will, was Globalisierung ist, findet dort die perfekte Vorführung. Wir haben mit dem dortigen Hafenbetreiber PSA bereits eine Kooperation, die wir noch weiter ausbauen wollen. Der Standort ist für uns auch deshalb wichtig, weil das Land ein ähnliches Mindset hat wie wir, nämlich dass es eine Offenheit und viele verschiedene Partner braucht, die vertrauensvoll zusammenarbeiten.  

Sie sind als Logistiker für viele deutsche Unternehmen tätig. Bemerken Sie bei den Firmen eine Abkehr von der Fixierung auf China? 
Nehmen wir den deutschen Anlagebau. Bis vor ein, zwei Jahren hätte ich gesagt, dass der schwere Stahlbau automatisch aus China kommt. Aber auch die Unternehmen suchen nach neuen Quellen in Vietnam und Malaysia. Das ist ein steiniger Weg, weil es dort eben noch keine fertige Struktur gibt, auf die sie sich quasi blind verlassen können.

Aber diese Aufbauarbeit kostet viel Zeit und Geld.
Klar, sie müssen die Zulieferer erst an ihre Qualitätsansprüche heranführen. Ich glaube aber, dass dort in der Region hervorragende Möglichkeiten für neue Partnerschaften bestehen, die sich ausbauen lassen, etwa auch mit Indonesien und Malaysia. Die deutsche Wirtschaft hat in der Region einen sehr guten Ruf, aber den dürfen wir nicht verspielen. Wir dürfen nicht den Fehler machen und den Ländern vermitteln, dass sie nur Lückenbüßer sind, weil es mit China gerade mal nicht so gut läuft. Wenn diese Diversifizierung gelingen soll, müssen wir an nachhaltigen Beziehungen interessiert sein und diese aufbauen.

Nicht nur als Alternative zu China, sondern auch zu den sogenannten anderen BRICS-Staaten Brasilien, Indien und Südafrika, die die Sanktionen gegen Russland ebenfalls nicht mittragen wollen?
Der Block China und Russland ist aus meiner Sicht anders zu beurteilen als Länder wie Südafrika, Indien und Brasilien. Auch, wenn uns der Regierungsstil von Herrn Bolsonaro vielleicht nicht gefällt, ist er doch aus demokratischen Wahlen als Präsident hervorgegangen. Im weltweiten Handel wird man nicht weit kommen, wenn man mit missionarischem Eifer daran arbeiten will, dass alles so sein muss wie in Europa.

Die Ampel-Koalition hat sich jedoch eine wertegeleitete Außenwirtschaftspolitik vorgenommen. Ist das naiv angesichts der aktuellen geopolitischen Lage?
Die Ampel-Koalition ist ja schnell in der Realität angekommen. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck muss plötzlich Deals mit Katar machen. Auch Saudi-Arabien wird als einer der zukünftig größten Produzenten von grüner Energie, Ammoniak und grünem Wasserstoff wichtiger als Partner werden. Wertegeleitet heißt für mich deshalb nicht, die Welt verändern zu wollen, sondern zu diversifizieren und gerade auch Partnerschaften mit den Ländern zu stärken, die den demokratischen Prinzipien folgen.

Wie weit ist für Sie aber überhaupt Diversifizierung möglich, wenn Sie durch die Neue Seidenstraße über Kasachstan, Russland, Belarus und Polen so eng mit China verbunden sind?
Ja, das stimmt, die Verbindungen sind eng, aber die Neue Seidenstraße macht an unserem Umsatzvolumen nur dreieinhalb bis vier Prozent aus. So ein Zug bringt 60 Container mit, ein Frachter fasst hingegen 24.000 Einheiten. Dass die EU die Landbrücke nicht sanktioniert hat, zeigt aber trotzdem, wie wichtig sie ist. Aber als Folge des Ukraine-Kriegs haben wir jetzt die südliche Seidenstraße früher in Betrieb genommen, sie führt über Kasachstan, Aserbaidschan und Georgien, dann über das Schwarze Meer Richtung Konstanza in Rumänien. Wir waren nie so naiv, alle Eier in einen Korb zu legen.

Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass China doch von seiner Zero-Covid-Politik abweicht?
Die Hoffnungen sind auch Zero, gerade vor der Wiederwahl von Staatschef Xi Jinping wird sich nichts bewegen, weil das ein Eingeständnis wäre, dass man sich mit der Zero-Covid-Politik geirrt hat. Aber ich würde mir doch sehr ein Mindestmaß an Rücksichtnahme auf die weltweiten Handel- und Transportketten wünschen. In Shanghai finden sie keinen Lkw-Fahrer mehr, der in den Hafen fährt, aus Sorge, gleich wieder in strikte Quarantäne zu müssen. Solche Vorschriften kann China auch anders handhaben, um die Transportketten zumindest wieder in den Takt kommen zu lassen.

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