„No Billag“-Initiative Warum die Schweiz über die Abschaffung der Rundfunkgebühr abstimmt

Die Schweizer streiten um die Finanzierung ihres öffentlichen Rundfunks. Doch bei der „No Billag“-Initiative geht es auch um das nationale Selbstverständnis.

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Anfang März wird in der Schweiz über die Abschaffung des Rundfunkbeitrags abgestimmt. Quelle: dpa

Bern Die Uhr tickt: In 54 Tagen können die Schweizer entscheiden, ob sie die Rundfunkgebühren, Billag genannt, abschaffen wollen. Am Dienstag haben Befürworter und Gegner der „No Billag“-Initiative ihre Argumente in Bern präsentiert. Dabei geht es um eine Frage, die sich auch viele Menschen in Deutschland stellen: Welche Rolle soll der öffentliche Rundfunk im Internetzeitalter spielen? Doch die Debatte betrifft nicht nur die zukünftige Rolle des Schweizer Fernsehens – sondern auch das nationale Selbstverständnis.

Das zeigt sich schon an den Plakaten: Die Verteidiger des gebührenfinanzierten Rundfunks zeigen auf ihrem Plakat einen Stiefel, der die Schweiz tritt. „Nein zum Angriff auf die Schweizer Medienvielfalt“, fordert das überparteiliche Komitee „Nein zu No Billag“ am Dienstag im Schweizer Bundeshaus. Nur wenige Stunden später bläst das überparteiliche Komitee „No Billag: Ja“ zum Angriff – und wettert gegen „Gebühren-Abzocke“ – und zeigt dabei dicke Bündel aus Franken-Scheinen.

Derzeit zahlen die Schweizer Haushalte rund 451 Franken Billag-Gebühren im Jahr. Das Geld fließt an die Schweizerische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft (SRG) und an 34 private regionale Radio- und Fernsehstationen. Im Gegenzug für den Erhalt erfüllen die Sender einen Auftrag des Bundes, den so genannten Service Public: Sie müssen über aktuelle Themen in ihrem Sendegebiet berichten. Auch Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als einer halben Millionen Franken müssen zahlen – ein Grund, weshalb sich auch der Schweizer Gewerbeverband für die Abschaffung der Gebühren stark macht.

Ab 2018 soll die Gebühr auf 356 Franken sinken. Mit diesem Schachzug will Medienministerin Doris Leuthard das Stimmvolk gnädig stimmen. Denn auf Drängen einer Initiative wird nun am 4. März darüber abgestimmt, die Gebühren ganz abzuschaffen. Die Initianten wollen dem Bund verbieten, Radio- und Fernsehsender in Friedenszeiten zu subventionieren. Ob Leuthards Manöver glückt, ist offen. Denn in Umfragen liefern sich Befürworter und Gegner der Initiative ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Eine Abschaffung der Gebühren träfe vor allem das Schweizer Radio und Fernsehen, die SRG. Sie wird von ihren Fans für ihre unaufgeregte Berichterstattung geschätzt, von ihren Gegnern als „Staatsfunk“ verhasst. Zwar werden mit den Billag-Einnahmen auch private Lokalstationen finanziert. Doch der Löwenanteil von insgesamt rund 1,2 Milliarden Franken (ca. 1,02 Milliarden Euro) fließt an die SRG. Sie betreibt in der Schweiz insgesamt 17 Radio- und 7 Fernsehprogramme – und das in einem Land mit gerademal 8,3 Millionen Einwohnern.

Dass es bei der SRG Reformbedarf gibt, stellt in der Schweiz kaum jemand in Frage. Doch der Gruppe und ihren rund 6000 Mitarbeitern die Finanzierung zu entziehen, gehe zu weit, sagt Filippo Lombardi von der Christlichen Volkspartei (CVP). „Haare schneidet man nicht mit der Guillotine“, sagte der Tessiner. Vor allem für die sprachlichen Minderheiten hätte die Abschaffung fatale Folgen, fürchtet Lombardi. Denn die Gebühren sichern auch in der rätoromanischen, italienischen und französischsprachigen Schweiz die Grundversorgung mit Informationen.


