
Trotz des Vormarsches der Terrormiliz IS streiten die USA und die Türkei weiter über die Nutzung von Stützpunkten in dem Nato-Land. Der türkische Außenminister Mevsüt Calisoglu sagte am Montag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu, es gebe noch keine Einigung, dass die internationale Allianz die türkischen Stützpunkte für den Kampf gegen den IS nutzen könne. Er dementierte damit Aussagen von Susan Rice, der Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama.
Rice hatte im US-Fernsehen gesagt, die Regierung in Ankara habe zugestimmt, ihre Stützpunkte zur Verfügung zu stellen. Minister Calisoglu bestätigte aber, dass es eine Einigung über die Ausbildung gemäßigter syrischer Rebellen gebe.
Das Anti-IS-Bündnis will die Türkei seit längerem enger einbinden. Die Regierung in Ankara sträubt sich jedoch dagegen und pocht unter anderem auf ein gemeinsames Vorgehen, das sich auch gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad richtet. Die Türkei spielt eine entscheidende Rolle, weil sie unmittelbar an Gebiete grenzt, die von den IS-Extremisten kontrolliert werden.
In der Diskussion um das weitere Vorgehen gegen IS schloss Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien aus. Bei einem Besuch in Saudi-Arabien sagte Steinmeier zu Überlegungen aus den Reihen der Grünen: „Das lässt sich leicht fordern in Deutschland, wenn man weiß, dass ein solches Mandat nicht zustande kommt“. Deutschland stehe mit der Entscheidung, keine Bodentruppen zu schicken, nicht allein. „Das ist ja nichts, was eine solitäre Auffassung der deutschen Regierung ist. Auch die Amerikaner und die anderen europäischen Staaten entscheiden das in gleicher Weise.“
In der eingekesselten und umkämpften Stadt Kobane eroberten kurdische Volksschutzeinheiten (YPG) in der Nacht zu Montag nach eigenen Angaben Gebiete im Nordosten und Südwesten der Stadt vom IS zurück. Die Kämpfer hätten die Dschihadisten dort nach „schweren Gefechten“ vertreiben können, sagte Kurden-Sprecher Idris Nassan.
Kämpfe um eine syrische Grenzstadt - Warum Kobane so wichtig ist
Die syrischen Kurden haben den Bürgerkrieg im Land zum Aufbau eigener regionaler Machtstrukturen in den mehrheitlich von ihnen bewohnten Gebieten genutzt. Nachdem sich die Truppen des Regimes von Baschar al-Assad 2012 zurückgezogen hatten, übernahmen sie die Kontrolle und gründeten später im Norden des Landes drei „autonome Kantone“. An der türkischen Grenze kontrollierten sie wichtige Enklaven: im Nordwesten um die Stadt Afrin, im Nordosten um die Städte Hasaka und Al-Kamischli sowie im Norden um Kobane. Eine Übernahme Kobanes durch die Terrormiliz IS wäre nicht nur der Verlust einer strategisch wichtigen Versorgungsroute, sondern auch psychologisch eine schwere Niederlage.
Die etwa 5000 Milizionäre gehören vor allem den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) an. Sie sind mit der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) verbunden. Volksschutzeinheiten und PYD stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die in der Türkei verboten ist. Im Kampf gegen den IS werden offenbar auch Selbstmordattentäter eingesetzt: Kurdische Aktivisten meldeten am Wochenende, dass eine Kämpferin mit einem Selbstmordanschlag Dutzende Extremisten getötet habe. Experten gehen davon aus, dass PKK-Kämpfer die syrischen Kurden unterstützen. Die kurdischen Milizionäre in Syrien sind nicht zu verwechseln mit den kurdischen Peschmerga-Kämpfern, die im Irak gegen den IS im Einsatz sind.
Nach kurdischen Angaben ist die überwiegende Mehrheit der verbliebenen Zivilisten an die türkischen Grenze in Sicherheit gebracht worden. Kobane wurde von den Volksschutzeinheiten zur „Militärzone“ erklärt. Laut türkischer Regierung sind mehr als 185 000 Menschen in die Türkei geflohen.
Die türkische Regierung hat den Kurden in Kobane Unterstützung zugesagt, zugleich aber klargemacht, dass sie damit in unmittelbarer Zukunft keinen Einsatz von Bodentruppen meint. Zwar hat das Parlament der Regierung ein Mandat für Militäreinsätze in Syrien und im Irak für ein Jahr erteilt. Allerdings verlangt Ankara für einen Einsatz von Bodentruppen eine umfassende internationale Strategie, die auch den Sturz des Assad-Regimes in Damaskus beinhaltet. Zugleich befürchtet Ankara, dass die Kurden an der türkischen Südgrenze die Keimzelle für einen eigenen Kurden-Staat legen könnten, sollte es ihnen gelingen, die Terrormiliz IS zurückzuschlagen.
Die IS-Kämpfer passen sich schnell und geschickt an die Luftschläge an. Sie verlassen Ziele, die von den USA ins Visier genommen werden und bringen Waffen und Geiseln an neue Stützpunkte. Zudem mischen sich die Kämpfer unter die Zivilbevölkerung und lassen auch viele ihrer schwarzen Flaggen wieder verschwinden. Weil Angriffe auf die IS-Infrastruktur schwieriger werden, hat sich auch das Tempo der Luftschläge verlangsamt, sagt David Schenker vom Washington Institute for Near East Policy. Die US-Regierung hat mehrfach betont, dass der IS nicht allein aus der Luft besiegt werden kann. Dem unabhängigen US-Instituts CSBA zufolge hat der Kampf bereits zwischen 780 und 930 Millionen Dollar (620 bis 740 Millionen Euro) verschlungen.
Die USA und Saudi-Arabien griffen am Montag gemeinsam vom IS besetzte Stellungen in Syrien an. Südwestlich von Kobane seien eine große und eine kleine IS-Einheit und im Nordosten der Stadt ebenfalls eine kleine Einheit getroffen worden, teilte das Zentralkommando in Tampa mit. Die Koalition nahm unter anderem Gebäude und Sammelstellen der Extremisten ins Visier. Nahe der östlichen Provinz Al-Rakka sei zudem eine IS-Garnison getroffen worden.
Dagegen drangen die selbst ernannten Gotteskrieger im Westen des Iraks weiter vor und eroberten eine strategisch wichtige Militärbasis, wie die unabhängige irakische Nachrichtenseite Al-Sumaria News berichtete. Die Stadt Hit liegt knapp 150 Kilometer nordwestlich der irakischen Hauptstadt Bagdad und beherbergte einen der letzten Armeestützpunkte in der vom IS kontrollierten westirakischen Provinz Anbar. Die Regierungstruppen hätten einen „strategischen Rückzug“ angetreten, hieß es.
Wie Susan Rice weiter im US-Fernsehen sagte, gestatte die Türkei künftig, dass auf ihrem Gebiet gemäßigte syrische Rebellen für den Kampf gegen die Dschihadisten ausgebildet werden. Bislang sahen die US-Pläne vor, allein in Saudi-Arabien jährlich 5000 gemäßigte syrische Rebellen auszubilden und mit Waffen auszurüsten. Washington will keine Truppen in Kampfgebiete entsenden, die Regierung in Ankara lehnt eine Bodenoffensive im Alleingang ab.
Am Montag und Dienstag sollte in den USA ein erstes Bündnistreffen für eine langfristige Strategie gegen den IS stattfinden. Zu der Konferenz hat US-Generalstabschef Martin Dempsey mehr als 20 Militärchefs eingeladen, unter anderem aus Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden.