Nobelkandidaten Merkel, Santos und die Weißhelme Die neuen Friedensstifter

Am Freitag steht in Oslo eine schwierige Entscheidung an: Das Komitee verleiht den Friedensnobelpreis. Aussichtsreiche Kandidaten kommen aus Syrien, Griechenland und Kolumbien. Und die Kanzlerin hat wieder Chancen.

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Am Freitag wird der Friedensnobelpreis vergeben – doch die Kandidaten sind zahlreich in diesem Jahr. Quelle: dpa

Stockholm In der Haut des Osloer Nobelkomitees möchte man nicht stecken. Das Gremium muss aus den 376 Vorschlägen, die bis zum Februar dieses Jahres eingereicht worden sind, den diesjährigen Friedensnobelpreisträger auswählen. Das Problem: Die Welt ist in den vergangenen zwölf Monaten nicht friedlicher geworden. Syrien, Afghanistan, der gescheiterte Friedensvertrag in Kolumbien, die nicht gelöste Flüchtlingskrise und viele weitere Krisen beherrschen den Globus.

Für die wichtige Auszeichnung gibt es einige Kandidaten. Zum Beispiel die russische Menschenrechtsaktivistin Svetlana Gannuschkina. Sie setzt sich seit 1990 für Migranten in ihrem Land ein. Die 79-jährige hat bislang über 50.000 Flüchtlingen mit Rechtsbeistand und humanitären Leistungen helfen können. Vor allem kämpft Gannuschkina gegen Zwangsrückführungen von Flüchtlingen aus Zentralsasien, da ihnen in ihren jeweiligen Heimatländern Haft und Folter gedroht hätten. Die Aktivistin scheute auch nicht vor Prozessen vor dem Europäischen Gerichtshof zurück.

Und da wären die syrischen Weißhelme. In dieser Freiwilligenorganisation arbeiten rund 3000 Privatleute, ließen sich zu Feuerwehrmännern und Sanitätern ausbilden, um der leidenden Zivilbevölkerung zu helfen. Immer wieder haben die Weißhelme auf das unfassbare Leiden der Zivilbevölkerung und die brutalen Bombardements auf Aleppo hingewiesen. Zusammen mit den Bewohnern der griechischen Inseln, die sich um viele Flüchtlinge gekümmert haben, stehen sie bei den Buchmachern ganz oben auf der Favoritenliste.

Sowohl Gannuschkina als auch die syrischen Weißhelme wären gute Friedensnobelpreisträger. Doch dafür müsste das Osloer Nobelkomitee über seinen eigenen Schatten springen. Gannuschkina und die syrischen Weißhelme wurden nämlich gerade ausgezeichnet: Mit dem Alternativen Nobelpreis. Das steigert nicht gerade ihre Chancen. Doch es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Die weiteren Vorschläge unserer Autoren.


Und wieder die Kanzlerin

Angela Merkel

Die Entscheidung der Bundeskanzlerin, die Flüchtlinge von Budapester Bahnhof nach Deutschland zu lassen und das Dublin-Abkommen für Syrer auszusetzen, hat hunderttausenden Menschen ein friedliches Leben in Deutschland ermöglicht. Angela Merkel hätte im Sommer 2015 die Menschen in höchster Not abweisen können, so wie viele andere europäische Regierungschefs. Sie handelte anders – den Friedensnobelpreis hat sie dafür verdient.

Umstritten wäre eine Preisträgerin Merkel garantiert. Im Inland fühlen sich bei weitem nicht nur „Volksverräter“-Schreihälse unwohl mit ihrer Flüchtlingspolitik. Im Ausland zollen ihr zwar große Politiker wie Hillary Clinton und Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon Respekt, gerade aus Osteuropa aber wurde sie wegen ihres „moralischen Imperialismus“ angegriffen. Auch hat sich Merkel selbst längst von ihrer humanen Flüchtlingspolitik abgewendet, das Asylrecht verschärft und versucht, Flüchtlinge durch das Abkommen mit der Türkei fernzuhalten.

