Nothilfe-Gipfel Weltpremiere in Istanbul

5000 Teilnehmer, dreijährige Vorbereitungen: Der Uno-Gipfel zur humanitären Hilfe soll die Versorgung in Krisengebieten verbessern. Was das Treffen bringen soll – und warum eine Hilfsorganisation aus Protest fernbleibt.

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Kanzlerin Merkel im Gespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdogan (r.): Die Versorgung in Krisenregionen soll sich verbessern. Quelle: dpa

New York/ Istanbul Auf die Initiative von Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon hin beraten Politik, Hilfsorganisationen, Unternehmen und Betroffene seit Montag über die Lage notleidender Menschen in Krisengebieten. Es ist der erste Weltnothilfegipfel der Vereinten Nationen. Bei dem zweitägigen Treffen in Istanbul soll es darum gehen, die Versorgung der Notleidenden zu verbessern.

Was ist das Ziel des Uno-Nothilfegipfels?

Die Weltgemeinschaft will die oft unzureichende Versorgung notleidender Menschen in Krisengebieten verbessern. Auf dem seit drei Jahren vorbereiteten Gipfel sollten Möglichkeiten gefunden werden, humanitäres Leid zu „verhindern und zu verringern“, sagte John Ging, Manager bei der Uno-Nothilfebehörde. Angaben der Bundesregierung zufolge müssen die kurzfristige Soforthilfe und die mittel- und langfristige Hilfe besser koordiniert werden. Es geht also um humanitäre Hilfe und um Entwicklungszusammenarbeit.

Was fordert die Bundesregierung? Was verspricht sie?
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in Istanbul die Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Es sei eine Katastrophe, dass angesichts von Bomben auf syrische Schulen und Krankenhäuser überhaupt darüber gesprochen werden müsse, sagte sie in Istanbul. Zudem bemängelte Merkel, sehr oft würden Spendenzusagen gemacht, aber das Geld gelange nicht zu den Menschen, die es am dringendsten benötigten.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte in Istanbul eine Aufstockung des deutschen Beitrags um zehn Millionen auf insgesamt 50 Millionen Euro an, damit am Ende eine Milliarde Dollar (890 Millionen Euro) erreicht wird.

Wer ist alles dabei?

Den Uno zufolge sind insgesamt 5000 Teilnehmer gekommen, darunter Vertreter von Hilfsorganisationen, Unternehmen und Betroffene. 65 Staats- und Regierungschefs nehmen am Gipfel teil, ferner Regierungsvertreter aus 180 Ländern - und natürlich Uno-Chef Ban Ki Moon. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde von Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Entwicklungsminister Gerd Müller begleitet.

Wie läuft das Treffen ab?

Das zweitägige Programm ist vollgepackt mit Reden und Diskussionen. Dazu gibt es am Rand auch noch einige kulturelle Veranstaltungen.

Was soll dabei herauskommen?

Ein rechtlich bindendes Dokument wird es wohl nicht geben. Aber in gleich drei verschiedenen Papieren, eines davon von Uno-Chef Ban, sollen die Ergebnisse des Gipfels zusammengefasst werden und dann als Grundlage für das weitere Vorgehen dienen.

Wie geht es danach weiter?

Die Vereinten Nationen betonen, der Gipfel sei „nicht das Ende eines Prozesses, sondern eher der Anfang“. Die Ergebnisse des Treffens sollen als Grundlage dienen und vertieft werden, zum Beispiel bei einem hochrangigen Treffen zur Flüchtlingskrise im September in New York.

Wieviel Geld fließt derzeit für humanitäre Hilfe? Welche Summen werden gebraucht?

Nach Angaben eines im Februar veröffentlichten Uno-Berichts beliefen sich die Kosten für humanitäre Hilfe der Notleidenden vergangenes Jahr auf 19,5 Milliarden Dollar (rund 17,4 Milliarden Euro). Größer war der Bedarf demnach noch nie. Trotz Rekordzuwendungen fehlte 2015 mit 9,3 Milliarden Dollar (rund 8,3 Milliarden Euro) allerdings fast die Hälfte dieser Mittel. Die Uno rechnet in diesem Jahr mit einem Finanzbedarf von 20 Milliarden Dollar (18 Milliarden Euro).

Wieviele Menschen sind auf Hilfe angewiesen?

Nach Schätzung der Uno sind 125 Millionen Menschen weltweit auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 60 Millionen Vertriebene.

Was fordern Hilfsorganisationen?

Hilfsorganisationen fordern unter anderem, die Finanzierung der Nothilfe dauerhaft auf eine stabilere Basis zu stellen. In vielen Krisengebieten reicht das Geld nicht aus, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen.
Das internationale Kinderhilfswerk Terre des Hommes dringt darauf, die humanitäre Hilfe in ihrer jetzigen Form zu überdenken. Humanitäre Hilfe sei mehr, als Lebensmittel und überlebenswichtige Güter zu verteilen; sie müsse „immer mehr als politische Intervention zur Sicherung der Rechte und der Würde von Menschen“ verstanden werden, sagte Albert Recknagel, Vorstandssprecher von Terre des Hommes. Die Betroffenen müssten in die Lage versetzt werden, sich gegen Willkür und Ausgrenzung zu wehren, die sie besonders anfällig für Hunger, Ausbeutung und Vertreibung machten. „Wir müssen die Regierungen noch stärker in die Pflicht nehmen, wenn deren Handeln Kriege, Flüchtlingselend und Hungernot auslösen.“

Warum die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen dem Treffen fernbleibt.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF), die den Gipfel anderthalb Jahre mit vorbereitete, bleibt dem Treffen aus Protest und „schweren Herzens“ fern. Die dringendsten Themen würden dort ausgelassen, hieß es zur Begründung – etwa die Frage, wie Hilfskräfte besser geschützt werden können. „Im vergangenen Jahr gab es Bombenangriffe auf 75 Krankenhäuser, die von MSF betrieben oder unterstützt wurden“, teilte MSF mit. Bei dem Uno-Treffen würden den Regierungen trotz „schockierender Verletzungen internationalem humanitären Rechts und der Rechte von Flüchtlingen“ keine konkreten Verpflichtungen abverlangt. Der Gipfel sei ein „Feigenblatt“.

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