
Im Streit über die Zukunft des umstrittenen Ausspähgesetzes zur Terrorabwehr läuft dem US-Kongress die Zeit davon. Nachdem sich der Senat in der Nacht zum Samstag nicht auf eine Verlängerung des „Patriot Act“ einigen konnte, der zum Juni ausläuft, musste der republikanische Mehrheitsführer Mitch McConnell eine Sondersitzung am 31. Mai einberufen.
Im Zentrum des Konfliktes stehen die Pläne von US-Präsident Barack Obama, das Ausspähen von Amerikanern durch den Geheimdienst NSA zu beschränken. Die Senatoren in Washington stimmten in einer Nachtsitzung gegen ein neues Gesetz, das die massenhafte Speicherung der Telefondaten von Millionen US-Bürgern beenden soll. Eine vorübergehende Verlängerung des unveränderten „Patriot Act“ ließen sie aber auch nicht zu.
Wo die NSA im Ausland spioniert hat
Für Empörung sorgte im Oktober ein Bericht der französischen Tageszeitung „Le Monde“, wonach die NSA allein innerhalb eines Monats – zwischen dem 10. Dezember 2012 und dem 8. Januar 2013 – 70,3 Millionen Telefonverbindungen in Frankreich überwachte. Bereits Anfang Juli hatte der britische „Guardian“ berichtet, der Geheimdienst habe unter anderem Frankreichs diplomatischen Vertretungen in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York ausgespäht. Im September berichtete der „Spiegel“ auch von Spähangriffen gegen das französische Außenministerium in Paris.
Die „Washington Post“ und der „Guardian“ berichten Anfang Juni, die NSA und die US-Bundespolizei FBI würden auf Serverdaten der großen Internetkonzerne wie Yahoo, Facebook, Google und Microsoft zugreifen. Der Name des geheimen Überwachungsprogramms: Prism.
Der „Guardian“ berichtet Mitte Juni unter Berufung auf die Snowden-Dokumente, der britische Geheimdienst habe vor vier Jahren Delegierte von zwei in London stattfindenden G-20-Treffen ausgespäht. Ziele waren demnach die Delegationen Südafrikas und der Türkei. Die NSA soll bei der Gelegenheit versucht haben, ein Satelliten-Telefongespräch des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew nach Moskau abzuhören.
In seiner Ausgabe vom 1. Juli berichtet der „Spiegel“, die NSA habe in EU-Vertretungen in Washington, New York und Brüssel unter anderem Wanzen installiert. Auch sollen interne Computernetzwerke infiltriert worden sein. Ende August berichtet der „Spiegel“, die NSA habe auch die Zentrale der Vereinten Nationen in New York ausspioniert. Dem Geheimdienst gelang es demnach, in die interne Videokonferenzanlage der Uno einzudringen.
Der brasilianische Sender „Globo“ berichtet Anfang September, die NSA habe Telefonate und Internetkommunikation von Staatschefin Dilma Rousseff und ihren Mitarbeitern überwacht. Auch Unternehmen wie der Ölkonzern Petrobras und Millionen brasilianischer Bürger sollen ausgespäht worden sein. Verärgert verschiebt Rousseff einen für Oktober geplanten Staatsbesuch in den USA auf unbestimmte Zeit.
Der „Spiegel“ berichtete im Oktober 2014, schon 2010 sei es einer NSA-Spezialabteilung gelungen, in das E-Mail-Konto des damaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón einzudringen. Calderóns Nachfolger Enrique Peña Nieto forderte Anfang September Erklärungen von den USA, nachdem Globo berichtet hatte, die NSA habe ihn während des Wahlkampfs 2012 ausgespäht.
In einem Interview mit der Zeitung „South China Morning Post“ aus Hongkong gibt Snowden an, die NSA hätten chinesische Mobilfunk-Konzerne gehackt und Millionen von SMS ausgespäht. Demnach verübte die NSA auch Cyber-Attacken auf die Tsinghua-Universität in Peking. Dort sind sechs zentrale Netzwerk-Schaltstellen untergebracht, über die Chinas gesamter Internetverkehr läuft.
Die Vorlage der Regierung für das neue Gesetz, der „USA Freedom Act“, erhielt nur 57 Stimmen - nötig wären 60 gewesen. Das Repräsentantenhaus hatte in der Vorwoche noch mit großer Mehrheit dafür zugestimmt. Es sieht vor, dass die NSA künftig Telefon-Metadaten nicht mehr selbst speichern darf. Dies sollten die privaten Telefonunternehmen übernehmen. Eine Einschränkung der Spähtätigkeit im Ausland ist hingegen nicht vorgesehen.
Die Parlamentarier stehen nun unter immensen Zeitdruck, denn zum 1. Juni läuft die gesetzliche Erlaubnis zum massenhaften Abgreifen der Telefon- und Internetdaten durch den „Patriot Act“ aus. Die Arbeit der NSA droht somit eingeschränkt zu werden - die Behörde bereitet sich laut Medienberichten bereits darauf vor.
Der „Patriot Act“ war als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 beschlossen worden. Das Anti-Terror-Gesetz bildet die rechtliche Grundlage für die NSA, im großen Stile Daten zu sammeln.
Gegen eine Verlängerung der Ausspährechte sprach sich vor allem der republikanische Senator Rand Paul aus, der zur Präsidentenwahl 2016 antreten möchte. Regierungssprecher Josh Earnest hatte die Senatoren vergeblich zu raschem Handeln aufgerufen.
„Was in dieser Woche im Senat passiert ist, war eine Katastrophe“, sagte der demokratische Abgeordnete und Geheimdienstexperte Adam Schiff in einer TV-Sendung. „Es sieht so aus, als würde das Programm (der Patriot Act) auslaufen.“
Das millionenfache Datensammeln war 2013 vom Whistleblower Edward Snowden enthüllt worden. Auch das Handy der Bundeskanzlerin Angela Merkel war im Visier der US-Geheimdienste. Präsident Obama hatte darauf eine Reform angestoßen, von der allerdings ausschließlich US-Amerikaner profitieren würden. Die Regierung will die extreme Datensammelwut zwar stoppen, mit der Reform aber gleichzeitig sicherstellen, dass Daten zum Schutz vor Terrorattacken begrenzt weiter gesammelt und genutzt werden können.