Neues Dekret von Erdogan Sieben Jahre Haft – ohne Urteil

Seite 2/2

Gefangenenaustauch bleibt fragwürdig


Von Akinci starteten die F16-Kampfjets, die in jener Nacht das türkische Parlamentsgebäude und den Präsidentenpalast bombardierten. Öksüz wurde in der Nähe des Stützpunkts von regierungstreuen Truppen festgenommen, wenig später aber von einem Richter auf freien Fuß gesetzt. Er soll über Armenien nach Deutschland geflohen sein. Augenzeugen wollen ihn in Ulm und Frankfurt gesehen haben. Das türkische Außenministerium beantragte vor zwei Wochen seine Auslieferung. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte damals, man wisse nicht, ob sich Öksüz tatsächlich in Deutschland aufhalte.

Neben Yücel, Tolu und Steudtner befinden sich noch mindestens sieben Deutsche aus politischen Gründen in türkischer Haft. Am Wochenende wurde ein weiterer Fall bekannt, über den „Bild am Sonntag“ berichtete. Der aus Schwerin stammende David B. sei bereits im April in der Südosttürkei festgenommen worden. Das Auswärtige Amt bestätigte den Fall. Was dem Deutschen vorgeworfen wird, ist unklar.

Ein Gefangenenaustausch, wie ihn Erdogan jetzt mit dem jüngsten Dekret ins Spiel bringt, wäre allerdings politisch und rechtlich fragwürdig. Die türkische Justiz tut sich offenbar schwer, Auslieferungsanträge stichhaltig zu begründen. Das zeigt der Fall Gülen, um dessen Auslieferung sich Ankara in den USA seit langem erfolglos bemüht. Die im Fall Gülen von der Türkei vorgelegten Akten seien zwar sehr umfangreich, die Beweislage aber äußerst dürftig, berichten US-Medien unter Berufung auf dortige Justizkreise.

„Die Türkei bekommst du hinterhergeworfen“

Selbst wenn die türkische Justiz gegenüber den deutschen Behörden einen Antrag zur Auslieferung von Öksüz und anderen Putsch-Verdächtigen ausreichend begründet, bedeutet das nicht automatisch die Auslieferung. Sie könnte daran scheitern, dass auf die Beschuldigten in der Türkei möglicherweise kein faires Verfahren wartet und dass ihnen Misshandlung und Folter drohen. Mit dieser Begründung lehnte bereits die griechische Justiz die Auslieferung von acht türkischen Soldaten ab, die nach dem Putschversuch in einem Hubschrauber nach Nordgriechenland geflohen waren.

Nach einem Bericht des Stockholmer Zentrums für Freiheit (SCF) vom Juni häufen sich die Fälle von Misshandlungen in türkischen Gefängnissen. Das Anti-Folter-Komitee des Europarats hatte bereits nach dem Putschversuch vom vergangenen Jahr die Haftbedingungen in mehreren türkischen Hochsicherheitsgefängnissen begutachtet. Die türkische Regierung, ohne deren Zustimmung die Ergebnisse der Prüfung nicht veröffentlicht werden dürfen, hält den Bericht aber unter Verschluss.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%