Neue Studie Russen haben mehr Angst vor Deutschen als vor dem IS

Die antiwestliche Propaganda in russischen Medien zeigt Wirkung: Einer Umfrage zufolge fürchten sich die meisten Russen mehr vor dem Westen als vor Terroristen. Doch das Misstrauen beruht auf Gegenseitigkeit.

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Russlands Präsident während der Aufzeichnung seiner über das Fernsehen verbreiteten Neujahrsansprache. Putin will in diesem Jahr wiedergewählt werden. Quelle: dpa

Moskau Russland hat nur zwei treue Verbündete: Armee und Flotte. Dieser Spruch aus der Zarenzeit hat auch heute seine Gültigkeit – zumindest im Bewusstsein der Russen selbst. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum gaben zwei Drittel der Teilnehmer an, Russland habe Feinde, nur 21 Prozent glauben nicht daran. Fast ein Viertel meint gar, Russland sei von Feinden umzingelt, bei der Mehrzahl der Befragten hat die Angst allerdings eine klare Richtung: Die meisten Russen fürchten sich mehr vor dem Westen als vor Terroristen.

Als Staatsfeind Nummer eins gelten wenig überraschend die USA. Mit 68 Prozent (Mehrfachnennungen möglich) haben sie einen neuen traurigen Rekord aufgestellt: Als im Oktober 2012 das letzte Mal die Frage nach den wichtigsten Gegnern gestellt wurde, nannten „nur“ 56 Prozent der Befragten die USA. Dann kam die Ukraine-Krise, die die Amerikaner beim Durchschnittsrussen noch unbeliebter machte. Aber nicht nur das Image der USA nahm Schaden: So landeten nun auf den Plätzen zwei und drei die Ukraine (29 Prozent) und die Europäische Union (14 Prozent). Beide tauchten 2012 noch überhaupt nicht in den Nennungen der Feinde auf.

Innerhalb der EU „verdienten“ sich Polen (acht Prozent), Großbritannien und Deutschland (je sechs Prozent) extra Erwähnung als Feinde. Die Polen, aber auch die Briten werden in russischen Medien oft als Scharfmacher gegen Russland innerhalb der EU dargestellt, während Deutschland als der eigentliche Drahtzieher bei EU-Entscheidungen gilt. Bemerkenswert: Die Angst der Russen vor den Deutschen ist damit größer als die Angst vor islamistischen Fundamentalisten und Anhängern der Terrormiliz Islamischer Staat. Die werden nämlich nur von fünf Prozent der Russen als Feind betrachtet.

Die Skepsis gegenüber der Nato ist in Russland traditionell hoch. Den Höhepunkt der Ängste fixierten Umfragen im März 2014, als die Ukraine-Krise hochkochte. Damals betrachteten 62 Prozent der Russen die Nato als Bedrohung. Aber auch jetzt meinen immer noch 57 Prozent, Russland habe begründete Sorgen wegen der Nato. Auf der anderen Seite wächst aber auch der Stolz auf die eigene militärische Stärke, denn gleichzeitig meinen inzwischen 41 Prozent, die Nato müsse sich vor Russland in Acht nehmen.

Der Soziologe Denis Wolkow vom Lewada-Zentrum sieht die Ergebnisse der Umfrage als logische Folge der andauernden Medienkampagne „Im Fernsehen wird die ganze Zeit über die heimtückischen Pläne gegen unser Land geredet“, sagte Wolkow. Die Berichterstattung gegen den Westen verfängt dabei offensichtlich besser als gegen islamistische Terroristen, obwohl der Kreml beispielsweise den Einsatz seiner Luftstreitkräfte in Syrien eben mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat begründete.

Aber wichtige mediale Akteure des Informationskriegs in Moskau, wie Dmitri Kisseljow, oder Wladimir Solowjow interpretieren auch das Geschehen in Syrien fast ausschließlich im Paradigma des Ost-West-Konflikts, wonach die Terroristen von USA und Europa finanziert würden, um Assad und damit indirekt auch Russland zu schwächen.

Es ist kaum davon auszugehen, dass sich der vor allem im russischen Fernsehen angeschlagene Ton gegenüber dem Westen in den kommenden Monaten mäßigt. In Russland steht die Präsidentenwahl im März an. Und auf der Welle des Hurrapatriotismus hat Wladimir Putin im Zuge des Krim-Anschlusses seine höchsten Popularitätswerte bekommen. Es ist davon auszugehen, dass kurz vor der Wahl diese Gefühle bei den Russen noch einmal mobilisiert werden sollen, was sich am einfachsten durch ein gemeinsames Feindbild realisieren lässt.

Der Gerechtigkeit halber sei gesagt: Auch im Westen halten sich Ängste vor Russland. Anfang des Jahres berichtete die Huffington Post, dass 49 Prozent der Deutschen Russland als Bedrohung empfänden, während nur 37 Prozent anderer Meinung waren. In den USA, wo die Diskussion um die mutmaßliche Einmischung Russlands in den Präsidenten-Wahlkampf immer noch nicht beendet ist, zeigte eine ähnliche Umfrage im Mai 2017, dass 64 Prozent der Amerikaner Moskau als Feind Washingtons betrachten.

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