OECD-Steuerstudie Deutschland ist globales Hochsteuerland Nr. 2

Ein Vergleich der Industriestaaten zeigt: Nur in Belgien ist die Steuerlast für Singles höher als in Deutschland. Dennoch ist ungewiss, ob die Steuern nach der Wahl sinken werden. Diese Versprechen wurden nie gehalten.

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Düsseldorf Wolfgang Schäuble (CDU) freut sich auf den Wahlkampf. Denn nach vier Jahren Stillstand kommt endlich Bewegung in die Steuerpolitik. „Über die Steuerpolitik werden wir kräftig streiten dieses Jahr“, sagt der Bundesfinanzminister. Um 15 Milliarden Euro will Schäuble zum Ärger der SPD die Steuern senken. Auch eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie Steuerentlastungen für Familien mit Kindern stellen CDU/CSU in Aussicht.

Mit ähnlichen Versprechen zog die Union allerdings bereits in die letzten Wahlkämpfe. Herausgekommen ist am Ende – nichts. Zwölf Jahre CDU-Regierung waren für die Steuerzahler keine Zeit der Entlastung. Das zeigt eine neue Untersuchung der Industrieländerorganisation OECD. Demnach wird ein Durchschnittsverdiener in Deutschland im Vergleich unter 35 Industriestaaten nur in Belgien stärker belastet.

49,4 Prozent an Steuern und Sozialabgaben musste ein alleinstehender Arbeitnehmer im Jahr 2015 hierzulande an den Fiskus abführen. Damit liegt Deutschland deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 36 Prozent. „Bei der Belastung der Arbeitseinkommen durch Steuern und Sozialabgaben gehört Deutschland im OECD-Vergleich weiterhin zu den Spitzenreitern“, teilt die OECD mit. Und nicht nur das: Die Steuer- und Abgabenbelastungen für die Steuerzahler sind unter der amtierenden großen Koalition zwischen 2013 und 2015 sogar noch um 0,2 Prozentpunkte gestiegen.

Nicht ganz so stark wie Singles werden Verheiratete zur Kasse gebeten. Denn in Deutschland ist die Familienförderung durch das Ehegattensplitting und die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern „besonders ausgeprägt“, schreibt die OECD. Für einen verheirateten Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern liegt die Belastung daher „nur“ bei 34 Prozent, was die neunthöchste Belastung unter den 35 OECD-Staaten darstellt. Die Belastung eines Steuerzahlers mit Familie liegt aber damit noch immer 7,4 Prozent über dem OECD-Durchschnitt.

Zwar sind die Zahlen nicht eins zu eins vergleichbar, da die OECD-Staaten ihre Sozialsysteme teils sehr unterschiedlich finanzieren. Dennoch heizen sie die Debatte um Steuersenkungen in Deutschland weiter an. „Die Zahlen zeigen einmal mehr, dass eine Steuerstrukturreform überfällig ist“, sagt Carsten Linnemann, Chef des CDU-Wirtschaftsflügels. Der Schwerpunkt der Entlastung müsse bei Normalverdienern, Alleinerziehenden und Familien liegen. „Gerade sie haben den Eindruck, dass in den letzten Jahren immer für alles Geld da war, nur nicht für die Menschen, die mit ihren Steuern unseren Sozialstaat finanzieren und überhaupt erst möglich machen“, sagt Linnemann.

Seit Jahren sprudeln dank der gut laufenden Konjunktur und steigender Löhne die Steuereinnahmen. Der Bund macht seit 2014 keine neuen Schulden mehr und hat Reserven von über 18 Milliarden Euro im Haushalt aufgebaut. Die 16 Bundesländer haben im Vorjahr einen Überschuss von 8,8 Milliarden Euro erzielt. Es ist sogar so viel Geld in den Staatskassen, dass Förderprogramme vom Bund mangels Personal in den Verwaltungen von Ländern und Kommunen gar nicht abgerufen werden. Dennoch behält der Staat die Mehreinnahmen aus dem inzwischen ungewöhnlich langen Aufschwung lieber für sich, anstatt den Bürgern davon etwas zurückzugeben.

Schäuble hat zwar zu Jahresbeginn zwar die steuerlichen Freibeträge angehoben. Das musste er aber auch. Die Verfassung schreibt eine regelmäßige Anpassung vor, damit das Existenzminimum der Bürger gesichert wird. Auch hat der Finanzminister zu Jahresbeginn so genannte „schleichende Steuererhöhungen“ ausgeglichen. Sie fallen an, wenn Arbeitnehmer wegen Lohnsteigerungen in einen höheren Steuertarif rutschen, nach Abzug der Inflation aber kaum etwas vom Gehaltsplus übrig bleibt. Doch auch mit diesem Ausgleich der im Fachjargon genannten „kalten Progression“ gibt der Staat nach Ansicht vieler Ökonomen den Bürgern nur das zurück, was ihnen ohnehin rechtmäßig zusteht.

