Nordkorea-Experte Rüdiger Frank "Kim Jong-un hat seinen eigenen Stil"

Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un bleibt verschwunden: Das ist aber nichts Ungewöhnliches - sagt der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Rüdiger Frank hat als einer der wenigen Deutschen an einer nordkoreanischen Universität studiert und reist auch heute noch regelmäßig ins Land. Quelle: pressebild

Herr Frank, in dieser Woche wurde viel spekuliert über den Gesundheitszustand von Kim Jong-un. Ist er sterbenskrank?

Rüdiger Frank: Ich denke, dass Kim Jong-un wirklich kleinere gesundheitliche Probleme hat und sich deshalb für einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich der Machthaber für einige Zeit nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Bei meinem letzten Besuch im Lande habe ich eine im Vergleich zu einem Jahr zuvor stark gewachsene Zahl an Losungen gesehen, die Kim Jong-un verherrlichen. Auch andere Propaganda-Materialien deuten darauf hin, dass sich seine Machtposition weiter gefestigt hat.

Droht ihm trotzdem ein Machtverlust?

Mit einem Machtverlust muss das noch lange nicht zusammenhängen. Ich würde eher einen kollektiveren, arbeitsteiligen Ansatz in der Politik vermuten. Das wäre dann sogar ein positives Zeichen.

Zur Person

Wieso wird zurzeit trotzdem, vor allem in amerikanischen Medien, so viel über die Schwester als neue starke Frau in Nordkorea geschrieben?

Kim Yo-jong ist schon seit 2011 gelegentlich öffentlich aufgetreten, vielleicht bekleidet sie auch Positionen in der nordkoreanischen Führung. Das ist in einer Familiendiktatur nicht ungewöhnlich. Auch ist es Ausdruck einer pragmatischen Notwendigkeit; Nordkorea wird immer komplexer, ein einzelner Führer kann nicht mehr alles alleine machen. Ein Teil der kollektiven Führung, die er womöglich installiert, könnte seine jüngere Schwester sein.

Die bisherigen Machthaber Nordkoreas

Was zeichnet sie aus?

Wie so oft im Falle Nordkoreas wissen wir hierzu nur sehr wenig: Sie ist offenbar die jüngere Schwester von Kim Jong-un, und sie wurde mehrfach auf offiziellen Fotos in seiner Entourage gesehen. Das ist alles. Da sich ein Diktator nur auf wenige Personen wirklich verlassen kann, ohne Vertraute aber sein Land nicht regieren kann, ist es durchaus sinnvoll, davon auszugehen, dass er seiner Schwester hier und da eine Aufgabe gibt. Das könnte in Zukunft noch intensiver werden. Als eine Bedrohung würde ich sie nicht einschätzen, aus drei Gründen: Kim vertraut ihr, und er kennt sie besser als wir alle. Sie ist eine Frau und sie ist sehr jung - noch jünger als Kim Jong-un. Als Galionsfigur eines Putsches wäre sie also denkbar ungeeignet.

Widerspricht eine „kollektive Führung“ nicht dem Allmachtsanspruch des Führers?

Ganz und gar nicht – eine Arbeitsteilung bedeutet nicht zwangsläufig einen Machtverlust für Kim Jong-un. Er ist und bleibt unangetastet; darum ist es so problematisch, von einer „Nummer 2“ zu sprechen. Sollte jemand zu stark werden, wird er rigoros herabgestuft oder, wie im Falle des Onkels, beseitigt. Nach dem Führer kommt ganz lange erst einmal nichts. Danach kommt eine obere Führungsriege, auf deren Schultern die anfallende Arbeit verteilt wird – sei es ein Besuch in Südkorea, die Teilnahme an einer Parlamentssitzung oder die Eröffnung einer Schule.

Er wird wie sein Großvater inszeniert

Nach Kim Jong-uns Amtsantritt war zu beobachten, dass plötzlich auch über Misserfolge gesprochen wurde. Ist das wirklich mehr Offenheit oder eine Irreführung des Westens?

