Obamas Abschiedsrede „Seid Wächter der Demokratie“

Bei allen politischen Erfolgen: Das Ende seiner Präsidentschaft hatte sich Obama anders vorgestellt. Doch vielleicht war deswegen seine Abschiedsrede einer seiner besten Auftritte. Eine Analyse.

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US-Präsident Barack Obama während seiner Abschiedsrede in Chicago - dort wo für ihn alles begann. Quelle: Reuters

Chicago Zum Abschied ist Barack Obama dorthin zurückgekehrt, wo alles begann. Nach Chicago, wo er zum Sozialarbeiter, zum Professor, vom Lokalpolitiker zum Heilsbringer aufstieg. Dorthin, wo in einer kalten Novembernacht seine Wahl von einer kriegsmüden, rezessionsgeplagten Nation gefeiert wurde. Acht Jahre ist das her, Obama hat sich verändert, Stress und Schlafmangel haben ihre Spuren hinterlassen. Von seinem jugendhaften Charme ist nur sein Lächeln geblieben, die Haare sind ergraut, erste Falten zeichnen sein Gesicht. Auch Amerika hat sich verändert. Zum Guten wie zum Schlechten.

Bei all seinen politischen Erfolgen: Das Ende seiner Präsidentschaft hatte sich Obama anders vorgestellt. Der erste schwarze Präsident der USA muss das Weiße Haus an einen Mann übergeben, der seine Staatsbürgerschaft mit einer rassistischen Verschwörungstheorie in Frage gestellt hatte.

Der Wahlsieg Donald Trumps hat das liberale Amerika erschüttert. „Jetzt wissen wir, wie es sich anfühlt, keine Hoffnung zu haben“, hat Michelle Obama, die sonst so optimistische First Lady, vor ein paar Tagen gesagt.

Barack Obama aber hat sich nicht noch einmal auf die Bühne gestellt, um seinen Kummer kundzutun. Er will wachrütteln, er will aufmuntern, von der wichtigsten Prämisse seiner Politik, dem Glauben, dass Amerikas beste Tage noch bevorstehen, will er sich nicht verabschieden, auch nicht in der Ära Trump. Normalerweise verabschieden sich Präsidenten mit einer kurzen Ansprache im Weißen Haus. Obama spricht eine Stunde, 18 000 Menschen stehen vor ihm, sie jubeln und sie weinen, die Nachrichtensender berichten live.

Obama erwähnt seinen Nachfolger nur beiläufig, aber er skizziert eine Vision für Amerika, die im krassen Widerspruch zu Trumps Regierungsprogramm steht. In Obamas Amerika sind Einwanderer eine Bereicherung, keine Bürde. In seinem Amerika kommt Recht vor Stärke. Er beschreibt ein Land, das sich der Realität des Klimawandels stellt, eine Nation, in der Wachstum und Wohlstand kein Nullsummenspiel sind, bei der der einen Bevölkerungsgruppe genommen und der anderen gegeben wird.

Und dann sagt er einen Satz, der nur als Warnung zu verstehen ist, als Warnung vor Trump und sein Oligarchen-Kabinett. „Wenn jede wirtschaftliche Frage als Verteilungskampf zwischen einer hartarbeitenden weißen Mittelschicht und unwürdigen Minderheiten präsentiert wird, werden Arbeitnehmer aller Herkunft sich um Reste streiten, während sich die Wohlhabenden weiter in ihre Enklaven zurückziehen.“

Soweit darf es nicht kommen, das will Obama sagen. Die Präsidentschaft gibt er auf, aber sein wichtigstes Amt wird er beibehalten, ein das Amt, das er mit seinen Anhängern teilt: das Amt des Bürgers. Engagiert euch, schließt euch zusammen, kämpft. Das ruft er der Menge entgegen. Seid Wächter der Demokratie. Gerade jetzt.

Obama schließt mit einer Liebeserklärung an seine Frau und seine Töchter und einem Loblied auf seinen Vize Joe Biden und seine Mitarbeiter. Während er spricht, wischt sich der Präsident die Tränen aus den Augen.

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