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Nouriel Roubini Anleger sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten

US-Wahl: „Anleger sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten“, schreibt Ökonom Roubini. Quelle: AP

Was passiert, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl nicht klar verliert? Eine Hängepartie nach der Wahl könnte zu politischen Unruhen führen – und die Aktienkurse um bis zu zehn Prozent nach unten treiben, warnt der US-Ökonom Nouriel Roubini in einem Gastbeitrag.

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Nouriel Roubini ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Stern School of Business der New York University.

Die Meinungsumfragen in den USA deuten seit geraumer Zeit auf einen Erdrutschsieg der Demokratischen Partei bei der Wahl am 3. November hin. Dann würde Joe Biden amerikanischer Präsident, die Demokraten würden die Kontrolle über den US-Senat erringen und die Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen. Dies würde alle Regierungsbereiche unter die Kontrolle einer Partei bringen. Doch was könnte passieren, wenn die Demokraten das Weiße Haus erobern, nicht aber den Senat – oder wenn das Wahlergebnis knapp und umstritten ist und beide Seiten sich weigern, ihre Niederlage einzugestehen?

Bei der umstrittenen Wahl im Jahr 2000 dauerte es bis zum 12. Dezember, bis die Angelegenheit entschieden war: Der Oberste Gerichtshof entschied damals zugunsten von George W. Bush, und sein demokratischer Widersacher Al Gore gestand seine Niederlage mit Anstand ein. Der durch die politische Hängepartie verunsicherte Aktienmarkt fiel in diesem Zeitraum um mehr als sieben Prozent. Diesmal könnte sich die Unsicherheit noch viel länger – vielleicht monatelang – hinziehen, was für die Märkte ernste Risiken birgt.

Man muss dieses Alptraumszenario ernst nehmen, selbst wenn es derzeit unwahrscheinlich erscheint. Auch wenn Biden in den Meinungsumfragen durchgängig führt: Hillary Clinton tat dies im Vorfeld der Wahl 2016 ebenfalls. Es bleibt abzuwarten, ob es nicht heimliche Trump-Wähler in umkämpften Bundesstaaten gibt, die nicht bereit sind, den Meinungsforschern ihre wahren Präferenzen zu offenbaren.

„America first“ und „Buy American“: Für den Freihandel tritt bei der US-Wahl kein Kandidat ein – eine historische Zäsur. Mit Blick auf die Wähler ist dieser Kurs durchaus paradox.
von Julian Heißler

Zudem sind derzeit, wie schon 2016, massive (aus- und inländische) Desinformationskampagnen im Gange. Laut Warnungen von US-Behörden versuchen Russland, China, der Iran und andere feindselige ausländische Mächte aktiv, die Wahl zu beeinflussen und die Legitimität des Wahlverfahrens in Zweifel zu ziehen. Trolle und Bots fluten die sozialen Medien mit Verschwörungstheorien und Falschinformationen. In vielen republikanisch kontrollierten Bundesstaaten setzen Gouverneure und andere öffentliche Amtsträger schmutzige Tricks ein, um den Demokraten zuneigende Bevölkerungsgruppen an der Wahl zu hindern.

Auch hat Trump wiederholt – fälschlich – behauptet, dass dem Briefwahlverfahren nicht zu trauen sei. Er geht davon aus, dass ein überproportionaler Anteil derjenigen, die wegen der Pandemie nicht an der Urne abstimmen, Demokraten sind. Falls Trump verliert und behauptet, die Wahl sei manipuliert worden, drohen Unruhen und Gewalt.

Tatsächlich dürfte Trump, wenn nicht schon die ersten gemeldeten Ergebnisse in der Wahlnacht einen Erdrutschsieg der Demokraten erkennen lassen, seinen Sieg in umkämpften Staaten erklären, bevor dort alle Briefwahlstimmen ausgezählt sind. Republikanische Funktionäre planen bereits, die Auszählung in entscheidenden Staaten auszusetzen, indem sie die Gültigkeit dieser Stimmen in Frage stellen. Ausfechten werden sie diese juristischen Gefechte in den Hauptstädten von Republikanern kontrollierter Bundesstaaten, vor Trump-freundlichen Staats- und Bundesgerichten und einem Obersten Gerichtshof mit konservativer Zweidrittelmehrheit.

Zugleich könnten weiße bewaffnete Milizen, die sich derzeit „bereit halten“, auf den Straßen Gewalt und Chaos verursachen. Das Ziel wäre, linke Gegengewalt zu provozieren – was Trump einen Vorwand verschaffen würde, unter Berufung auf den Insurrection Act Strafverfolgungsbehörden des Bundes oder das US-Militär einzusetzen, um „Recht und Ordnung“ wiederherzustellen. Die Trump-Regierung hat bereits mehrere von den Demokraten regierte Städte als „anarchistische Zentren“ bezeichnet.



Falls die Ergebnisse am Wahlabend einen deutlichen Vorsprung Bidens in traditionell republikanischen Staaten wie North Carolina, Florida oder Texas erkennen lassen, wäre es für Trump schwieriger, das Ergebnis länger als ein paar Tage zu bestreiten. Er würde seine Niederlage dann eher eingestehen. Das Problem ist, dass alles andere als ein Erdrutschsieg Bidens für Trump (und ihn unterstützende ausländische Regierungen) die Chance böte, durch Desinformation Verwirrung zu stiften und herumzulavieren, um die endgültige Entscheidung in die Gerichte zu verlagern.

Dieses Maß an politischer Instabilität könnte erhöhte Risikoscheu an den Finanzmärkten auslösen – und das zu einer Zeit, wo die Volkswirtschaft ohnehin lahmt. Falls sich der Disput über das Wahlergebnis womöglich bis Anfang kommenden Jahres hinzieht, könnten die Aktienkurse um bis zu zehn Prozent fallen. Die (schon jetzt sehr niedrigen) Renditen auf Staatsanleihen würden sinken, die globale Flucht in sichere Häfen dürfte den Goldpreis in die Höhe treiben. Normalerweise würde der Dollar bei einem derartigen Szenario anziehen. Doch weil diese Situation durch das politische Chaos in den USA selbst ausgelöst wäre, könnte es sogar zu einer Kapitalflucht aus dem Dollar kommen.


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Mehr noch: Ein umstrittenes oder angefochtenes Wahlergebnis würde Amerikas globales Image als Musterland der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter beschädigen und seine Soft Power untergraben. Auch wenn zu hoffen ist, dass die skizzierten chaotischen Umstände nicht eintreten, sollten sich Anleger auf das Schlimmste vorbereiten. Nicht nur am Wahltag selbst. Sondern auch in den Wochen und Monaten danach.

Mehr zum Thema: Warum sich das Verhältnis der USA zu Deutschland nicht entspannen wird – egal, wer im Weißen Haus regiert.

Copyright: Project Syndicate

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