Es wird deutlich, dass die Unterschiede zu seinem Vater und Großvater enorm sind. Kim Jong-un hat seinen eigenen Stil und er setzt ihn selbstbewusst um. Er verfolgt ein klares, aber eigenes Ziel: Es geht ihm um die Verbesserung des Lebensstandards der nordkoreanischen Bevölkerung als Grundlage seiner Herrschaftslegitimation; er setzt viel weniger auf die Ideologie als seine Vorgänger. Er hat Investitionen in Bereiche umgeleitet, die die Menschen wahrnehmen – etwa Infrastruktur oder auch Neubauten. Es gibt neue Initiativen zur Fleischproduktion mit der Schaffung eines riesigen Graslandes auf zuvor unfruchtbarem Boden. Was das bringt, wird man sehen, aber zumindest die Initiative ist doch bemerkenswert. Mit Hilfe von Joint Ventures und einer Reihe von neuen Wirtschaftsprojekten, etwa 13 neuen Sonderwirtschaftszonen, sollen die Einnahmen gesteigert werden.

Die übelsten Diktatoren der Welt
Kim Jong-Un Quelle: dapd
Gurbanguly Berdymuchammedow Quelle: REUTERS
Teodoro Obiang Quelle: REUTERS
Nursultan Nasarbajew Quelle: dpa/dpaweb
Paul Kagame Quelle: dapd
König Mswati III. Quelle: REUTERS
Islam Karimow Quelle: REUTERS

Was hat er noch gemacht?

Diesen pragmatischen Ansatz kombiniert er mit einer im Vergleich zu seinem Vater viel volksnäheren PR-Politik. Er sich mit einer Frau an seiner Seite – das Konzept der First Lady hat es vorher so noch nicht gegeben. Und er lässt eben auch über sein Unwohlsein berichten. Die propagandistische Nachricht: Schaut her, wie hart der Führer für sein Volk arbeitet, er schont nicht einmal seine Gesundheit. Kim Jong-un hat erkannt, dass Menschen für Nordkorea ein wirkliches Kapital für die Zukunft sind, in das investiert werden muss. Entsprechend hat er ein weiteres Schuljahr eingeführt, in dem es ausdrücklich nicht um die ideologische Erziehung geht, sondern um die technische und praktische Ausbildung.

Fünf spannende Fakten über Nordkorea

Er setzt sich für eine Verbesserung der Lebensstandards ein, baut aber Vergnügungsparks – ist das nicht eine Verhöhnung der Menschen auf dem Land, die nicht genügend Essen haben?

Das könnte man so sehen. Allerdings ist diese als „Brot und Spiele“ bekannte Politik weder neu noch eine koreanische Erfindung, und sie hat in der Geschichte schon oft funktioniert. Was das Land angeht, so ist dort die Lage weniger gut als in der Stadt, das ist offensichtlich. Was das unterschiedliche Lebensniveau auf dem Lande angeht, so möchte ich auch an die Theorie der zwei Geschwindigkeiten des ehemaligen chinesischen Staatschefs Deng Xiaoping erinnern. Er hat argumentiert, dass es völlig ok wäre, wenn manche Menschen schneller den Aufstieg schaffen; andere können dann umso leichter folgen. So ähnlich argumentiert man auch in Nordkorea.

Ist er seinem Vater näher oder seinem Großvater?

Er ist ganz eindeutig seinem Großvater ähnlicher – dieses Bild wird auch gezielt von den nordkoreanischen Medien verstärkt: Er trägt die gleiche Kleidung, den gleichen Strohhut, den schon sein Großvater getragen hat. Kim Jong-un wird als jugendlicher kraftvoller Führer dargestellt, der sich besonders volksnah zeigt und – anders als sein Vater, der meist etwas verdrießlich geschaut und den direkten Kontakt mit den Menschen meist gemieden hat– auch wieder Spaß an der Führungsrolle hat.

Kim Jong-un hat ein Legitimationsproblem

Wie würden Sie Kim Jong-uns Politik beschreiben?

Sie steckt voller Überraschungen. Er ist kein klassischer Verwaltungsbeamter, der alles in den eingefahrenen Bahnen weitermacht. Es sucht nach neuen Wegen und nimmt dabei auch Risiken in Kauf. Denken Sie etwa an die bizarre Geschichte mit der Einladung von Dennis Rodman. Kim Jong-un ist ein starker Diktator, der relativ frei von "check&balances" agieren kann. Es gibt also auch niemanden, der sich traut, ihn von einer nicht ganz so guten Idee abzuhalten. Wegen seiner Jugend und seines Mangels an Erfahrung hat er ein gewisses Legitimationsproblem und muss seinen Platz nach seinem Großvater und seinem Vater erst noch finden. Deshalb geht er seinen eigenen Weg mit einem eigenen Stil.

