Nord Stream 2 Der Kampf um die nächste Leitung

Gazprom vergibt Aufträge im Milliardenvolumen für den Bau der Gaspipeline „Nord Stream 2“. Doch die EU-Kommission sieht das Projekt kritisch. Fachleute liefern den Russen jetzt neue Argumente.

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Mit einem Spezialkran werden tonnenschwere Rohre für die zukünftige Ostsee-Erdgastrasse Nord Stream 2 im Hafen von Sassnitz-Mukran (Mecklenburg-Vorpommern) auf einen Lagerplatz transportiert. Quelle: Jens Büdpa

Berlin Wer Mechthild Wörsdörfer, Direktorin für Energiepolitik bei der EU-Kommission, zuhört, kann schnell den Eindruck gewinnen, dass das Gazprom-Projekt „Nord Stream 2“ keine große Zukunft hat. „Nord Stream 2 ist nicht Teil unserer Linie“, sagte Wörsdörfer kürzlich bei einer Veranstaltung der Unionsfraktion im Bundestag. „Wir brauchen Gasimporte, aber wir müssen sehen, dass wir die Bezugsquellen diversifizieren“, ergänzte die Brüsseler Beamtin.

Ihre Botschaft ist klar: Statt die bereits existierenden zwei Stränge der Ostseepipeline „Nord Stream“ durch „Nord Stream 2“ um zwei weitere Stränge zu ergänzen, will die EU-Kommission alles dafür tun, einen südlichen Gaskorridor zu schaffen: Künftig soll Gas aus Aserbaidschan bis nach Italien fließen, die entsprechenden Pipelineprojekte sind in Arbeit. Außerdem will die EU-Kommission erreichen, dass die Flüssiggasterminals im Mittelmeerraum besser genutzt werden.

Die Vorbehalte der EU gegen die Erweiterung der Ostseepipeline sind groß. Die Gegner fürchten sich vor einer zu starken Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Sie sorgen sich außerdem um die Ukraine. Das krisengeschüttelte Land ist wirtschaftlich abhängig von den Transitgebühren, die es bislang Jahr für Jahr für die Durchleitung russischen Gases nach Europa erhält. Die würden wegfallen, wenn Russland künftig 80 Prozent seiner Gasexporte durch die Ostsee leiten könnte.

Doch die Befürworter des Projektes bekommen neue Argumente geliefert: Am Montag stellt „ewi Energy Research & Scenarios“, eine Tochter des Energiewirtschaftlichen Instituts der Uni Köln (EWI), in London eine Studie über die Optionen der Europäischen Union für die Gasversorgung in den kommenden beiden Jahrzehnten vor. Das zentrale Ergebnis: „Die Angst vor einer wachsenden Abhängigkeit von russischem Erdgas durch Nord Stream 2 ist nach unserer Überzeugung unbegründet. Wir gehen von erheblichen Veränderungen auf dem Erdgasmarkt innerhalb der nächsten zwanzig Jahre aus“, sagte Harald Hecking vom EWI, einer der Autoren der Studie, dem Handelsblatt.

So werde insbesondere verflüssigtes Erdgas (LNG) deutlich an Bedeutung gewinnen, sagte Hecking. Damit komme zusätzliche Liquidität in den Markt. „Sollte Russland als Gaslieferant tatsächlich an der Preisschraube drehen, würde das den Anreiz für Flüssiggas-Importe erheblich erhöhen. Europa verfügt über große unausgelastete LNG-Anlandekapazitäten. Über diese könnten große Gasmengen in den europäischen Gasmarkt gelangen“, sagte Hecking.

Russisches Erdgas sei wachsender Konkurrenz ausgesetzt, was die Position der EU als Gasimporteur ganz erheblich verbessere. „Nord Stream 2 löst einen Ausbau der Pipelineinfrastruktur in Deutschland und in angrenzenden Ländern aus. Diese zusätzliche Infrastruktur steht auch anderen Gaslieferanten zur Verfügung und hilft somit dabei, den Gasmarkt auch in Mittel- und Osteuropa noch liquider zu machen“, sagte Hecking.

