
St. Petersburg In der Weltpolitik sagt ein Lächeln mehr als tausend Worte. Nach acht Monaten Sanktionen, Beleidigungen und Drohungen sitzen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan im prunkvollen Konstantinpalast vor den Toren von St. Petersburg und machen gute Miene. Es ist das mit Spannung erwartete erste Treffen der beiden Präsidenten seit Beginn der schweren russisch-türkischen Krise. Trotz des Konflikts fällt die Begrüßung freundlich aus.
Lässig sitzen die Staatschefs auf den gepolsterten Biedermeierstühlen. Beim Auftakt des Gesprächs schauen beide auf ihre Schuhe oder in den Raum, selten einander in die Augen. Für Erdogan ist es die erste Auslandsreise seit dem Putschversuch Mitte Juli.
Putin geht in seiner Heimatstadt gleich in die Offensive, wenig diplomatisch verpackt und ohne die üblichen Höflichkeitsfloskeln. Es habe Jahre blühender Beziehungen gegeben, aber dann sei die „bekannte Tragödie“ geschehen, „bei der im November unser Armeeangehöriger ums Leben kam“, sagt der Kremlchef. Er spielt auf den türkischen Abschuss eines russischen Kampfjets im Grenzgebiet zu Syrien an. Moskau reagierte darauf mit umfassenden Sanktionen gegen Ankara. Nun gehe es jedoch um die Wiederherstellung der Beziehungen, sagt Putin.
Vor kurzem klang das ganz anders. Ein „Helfershelfer der Terroristen“ sei das „verräterische Regime“ Erdogans, polterte Putin nach dem Abschuss - und brachte Erdogans Glauben ins Spiel, bei dem der türkische Präsident schon gar keinen Spaß versteht. „Allah beschloss, die regierende Clique in der Türkei zu bestrafen, und hat sie um den Verstand gebracht“, spottete Putin. Erdogan ist nicht zurückhaltend beim Austeilen, doch gegen seinen Moskauer Kollegen kam er nicht an.
Stattdessen wirkte der sonst vor Selbstbewusstsein strotzende Erdogan kleinlaut. „Einige Zeit nach dem Zwischenfall habe ich Herrn Putin angerufen“, sagte er damals dem Sender France24. „Aber bis jetzt hat Herr Putin nicht zurückgerufen.“ Erdogans Rechtfertigungsversuche gipfelten in der Aussage: „Hätten wir gewusst, dass es ein russisches Flugzeug war, hätten wir möglicherweise anders gehandelt.“
Und nun alles vergeben und vergessen? Aus Moskauer Sicht hat sich Erdogan entschuldigt, und die russischen Sanktionen etwa gegen die türkische Tourismusbranche hatten den gewünschten Effekt. Eindrucksvoll war dies an den verwaisten Stränden am Mittelmeer zu beobachten, wo zuvor Heerscharen von Russen ihre Körper bräunten.
„Ich glaube daran, dass wir mit diesem Schritt und zukünftigen Schritten in eine ganz andere Phase eintreten“, sagt Erdogan im Konstantinpalast. Dicke Folianten und prächtig bemalte Fabergé-Eier zieren den Raum. Putin und Erdogan: Beide waren einst Hoffnungsträger des Westens für eine Modernisierung ihrer Länder. Längst fühlen sie sich zu Unrecht kritisiert - auch das bringt sie zusammen.
Besonders die Türkei ist auf Verbündete angewiesen. Schon im Juni hat der von Erdogan installierte Ministerpräsident Binali Yildirim verkündet, Ziel sei es, „die Zahl der Freunde zu mehren, die der Feinde zu verringern“. Wie weit die Türkei davon entfernt ist, dafür mag die Zeit nach dem Putschversuch vom 15. Juli ein Indiz sein.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht braucht die Türkei Russland – im Zuge ihrer Entspannungspolitik wollen die beiden Länder nun offenbar doch die Schwarzmeer-Pipeline TurkStream bauen. Das Projekt werde zügig umgesetzt, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag bei einem Treffen mit seinem Kollegen Wladimir Putin in St. Petersburg. Beide Länder seien entschlossen, ihre Beziehungen wieder zu normalisieren. Putin kündigte an, die Sanktionen gegen die Türkei schrittweise aufzuheben.
Nach dem Abschuss eines russischen Kampflugzeuges nahe der syrischen Grenze durch die Türkei hatten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stark verschlechtert. Russland verhängte Handelssanktionen und strich Charterflüge. Das Gasprojekt TurkStream galt als tot.
Nach den ursprünglichen Plänen soll von der südrussischen Stadt Anapa eine Leitung unter dem Schwarzen Meer bis nach Kiyiköy im europäischen Teil der Türkei verlegt werden. Die Pipeline soll eine Kapazität von 63 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr haben. Die Auswirkungen auf Europa sind noch nicht klar. Viele Politiker in der EU fordern schon länger, dass die Union von russischem Gas unabhängiger werden müsse. Wenn künftig über TurkStream Gas nach Europa fließt, würde allerdings sowohl die Abhängigkeit von Russland als auch von der Türkei steigen.
Misstrauen zwischen dem Westen und der Türkei
Aus der EU fand seit Niederschlagung des Putsches kein einziger Außenminister den Weg zum Beitrittskandidaten Türkei, US-Außenminister John Kerry kündigte immerhin seinen Besuch beim Nato-Partner für den 24. August an - dann werden fast sechs Wochen seit dem Umsturzversuch vergangen sein. „Das ist spät, zu spät. Das macht uns traurig“, sagte Erdogan der Zeitung „Le Monde“. Deutschland brauchte mehr als drei Wochen, um einen Staatssekretär zu schicken. Aus türkischen Regierungskreisen hieß es, man habe einen ranghöheren Besucher erwartet - mindestens Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
„Bei der Wiederannäherung (an Russland) geht es um die Versuche der Türkei, die Isolation um sie herum zu durchbrechen“, sagt Özgür Ünlühisarcikli vom German Marshall Fund in Ankara. Der Experte macht ein „Misstrauensproblem“ zwischen dem Westen und der Türkei aus, zu dessen Überwindung die bislang ausbleibenden Politikerbesuche in Ankara beitragen würden, sagt er. Beiden Seiten stünde seiner Ansicht nach gut zu Gesicht, die öffentlichen Anschuldigungen zurückzufahren - und stattdessen das direkte Gespräch zu suchen.
Ünlühisarcikli glaubt dennoch nicht, dass sich die Türkei von EU und Nato ab- und stattdessen Moskau zuwendet. „Die Türkei und Russland teilen keine strategischen Interessen, eigentlich stehen ihre Interessen in fast jedem Bereich im Widerspruch.“ Prominentes Beispiel ist wohl Syrien. Putin unterstützt Präsident Baschar al-Assad, Erdogan fordert seinen Rücktritt.
Moskau und Ankara mögen nun ihre Partnerschaft wieder erneuern. Bei der russischen Bevölkerung ist Putins Wende im Verhältnis zu Erdogan indes noch nicht angekommen. In einer Umfrage des Lewada-Instituts beschrieben knapp zwei Drittel ihr Verhältnis zur Türkei als negativ. Nur ein Viertel fand lobende Worte für das Land am Bosporus.