Machthaber erklimmt höchsten Berg des Landes
Kim Jong Un Quelle: REUTERS
Kim Jong Un Quelle: dpa
Nordkoreas Diktator Kim Jong Un hat nach einem Medienbericht nach seinem Onkel angeblich auch dessen gesamte Familie hinrichten lassen. „Alle direkten Verwandten von Jang (Song Thaek) sind getötet worden, darunter sogar Kinder“, berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap am Sonntag unter Berufung auf mehrere Quellen. Unter den Opfern sollen angeblich die Söhne, Töchter und Enkelkinder von Jangs beiden Brüdern sein. Auch Jangs Schwester sowie deren Ehemann, der Botschafter des Landes in Kuba, und Jangs Neffe, der nordkoreanische Botschafter in Malaysia, sollen getötet worden sein. Der Onkel von Nordkoreas jungem Machthaber Kim war im vergangenen Monat unter dem Vorwurf des Hochverrats und der Planung eines Putsches hingerichtet worden. Quelle: AP
Nach der überraschenden Hinrichtung von Kims Onkel und Mentor, Jang Song Thaek, in der vergangenen Woche wurde die Zeremonie im In- und Ausland mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Auf den vom nordkoreanischen Staatsfernsehen ausgestrahlten Bildern war Kims Tante, Kim Kyong Hui, nicht zu sehen. Die Witwe von Jang hätte nach südkoreanischer Auslegung mit ihrer Anwesenheit „die Hinrichtung ihres Mannes durch ihren Neffen öffentlich anerkannt“. Jang galt lange Zeit als zweitmächtigster Mann im Land. Dem 67-Jährigen wurden auch gute Verbindungen zum Militär nachgesagt. Jang und einige Gefolgsleute wurden wegen Hochverrats hingerichtet. Dagegen war Kims Frau Ri Sol Ju erstmals seit zwei Monaten wieder in der Öffentlichkeit zu sehen. Sie ging mit ihrem Mann durch das Kumsusan-Mausoleum in der Hauptstadt Pjöngjang. Dort sind Kims Vater und Amtsvorgänger Kim Jong Il sowie Großvater und Staatsgründer Kim Il Sung aufgebahrt. Vor dem Mausoleum hatten sich mehrere Tausend Menschen versammelt. Quelle: dpa
Der entmachtete Onkel des nordkoreanischen Herrschers Kim Jong Un ist nach offiziellen Angaben wegen des Vorwurfs des Hochverrats hingerichtet worden. Ein Militärtribunal habe Jang Song Thaek am Donnerstag zum Tode verurteilt, berichteten die Staatsmedien am Freitag (13. Dezember). Der Beschuldigte habe parteifeindliche, konterrevolutionäre Handlungen mit dem Ziel ausgeführt, „die Führung unserer Partei, des Staates und des sozialistischen Systems zu stürzen“. Der 67-Jährige habe seine Taten gestanden. Das Urteil sei sofort vollstreckt worden. Jang galt lange Zeit als die graue Eminenz des Regimes. Quelle: AP
Jang wurde den offiziellen Angaben zufolge vorgeworfen, bereits seit dem Tod des früheren Machthabers und Vaters von Kim Jong Un, Kim Jong Il, im Dezember 2011 auf die Machtübernahme hingearbeitet zu haben. Jang, der bis vor kurzem noch Vizevorsitzender der mächtigen Nationalen Verteidigungskommission gewesen war und enge Kontakte zu China unterhielt, wurde in den nordkoreanischen Medien als „Verräter“ und „abscheulicher menschlicher Abschaum, der schlimmer als ein Hund war“, bezeichnet. Quelle: AP
Eine unabhängige Bestätigung der Berichte über die Hinrichtung gibt es nicht. Nach Informationen des südkoreanischen Senders Free North Korea Radio (FNK), das von nordkoreanischen Flüchtlingen betrieben wird, ließ das kommunistische Regime den 67-jährigen Jang und einige seiner Gefolgsleute bereits in der vergangenen Woche hinrichten. Bilder des Staatsfernsehens, die die Festnahme Jangs am vergangenen Sonntag bei einer Sitzung des Politbüros der herrschenden Arbeiterpartei zeigten, seien womöglich manipuliert gewesen, hatte FNK am Dienstag berichtet. Quelle: REUTERS

Woraus ergibt sich das Legitimationsproblem?

