Nordkorea-Konflikt Wissen sie, was sie tun?

Das verbale Wettrüsten zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un scheint von selbstmörderischer Selbstsucht getrieben. Aber es steckt auch Kalkül dahinter. Eine Analyse.

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Der US-Flugzeugträger USS Carl Vinson (vorne) im westlichen Pazifik flankiert von südkoreanischen und US-amerikanischen Kriegsschiffen. Quelle: dpa

New York Donald Trump hat für seinen Wutausbruch, mit dem er am Dienstag Nordkorea „Feuer und Wut (fire and fury)“ androhte, jede Menge Kritik geerntet – in den US-Medien, zum Teil auch aus dem eigenen politischen Lager. In der Tat ist erschreckend, dass er seine Bemerkung offenbar ohne Absprache mit Sicherheitsberatern, Stabschef oder Verteidigungsministerium gemacht hat. Wozu umgibt er sich mit Generälen, wenn er sie gerade in militärischen Fragen nicht konsultiert?

Nach der Drohung von Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un, den US-Militärstützpunkt Guam anzugreifen – möglicherweise auch nur symbolisch mit Raketen, die in der Nähe der Pazifik-Insel im Wasser landen – legte Trump unbeirrt nach. Vielleicht habe er sich noch nicht deutlich genug ausgedrückt, sagte Trump – und versicherte, das US-Militär stehe bereit („locked and loaded“), zuzuschlagen. Das ist der gefährliche Stand der Dinge.

Das „Wall Street Journal“ hatte schon vor der letzten Zuspitzung die Ereignisse anders kommentiert als die meisten anderen großen US-Medien. Trumps Drohung, lautete dort die Vermutung, sei weniger gegen den Diktator Nordkoreas gerichtet, sondern mehr gegen seine Generäle. Und noch mehr gegen China. Denn die Chinesen sind mit ihrer Nähe zu Nordkorea und ihren wirtschaftlichen Beziehungen dorthin am ehesten in der Lage, Kim Jong-Un zu beeinflussen. Zumal er wissen dürfte, dass sie kein Interesse an einer Destabilisierung seines Regimes haben. Denn die wäre möglicherweise mit einem Flüchtlingsstrom aus dem heruntergekommenen Land verbunden. Zudem würde der US-Verbündete Südkorea gestärkt und die Amerikaner könnten Truppen direkt an der chinesischen Grenze stationieren.

Wenn das „Wall Street Journal“ mit seiner Einschätzung richtig liegt, dann hat Trump mit seiner Feuer-Drohung, ob nun abgesprochen oder nicht, schon ein wichtiges Ziel erreicht. Die Chinesen, die wütend auf beide Seiten in dem Konflikt sind und auf Verhandlungen drängen, haben über entsprechende Äußerungen in ihren Medien deutlich gemacht, dass Nordkorea mit keinerlei militärischer Unterstützung rechnen kann, wenn es zum Krieg kommt. Das dürfte dem Diktator und noch mehr seinen Generälen in den Ohren klingeln.

Die Frage ist, was jetzt passiert. Wenn Nordkorea Raketen Richtung Guam schickt, ist Trump beinahe gezwungen, in irgendeiner Form zumindest symbolisch militärisch zu reagieren, wenn er seine Glaubwürdigkeit behalten will. Vielleicht unterlassen die Nordkoreaner diesen Schritt aber auch, den sie bisher nur angedeutet, aber nicht angekündigt haben. Wenn das passiert, hätte Trump einen wichtigen Punkt gewonnen. Er hätte deutlich gemacht, dass Amerika sich nicht einschüchtern lässt, und die Nordkoreaner hätten dies de facto auch anerkannt.

In dem berühmten Film „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean aus dem Jahr 1955 rasen Jugendliche mit gestohlenen Autos auf einen Abgrund zu springen im letzten Moment ab. Wer den größten Mut zeigt, ist der Gewinner. Die heutige Situation erinnert an diese Art „chicken run“, wie die Amerikaner es nennen. In der Tat spielt pubertäres Gehabe in der Auseinandersetzung zwischen dem brutalen Diktator Nordkoreas und dem unberechenbaren Präsidenten der USA eine Rolle. Aber ein bisschen, die Hoffnung bleibt, wissen sie trotzdem, was sie tun. Es ist ein Spiel mit extremem Risiko, aber nicht völlig ohne Kalkül.

Zum Teil wird die Situation auch mit der Kubakrise 1962 verglichen. Damals ist John F. Kennedy ein hohes Risiko eingegangen und hat damit Russland unter Nikita Chruschtschow gezwungen, Raketen mit Atomsprengköpfen von Kuba abzuziehen. In mancher Hinsicht war die Situation noch gefährlicher, weil sich zwei etwa gleich starke, hochgerüstete Atommächte gegenüber standen. Auf der anderen Seite waren beide Staatschefs damals vielleicht doch besonnener als Trump und vor allem Kim Jong-Un heute.

Außerdem hatte Kennedy auch etwas anzubieten, nämlich den Abzug amerikanischer Raketen aus Italien und der Türkei: Das wurde zunächst in der Öffentlichkeit nicht bekannt, so dass der US-Präsident als jemand dastand, der vor allem durch Mut und Stärke den Gegner eingeschüchtert hat. Die sowjetische Führung wiederum war skrupellos und machtbewusst, aber nicht von der Lust an purer Provokation getrieben.

Die nächsten Tage könnten die erhoffte Entwicklung bringen, dass die Krise abflaut und die starken Sprüche wie Seifenblasen zerplatzen. Aber es könnte auch ganz anders kommen.

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