
Knapp zwei Jahre nach Enthüllung der massiven Datensammelwut durch den US-Geheimdienst NSA wollen die Abgeordneten in Washington die umstrittenen Spionage schärfer kontrollieren. Das Repräsentantenhaus stimmte mit überraschend großer Mehrheit von 338 zu 88 Stimmen dafür, die massenhafte Speicherung der Telefondaten von Millionen Amerikanern zu beenden. Sofern der Senat dem Gesetzentwurf ebenfalls zustimmt, wäre es die umfassendste Reform der NSA seit den Enthüllungen des Computerspezialisten Edward Snowden im Juni 2013.
Sollte der Senat bis Ende Mai zustimmen, dürfte die National Security Agency die Telefondaten nicht mehr selbst sammeln und speichern. Stattdessen müssten die NSA oder die Bundespolizei FBI die Daten für Terror-Ermittlungen bei den Telefongesellschaften anfragen. Derzeit speichert die NSA die Informationen selbst und kann diese nach einer gerichtlichen Erlaubnis durchsuchen, sofern ein berechtigter Terrorismus-Verdacht besteht. Die Datensammlung begann nach den verheerenden Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York.
Wo die NSA im Ausland spioniert hat
Für Empörung sorgte im Oktober ein Bericht der französischen Tageszeitung „Le Monde“, wonach die NSA allein innerhalb eines Monats – zwischen dem 10. Dezember 2012 und dem 8. Januar 2013 – 70,3 Millionen Telefonverbindungen in Frankreich überwachte. Bereits Anfang Juli hatte der britische „Guardian“ berichtet, der Geheimdienst habe unter anderem Frankreichs diplomatischen Vertretungen in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York ausgespäht. Im September berichtete der „Spiegel“ auch von Spähangriffen gegen das französische Außenministerium in Paris.
Die „Washington Post“ und der „Guardian“ berichten Anfang Juni, die NSA und die US-Bundespolizei FBI würden auf Serverdaten der großen Internetkonzerne wie Yahoo, Facebook, Google und Microsoft zugreifen. Der Name des geheimen Überwachungsprogramms: Prism.
Der „Guardian“ berichtet Mitte Juni unter Berufung auf die Snowden-Dokumente, der britische Geheimdienst habe vor vier Jahren Delegierte von zwei in London stattfindenden G-20-Treffen ausgespäht. Ziele waren demnach die Delegationen Südafrikas und der Türkei. Die NSA soll bei der Gelegenheit versucht haben, ein Satelliten-Telefongespräch des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew nach Moskau abzuhören.
In seiner Ausgabe vom 1. Juli berichtet der „Spiegel“, die NSA habe in EU-Vertretungen in Washington, New York und Brüssel unter anderem Wanzen installiert. Auch sollen interne Computernetzwerke infiltriert worden sein. Ende August berichtet der „Spiegel“, die NSA habe auch die Zentrale der Vereinten Nationen in New York ausspioniert. Dem Geheimdienst gelang es demnach, in die interne Videokonferenzanlage der Uno einzudringen.
Der brasilianische Sender „Globo“ berichtet Anfang September, die NSA habe Telefonate und Internetkommunikation von Staatschefin Dilma Rousseff und ihren Mitarbeitern überwacht. Auch Unternehmen wie der Ölkonzern Petrobras und Millionen brasilianischer Bürger sollen ausgespäht worden sein. Verärgert verschiebt Rousseff einen für Oktober geplanten Staatsbesuch in den USA auf unbestimmte Zeit.
Der „Spiegel“ berichtete im Oktober 2014, schon 2010 sei es einer NSA-Spezialabteilung gelungen, in das E-Mail-Konto des damaligen mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón einzudringen. Calderóns Nachfolger Enrique Peña Nieto forderte Anfang September Erklärungen von den USA, nachdem Globo berichtet hatte, die NSA habe ihn während des Wahlkampfs 2012 ausgespäht.
In einem Interview mit der Zeitung „South China Morning Post“ aus Hongkong gibt Snowden an, die NSA hätten chinesische Mobilfunk-Konzerne gehackt und Millionen von SMS ausgespäht. Demnach verübte die NSA auch Cyber-Attacken auf die Tsinghua-Universität in Peking. Dort sind sechs zentrale Netzwerk-Schaltstellen untergebracht, über die Chinas gesamter Internetverkehr läuft.
Jenseits von Parteigrenzen stimmten die Abgeordneten am Dienstag (Ortszeit) für den sogenannten „USA Freedom Act“. Mit der Zahl der Gegenstimmen lagen Demokraten (41) und Republikaner (47) fast gleichauf. Daran zeigt sich, wie erbittert die Debatte über die international kritisierten Spähprogramme auch innerhalb der Lager geführt wird. Das Vorhaben bezieht sich aber nur auf die USA - die Spionage in anderen Ländern wie Deutschland, wo auch das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgespäht worden war, wäre nicht betroffen.
„Dieses starke, überparteiliche Gesetz enthält die umfassendsten Reformen der Überwachungspraktiken der Regierung seit fast 40 Jahren“, teilte Bob Goodlatte, Vorsitzender des Justizausschusses im Abgeordnetenhaus, mit. Die Amerikaner hätten dem Kongress „laut und deutlich“ gesagt, dass die Spionage gezügelt werden müsse. Ein Bundesberufungsgericht hatte das Vorgehen Anfang Mai bereits für verfassungswidrig erklärt, die Praxis aber nicht beendet.
Nun steigt der Druck auf den republikanischen Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, der das NSA-Programm ohne Änderungen um fünf weitere Jahre verlängern will. Eine kleine, einflussreiche Gruppe von Senatoren kämpft für den Erhalt der laufenden Spionagepraxis und nennt als Begründung den Schutz vor Terroranschlägen. „Ich glaube, wenn wir diese Maßnahmen auslaufen lassen, setzen wir die Sicherheit unseres Heimatlandes einem viel größeren Risiko aus“, sagte Senator John Cornyn, der als McConnells wichtigster Mitstreiter gilt. Auch Präsidentschaftskandidat Marco Rubio unterstützt McConnells Vorstoß.
Die Zeit drängt, da am 1. Juni die gesetzliche Erlaubnis zum massenhaften Abgreifen der Telefon- und Internetdaten ausläuft. Präsident Barack Obama, der zuvor kleinere Reformen der Spionagepraxis versprochen hatte, unterstützt das Gesetz. Die Regierung will die extreme Datensammelwut stoppen, mit der Reform aber gleichzeitig sicherstellen, dass Daten zum Schutz vor Terrorattacken begrenzt weiter gesammelt und genutzt werden können.