Es ist schon verrückt in dieser Stadt. Im vergangenen Jahr gab es Wirbelsturm Irene. Auch da drohte eine Flut über New York City hereinzubrechen – vor allem an der Südspitze – dort wo sich East River und Hudson River treffen und wo sich die Wall Street befindet. Gegen mögliche Terroristenanschläge ist das ganze Gelände rund um die New York Stock Exchange total abgesichert. Gegen Hochwasser, Wirbelstürme oder Hurrikans gibt’s keinen Schutz – Deiche, Schutzwälle oder simple Sandsäcke? Fehlanzeige. Irgendwie scheinen die New Yorker vergessen zu haben, dass ihre Insel am Ozean liegt.
Keine Kerzen, kein Wasser
Am Tag nach dem Sturm sind im East Village tatsächlich ein paar Läden geöffnet. In Ali’s Deli auf der Avenue B leuchten die Kunden mit ihren Taschenlampen die Regale ab, Chips sind gefragt und Kekse. Ich zahle für drei kleine Tüten Chips und ein paar Butterkekse zehn Dollar. Haltbare Milch hat Ali nicht. Wein und Bier natürlich auch nicht. Nicht mal Wasser. Dafür Batterien und Streichhölzer, Kerzen sind alle.
Letztes Jahr Weihnachten habe ich von unserer Redaktion ein iPod Mini geschenkt bekommen. Das Radio in dem kleinen Gerät ist jetzt Gold wert – so weiß ich wenigstens, was los ist. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg verkündet, das Wasser aus der Leitung sei nach wie vor trinkbar. Zu Sicherheit hätte die Stadt das Wasser mit ein bisschen mehr Chlor versetzt. Lecker. Bei uns in der Wohnung tröpfelt das Wasser nur aus dem Hahn. Auf dem Dach gibt es einen großen Wassertank, der langsam immer leerer wird, neues Wasser kommt nicht nach. Die Klospülung funktioniert nicht. Aber wir haben ja unser Wasser aus der Badewanne.
Pflichtbewusstsein im Chaos
Am nächsten Tag laufen wir zu ConEdison am East River – ein Elektrizitätswerk direkt am Wasser, na das ist ja schlau. Hier sieht es total verwüstet aus. Die Polizei hat das ganze Gelände abgesperrt. Wir erfahren: nicht die Flut hätte den Stromausfall verursacht, sondern durchgebrannte Sicherungen, die in Kontakt mit Salzwasser gekommen seien. Jetzt müssten alle Verteiler in lower Manhattan überprüft und gereinigt werden – und das kann dauern, von vier oder fünf weiteren Tagen ist die Rede.
Vom Balkon aus sehen wir am Abend Licht am Union Square. Ist da womöglich Strom? Voller Erwartung laufen wir am Morgen los. Doch die Enttäuschung ist groß: Licht hat nur das ConEdison-Verwaltungsgebäude am Irving Place. Trotzdem gehe ich zu dem Gebäude ein paar Häuser weiter, wo die WirtschaftsWoche ihr Büro hat. Da sitzt doch tatsächlich der Doorman. „Nein“, sagt er, „hier gibt’s auch keinen Strom.“ Kein Mensch sei in dem ganzen Hochhaus. Warum er denn da sitze? Er müsse eben hier sitzen, sagt er etwas erstaunt über meine dumme Frage.