Genau das sollte aus Sicht des Nobelpreiskomitees aber für die deutsche Kanzlerin sprechen. Wenn es den Preis nur an die verleiht, die moralisch über jeden Zweifel erhaben sind, macht es ihn praktisch irrelevant. Obwohl der Weltfrieden vor allem in der Hand von Staats- und Regierungschefs liegt, hätte dann kein aktiver Politiker ernsthafte Chancen, egal wie positiv er sich von seinen Kollegen absetzt.

Zumal: Wer ist der letzte Friedensnobelpreisträger, an den wir uns genau erinnern? War da nicht letztes Jahr irgendwas mit Tunesiern? Und irgendwann davor wurden Frauenrechtlerinnen ausgezeichnet. Aber woher kamen die nochmal? An die EU oder an Barack Obama erinnert sich jeder. Dem US-Präsidenten den Preis zu Beginn seiner Amtszeit als moralischen Auftrag mitzugeben, war mutig und höchst umstritten. Angela Merkel hat ihre Leistung bereits vollbracht.
Alexander Demling, Düsseldorf


Fast Frieden in Kolumbien

Juan Manuel Santos

Seit 1964 führt die linke Guerillabewegung Farc einen bewaffneten Kampf gegen die kolumbianische Regierung. Es ist der älteste gewalttätige Konflikt Lateinamerikas und forderte etliche Tote. Ende September sollte sich das ändern: Mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen Farc und Regierung schien der Frieden besiegelt.

Einen Bärenanteil an diesem historischen Vertrag hat Juan Manuel Santos. Kolumbiens Präsident, seit 2010 im Amt, unterschrieb das Abkommen zusammen mit einem Kommandeur der Farc unter den Augen von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon. Der Friedensvertrag sieht neue Ansätze im Kampf gegen den Drogenhandel, eine Landreform und eine Entschädigung der Opfer vor. Vor allem aber sollen die Rebellen ihre Waffen innerhalb der nächsten sechs Monate niederlegen.

Dass sich ein Präsident für den Frieden im eigenen Land einsetzt, scheint schlichtweg logisch. Bewundernswert ist aber die Wandlung von Juan Manuel Santos in seiner politischen Karriere. Im Amt als Verteidigungsminister, vor seiner Zeit als Präsident, bekämpfte die kolumbianische Armee unter seiner Führung die Farc allein militärisch – was auch auf die Strategie des rechtsliberalen Ex-Präsidenten Álvaro Uribe lag. Später nahm Santos aber diplomatische Gespräche mit der Farc auf und handelte den Vertrag aus, der auch Zugeständnisse der Regierung enthält.

Das Friedensabkommen hätte allein noch von der kolumbianischen Bevölkerung per Volksabstimmung bestätigt werden müssen. Entgegen aller Prognosen setzte sich das Lager der Abkommens-Gegner durch. Doch Santos will nicht zurückstecken und verfolgt weiter seinen Friedensplan: „Ich werde nicht aufgeben und bis zum Ende meines Mandats für den Frieden kämpfen“, sagte er am Abend nach der Abstimmung. Dieser Einsatz hätte den Friedensnobelpreis verdient.
Julian Olk, Berlin

Ärzte in Syrien

Der Nobelpreis sollte an die Ärzte gehen, die im schwer kriegsumkämpften Aleppo trotz Lebensgefahr täglich Leben retten – immer noch, nach fünf Jahren Bürgerkrieg. Acht Kliniken gibt es noch im Osten Aleppos, vier davon wurden jüngst bombardiert. Die Arbeitsbedingungen sind schrecklich.

„Die wenigen verbleibenden Kliniken kollabieren unter hunderten Verwundeten, die unter Schmerzen am Boden der Stationen und Korridore liegen“, beschreibt der Projektleiter von Ärzte ohne Grenzen im Nahen Osten, Pablo Marco. Ärzte nehmen Gehirn- und Bauchoperationen an den Opfern von Bombenangriffen auf den Fußböden der Notaufnahme vor, da es nicht genügend Operationssäle gibt. Hier zu arbeiten, das eigene Leben zu riskieren und nicht zu fliehen, hat den Nobelpreis verdient.