Heckings Hinweis auf die Bedeutung von LNG teilen Fachleute wie Spencer Dale, Chefökonom bei BP. „Energiesicherheit ist nicht dadurch definiert, wo man kauft, sondern von der Möglichkeit, die Bezugsquelle zu wechseln. LNG spielt dabei eine Schlüsselrolle“, sagt Dale. Flüssiggas sei „wie eine Versicherungspolice“ zu betrachten.


Bundesregierung befürwortet das Gazprom-Projekt

Auftraggeber der Studie von ewi Energy Research & Scenarios ist das Auswärtige Amt. Im Gegensatz zur EU-Kommission befürwortet die Bundesregierung „Nord Stream 2“. Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, dass es sich um ein rein wirtschaftliches Objekt handele, aus dem sich die Politik herauszuhalten habe.

Hier setzt auch die Kritik von Andreas Goldthau, Autor einer weiteren Studie zur Gasversorgung Europas, an. In seiner Arbeit für das European Centre for Energy and Resource Security (EUCERS) am Londoner King’s College mahnt er, die EU-Kommission müsse sich die Frage stellen, ob sie politischer Akteur sein wolle oder sich darauf fokussieren wolle, kraftvoller Wettbewerbshüter zu sein.

Die Antwort liefert er gleich mit: „Der Job der Kommission ist es nicht, Pipeline-Routen auszuwählen, sondern sicherzustellen, dass die Pipelines nach Regeln betrieben werden, die kompatibel sind mit den Regeln des Marktes.“ Goldthau rückt die Vorteile von „Nord Stream 2“ in den Vordergrund: „Nord Stream 2“ werde die Liquidität auf dem zentraleuropäischen Gasmarkt erhöhen und damit den Gashandel stimulieren. Ob das Projekt ökonomisch sinnvoll sei, hätten allein die Investoren zu entscheiden. Auftraggeber seiner Studie sind die Unternehmen Shell, OMV, Wintershall, Uniper und Engie, die zu den Nord-Stream-2-Unterstützern zählen.

Gazprom zeigt sich von der hitzigen Debatte unbeeindruckt und schafft Fakten. Erst am Freitag teilte das Gazprom-Tochterunternehmen „Nord Stream 2“ mit, man habe einen Vorvertrag über die Verlegung der Rohre geschlossen. Demnach soll das schweizerische Unternehmen Allseas die Verlegung des ersten 1200 Kilometer langen Stranges übernehmen, durch den nach jetzigem Planungsstand bereits ab Ende 2019 russisches Erdgas nach Deutschland transportiert werden soll.

Trotz fehlender Genehmigungen hat Nord Stream eigenen Angaben von Ende Oktober zufolge bereits Aufträge in Höhe von vier Milliarden Euro ausgelöst, unter anderem über die Produktion und Betonummantelung der 200.000 Stahlrohre.

In Schweden hatte das Unternehmen Mitte September den Pipelinebau beantragt. Die Genehmigungsanträge in Deutschland, Dänemark, Finnland und Russland sollen Anfang 2017 folgen. Den Baustart visiert Nord Stream 2 für Anfang 2018 an. Die niederländische Gazprom Gerosgaz Holdings – ein hundertprozentiges Tochterunternehmen des russischen Staatskonzerns Gazprom – hält alle Anteile an Nord Stream 2. Das Projekt wird von den Energieunternehmen Uniper, BASF, Shell, der österreichischen OMV AG und dem französischen Unternehmen Engie unterstützt.

Die Unternehmen hatten sich als Anteilseigner von Nord Stream 2 zurückgezogen, nachdem die polnische Kartellbehörde Bedenken angemeldet hatte. Anteilseigner der Gaspipeline „Nord Stream“, durch die bereits seit 2011 Erdgas von Russland nach Deutschland fließt, sind neben Gazprom außerdem BASF, Gasunie, Engie und Eon.

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