
Herr Frank, in dieser Woche wurde viel spekuliert über den Gesundheitszustand von Kim Jong-un. Ist er sterbenskrank?
Rüdiger Frank: Ich denke, dass Kim Jong-un wirklich kleinere gesundheitliche Probleme hat und sich deshalb für einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich der Machthaber für einige Zeit nicht in der Öffentlichkeit zeigt. Bei meinem letzten Besuch im Lande habe ich eine im Vergleich zu einem Jahr zuvor stark gewachsene Zahl an Losungen gesehen, die Kim Jong-un verherrlichen. Auch andere Propaganda-Materialien deuten darauf hin, dass sich seine Machtposition weiter gefestigt hat.
Droht ihm trotzdem ein Machtverlust?
Mit einem Machtverlust muss das noch lange nicht zusammenhängen. Ich würde eher einen kollektiveren, arbeitsteiligen Ansatz in der Politik vermuten. Das wäre dann sogar ein positives Zeichen.
Zur Person
Der gebürtige Leipziger Rüdiger Frank ist Ostasienwissenschaftler an der Universität Wien, wo er schwerpunktmäßig zum Thema Nordkorea arbeitet. Im September hat er das Buch "Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates" veröffentlicht, in dem er auch von seiner Studienzeit an der Kim-Il-sung-Universität im nordkoreanischen Pjöngjang berichtet.
Wieso wird zurzeit trotzdem, vor allem in amerikanischen Medien, so viel über die Schwester als neue starke Frau in Nordkorea geschrieben?
Kim Yo-jong ist schon seit 2011 gelegentlich öffentlich aufgetreten, vielleicht bekleidet sie auch Positionen in der nordkoreanischen Führung. Das ist in einer Familiendiktatur nicht ungewöhnlich. Auch ist es Ausdruck einer pragmatischen Notwendigkeit; Nordkorea wird immer komplexer, ein einzelner Führer kann nicht mehr alles alleine machen. Ein Teil der kollektiven Führung, die er womöglich installiert, könnte seine jüngere Schwester sein.
Die bisherigen Machthaber Nordkoreas
Kim Il-sung führte das Land von 1948 bis zu seinem Tod 1994 mit einer eigenen Ideologie, die Nordkorea von anderen Staaten abschottete.Er gilt als der Staatsgründer Nordkoreas und wird bis heute als "Ewiger Präsident" verehrt. Sein Sohn Kim Jong-il wurde systematisch als Nachfolger aufgebaut.
Während sein Vater als "Ewiger Führer" verehrt wurde, schreibt die nordkoreanische Propaganda ihm die Attribute "geliebter Führer" und "Sonne des 21. Jahrhunderts" vor. Durch seinen frühen Tod 2011 herrschte er nur 17 Jahre über Nordkorea und machte das Land währenddessen zu einer Atommacht. Überraschend wurde erst ein Jahr vor dem Tod sein drittgeborener Sohn als Nachfolger präsentiert.
Als "Geliebter Führer" wird in der nordkoreanischen Propaganda dargestellt - und er hat mit nur 30 Jahren die Geschäfte in Nordkorea übernommen. Anders als sein Vater konnte er nicht als Nachfolger aufgebaut werden und muss sich seinen Platz in der nordkoreanischen Politik erst erkämpfen: Das macht er, in dem er sich durch hartes Auftreten auszeichnet, aber auch offen Fehler zugibt.
Was zeichnet sie aus?
Wie so oft im Falle Nordkoreas wissen wir hierzu nur sehr wenig: Sie ist offenbar die jüngere Schwester von Kim Jong-un, und sie wurde mehrfach auf offiziellen Fotos in seiner Entourage gesehen. Das ist alles. Da sich ein Diktator nur auf wenige Personen wirklich verlassen kann, ohne Vertraute aber sein Land nicht regieren kann, ist es durchaus sinnvoll, davon auszugehen, dass er seiner Schwester hier und da eine Aufgabe gibt. Das könnte in Zukunft noch intensiver werden. Als eine Bedrohung würde ich sie nicht einschätzen, aus drei Gründen: Kim vertraut ihr, und er kennt sie besser als wir alle. Sie ist eine Frau und sie ist sehr jung - noch jünger als Kim Jong-un. Als Galionsfigur eines Putsches wäre sie also denkbar ungeeignet.
Widerspricht eine „kollektive Führung“ nicht dem Allmachtsanspruch des Führers?
Ganz und gar nicht – eine Arbeitsteilung bedeutet nicht zwangsläufig einen Machtverlust für Kim Jong-un. Er ist und bleibt unangetastet; darum ist es so problematisch, von einer „Nummer 2“ zu sprechen. Sollte jemand zu stark werden, wird er rigoros herabgestuft oder, wie im Falle des Onkels, beseitigt. Nach dem Führer kommt ganz lange erst einmal nichts. Danach kommt eine obere Führungsriege, auf deren Schultern die anfallende Arbeit verteilt wird – sei es ein Besuch in Südkorea, die Teilnahme an einer Parlamentssitzung oder die Eröffnung einer Schule.