Einige der Ärzte forderten im August einen anderen Friedensnobelpreisträger, US-Präsident Barack Obama, in einem Brief verzweifelt auf, einen Versorgungskorridor für die Bevölkerung durchzusetzen – umsonst. Sind die Ärzte mit solchen Forderungen nicht organisiert genug, um ihnen als Organisation den Friedensnobelpreis zu verleihen?

Sollten die syrischen Ärzte den Friedensnobelpreis nicht bekommen, sollte er an die syrischen Weißhelme gehen. Die Freiwilligen retten ihre Mitmenschen nach Bombenangriffen aus den Trümmern und riskieren dabei ihr eigenes Leben. Ob Ärzte oder Weißhelme: An den Helden im syrischen Bürgerkrieg darf der Friedensnobelpreis in diesem Jahr keinesfalls vorbeigehen.
Nicole Bastian, Düsseldorf


Flüchtlingshelfer auf den griechischen Inseln

Es müssen nicht immer die großen, bekannten Namen sein. Wie wäre es mit Emilia Kamvyssi? Oder mit Stratis Valiamos? An Kamvyssi wird sich kaum jemand erinnern. Aber das Bild der 86-jährigen griechischen Oma von der Insel Lesbos ging im Herbst 2015 um die Welt: Mit zwei 85 und 89 Jahre alten Freundinnen sitzt sie auf einer Bank vor ihrem Haus in dem kleinen Fischerdorf Skala Sykamnia, wiegt ein gerade gerettetes Flüchtlingsbaby in den Armen und gibt ihm die Flasche. Die drei Greisinnen scheinen überglücklich, der Säugling auch.

Stellvertretend für tausende Freiwillige, die auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlingen helfen, wurde Emilia Kamvyssi im Februar von 230 Akademikern, darunter den Nobelpreisträgern Christopher Pissarides und Desmond Tutu, für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Über 600.000 Unterzeichner schlossen sich in einer Petition im Internet der Nominierung an.

Die Menschen auf den griechischen Ägäisinseln hätten den Schutzsuchenden „ihre Arme und ihre Herzen geöffnet“, heißt es zur Begründung in der Petition. Der griechische Parlamentspräsident Nikos Voutsis würdigt die Freiwilligen als „Vorbilder für die Zivilisation“. Emilia Kamvyssi sind solche Lobeshymnen peinlich. „Was habe ich denn großes gemacht? Doch nur, was selbstverständlich ist“, sagt die Großmutter. Ihr Fischerdorf gehört zu den Anlaufpunkten der Schlauchboote, mit denen die Flüchtlinge unter Lebensgefahr aus der Türkei übersetzen. „Wir sehen die Menschen, sie weinen, vor Angst oder vor Glück, und wir helfen ihnen mit dem wenigen, das wir haben“, sagt Kamvyssi.

Auch der 40-jährige Fischer Stratis Valiamos macht nicht viel Aufheben. Er hat seit Beginn der Flüchtlingswelle Hunderte Menschen vor der Küste von Lesbos aus Seenot gerettet, oft unter Einsatz des eigenen Lebens. „Manche Leute sagen mir, ich sei ein Held. Aber was ich mache, ist keine Heldentat, es ist normal“, sagt Valiamos. „Wenn Du zum Fischen rausfährst und dann ist da plötzlich ein Boot neben Dir, das zu sinken beginnt, und die Menschen rufen um Hilfe – dann kannst Du nicht so tun, als hörtest Du das nicht.“

Valiamos ahnt: Wer die lebensgefährliche Überfahrt antritt, muss Furchtbares erlebt haben: „Keiner verlässt freiwillig seine Heimat, wandert mit seinen Habseligkeiten monatelang und setzt sich dann mit seinen Babys in ein Plastikboot.“
Gerd Höhler, Athen

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