Die Macht geht in Nordkorea vom Gründer aus, also seinem Großvater Kim Il-sung. Nun ist der aber 1994 schon gestorben. Für Kim Jong-il, den Vater des aktuellen Diktators, bildete die Nähe zum Staatsgründer die Basis seiner Macht. Er war 20 Jahre lang die rechte Hand seines Vaters, wurde von diesem 1980 offiziell zum Nachfolger bestimmt und war damit ab 1994 und der einzig mögliche neue Führer. Aber Kim Jong-il ist überraschend und zu früh gestorben, so dass er keinen Nachfolger aufbauen konnte. Kim Jong-un wurde überhaupt erst ein Jahr vor dem Tod seines Vaters der Öffentlichkeit vorgestellt – und er ist zudem noch der drittgeborene Sohn. Er muss sich als Führer erst profilieren.

Mit welchem Politiker würden Sie den nordkoreanischen Machthaber vergleichen?

Angesichts der fast absoluten Machtfülle fallen einem hierzu kaum Vergleiche ein. Weder Stalin noch Mao kommen in Frage, auch kein römischer Kaiser. Nein, ich denke, Kim Jong-un ist Kim Jong-un.

Ist der neue nordkoreanische Machthaber ein visionärer Führer oder ein risikoscheuer Bewahrer?

Ich sehe ihn definitiv eher als aktiven Visionär anstatt als vorsichtigen Beamtentyp. Die fast drei Jahre seiner Herrschaft sind voll von Entscheidungen, auch solchen, die man nicht erwartet hat. Derzeit glaubt er aber noch daran, das Land im Rahmen des existierenden Systems weiterentwickeln zu können. Erst, wenn er diese Möglichkeiten ausgeschöpft hat, wird er an einem Punkt ankommen, wo ihm klar wird: Entweder Reform und Fortschritt, oder Stagnation. Ich denke, er wird sich für ersteres entschieden, wenn es soweit ist. Auch wenn das das Risiko beinhaltet, das System nicht nur zu reformieren, sondern zu zerstören, wie es Michail Gorbatschow gelungen ist.

Es gibt keinen potentiellen Nachfolger

Welchen Einfluss hat China auf Nordkorea?

Der Einfluss ist groß, aber auf indirekte Art und Weise. China lebt quasi vor, was sich alles positiv verändern könnte, falls sich Nordkorea zur Reform entscheidet.
Die Volksrepublik ist weltweit eines der wenigen Länder, die das politische System Nordkoreas recht gut verstehen, weil es dem eigenen durchaus ähnlich ist. Hinzukommt, dass die sprachliche Barriere viel niedriger ist, weil viele Nordkoreaner Chinesisch sprechen und viele Chinesen Koreanisch.


China hat für Nordkorea trotz aller Konflikte, die es natürlich auch gibt, eine Vorbildrolle. Die Grenze zwischen Nordkorea und China ist durchlässiger als es zwischen der DDR und ihren Nachbarstaaten vor 25 Jahren war, selbst wenn die Volksrepublik in der vergangenen Zeit die Grenzkontrollen deutlich verschärft hat. Trotzdem würde ich sagen, dass es eine halboffene Grenze ist, durch die Schmuggel und auch illegale Grenzübertritte möglich sind.

Was passiert, wenn Kim Jong-un unerwartet stirbt?

Nordkorea stünde ohne Führer da, denn es gibt keinen potentiellen Nachfolger, der sofort und ohne Widerstand die Macht übernehmen könnte. Doch ohne Führer funktioniert das gegenwärtige Nordkorea nicht, es wäre also in seiner Existenz gefährdet. Wahrscheinlich würde das Land dann entweder in eine neue Diktatur unter einem neuen starken Mann steuern, oder ein System der kollektiven Führung wie in China probieren. Doch wie lange sich so etwas wird halten können, das ist fraglich. Es wäre sehr gut denkbar, dass eine Dynamik wie in der DDR vor 25 Jahren zustande kommt und das ganze Land innerhalb weniger Wochen zusammenbricht oder sich zumindest tiefgreifend verändert. Das weiß die Führung auch; das ist einer der Gründe, warum ich einen Putsch ausschließe. Die sitzen alle in einem Boot, und niemand wird so dumm sein, da ein Loch hinein zu bohren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%