„Berlusconisierung” der Medienlandschaft befürchtet

Lombardi ist einer von 160 Abgeordneten, die sich gegen die Initiative stark machen. Sie sei nicht weniger als ein Angriff auf die direkte Demokratie, argumentiert das überparteiliche Komitee „Nein zu No Billag“. Denn die brauche nun mal informierte Bürger. Dabei sprechen sich selbst Abgeordnete der liberalen FDP für die Beibehaltung der Gebühren aus. „Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Schweizer Medien zum Sprachrohr von zahlungskräftigen Interessensvertretern werden“, sagt Christa Markwalder von den Freien Demokraten.

Die Verteidiger der Gebühren fürchten eine „Berlusconisierung“ der schweizerischen Medienlandschaft. Der ehemalige italienische Regierungschef nutzte seine enorme Macht als Medienunternehmer immer wieder für seine politischen Ziele. Die Billag-Verteidiger fürchten, dass der SVP-Grande und Medienzar Christoph Blocher eines Tages eine ähnliche Rolle in der Schweiz übernehmen könnte, wenn die SRG erst einmal kaltgestellt ist. Blocher ließ die Schweizer schon vor einigen Wochen wissen, dass er mit „Ja“ für die Billag-Abschaffung stimmen wird.

Dagegen sehen sich die Unterstützer des Referendums als Kämpfer gegen staatliche Abzocke – und werfen der Gegenseite Panikmache vor. Das Komitee mit dem sperrigen Namen „Ja SRG: No Billag Ja“ will die Gebühren abschaffen, aber die SRG dennoch erhalten. „Ein Ja zu No Billag öffnet den Weg für eine neue und befreite SRG“, sagt Hans-Ulrich Bigler, FDP-Nationalrat und Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands.

Im „Hotel Kreuz Bern“ präsentiert Bigler am Dienstag seinen „Plan B“ für eine Welt ohne Billag-Gebühren. Die SRG könne als Unternehmen auch im Werbemarkt bestehen und einen Teil ihres Programms über freiwillige Abonnements finanzieren, erklärt Bigler. Zudem könnten einzelne Sendungen auch nach einer Abschaffung der Billag-Gebühren vom Staat finanziert werden. Etwa die Übertragung von Schwingfesten – einem schweizerischen Nationalsport, dessen kommerzielle Vermarktung sich mitunter schwierig gestaltet. So könne der SRG insgesamt ein dreistelliger Millionenbetrag zufließen, rechnet Bigler am Dienstag vor. Zumindest bei den Journalisten stößt Biglers „Plan B“ auf wenig Gegenliebe: „Ich würde das nicht Plan B, sondern Blindflug B nennen“, sagt ein Pressevertreter.

Doch den Billag-Gegnern geht es nicht nur um die Abschaffung der Gebühren, sondern ums Prinzip. Sie schwadronieren gegen eine „ungerechte Mediensteuer“ und wollen „ein Zeichen gegen die Selbstbedienungsmentalität des Staates“ setzen, „der bei Parkgebühren, mit Radarfallen und Steuern auf Genussmitteln immer mehr abkassiert“.

So streiten die Schweizer nicht nur darum, ob die SRG tatsächlich mehr als 1000 Mitarbeiter im italienischsprachigen Tessin beschäftigen muss. Es geht auch um die Frage, was die Schweiz als „Willensnation“ zusammenhält – und was ihre Identität ausmacht. Ist es der mühsam ausgehandelte Konsens zwischen Staat und Wirtschaft, Deutschschweizern, Rätoromanen und Tessinern? Oder doch das Vertrauen auf den freien Markt?

Wie dieser Streit ausgeht, ist noch offen. Sicher ist nur eines: Am 3. März wird abgestimmt.

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