Ansonsten blieb die große Koalition in der Steuerpolitik auffällig unauffällig. Dies lag daran, dass sich Union und SPD gegenseitig blockierten. So lehnte die CSU jede Form von Steuererhöhungen ab. Die große Koalition konnte deshalb nicht mal fragwürdige Steuersubventionen abbauen, um damit im Gegenzug eine Senkung der Einkommensteuer in Teilen zu finanzieren. Viele SPD-geführte Bundesländer wiederum lehnten Steuersenkungen grundsätzlich ab, weil sie nicht auf Einnahmen verzichten wollten.


OECD kritisiert hohe Sozialabgaben

Doch die Steuern sind eher noch das kleinere Problem. Die OECD kritisiert in ihrem Bericht „vor allem die vergleichsweise hohen Sozialabgaben“ in Deutschland. Sie verteuern nicht nur den Faktor Arbeit für Unternehmen. Sie sorgen auch für eine ungerechtere Einkommensverteilung. Denn während es im Steuersystem Freibeträge gibt und die Regel gilt, dass mit steigenden Einkommen auch die Steuersätze steigen, gibt es im Sozialsystem keine Freibeträge, die Geringverdiener entlasten. Außerdem sind die Sozialabgaben gedeckelt. Das bedeutet: Gutverdiener müssen ab gewissen Einkommensgrenzen keine weiteren Beiträge mehr abführen. Dies alles führt dazu, dass besonders Geringverdiener unter hohen Sozialbeiträgen leiden.

Die SPD arbeitet im Rahmen ihres Steuerkonzepts für den Wahlkampf daran, Geringverdiener gezielt bei den Sozialabgaben zu entlasten. So spielt die Partei die Einführung von Freibeträgen in der Sozialversicherung sowie eine Subventionierung von Sozialbeiträgen durch. „Wir können uns vorstellen, mit Freibeträgen in er Sozialversicherung zu operieren. Dies würde insbesondere Menschen mit kleinen Einkommen entlasten“, sagt SPD-Haushaltsexperte Johannes Kahrs. Allerdings hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz zuletzt betont, Investitionen hätten Vorrang vor Steuersenkungen. Außerdem setzt die SPD eher darauf, Familien über kostenlose Kitas zu entlasten. Die Kosten dafür müssten allerdings die Kommunen tragen, die von Ländern und Bund entsprechend kompensiert werden müssten, weshalb solch eine Reform keineswegs reibungslos funktionieren würde.

Die Union arbeitet ebenfalls an Entlastungen, hat aber mit den angekündigten 15 Milliarden Euro im Gegensatz zur SPD schon mal eine Hausnummer ins Schaufenster gestellt. Allerdings hat die Union schon viel versprochen in den vergangenen Wahlkämpfen. So warben CDU/CSU in ihrem „Regierungsprogramm“ 2005: „Steuern: einfach, wettbewerbsfähig und gerecht“. Heraus kam ein Anstieg der Mehrwertsteuer. Im Wahlkampf 2009 versprach die Union Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro. Nach der Wahl tat der gerade neu ins Amt gewählte Bundesfinanzminister Schäuble alles dafür, Steuersenkungen zu verhindern. Vor der Wahl 2013 war die Union dann wenigstens konsequent: Sie warb erst gar nicht mehr damit, die Steuern senken zu wollen.

Diesmal schwört die Union, es ernst mit den Entlastungen zu meinen. Schäuble hat sich mit dem Erreichen der „schwarzen Null“ seinen Platz in den Geschichtsbüchern zwar gesichert. Aber er will nicht als der Finanzminister in die Geschichte eingehen, unter dem über ein Jahrzehnt lang steuerpolitischer Stillstand herrschte. Und er findet, die Steuerbelastung sei inzwischen zu hoch. Als Beleg dafür sieht Schäuble die steigende Steuerquote, dem Anteil der Steuereinnahmen an der Jahreswirtschaftsleistung. Die Quote stieg zuletzt immer weiter, in diesem Jahr wird sie 22,3 Prozent erreichen. Schäuble hält eine Quote von runden 22 Prozent für angemessen.

Allerdings weiß Schäuble auch: Die Union braucht im Falle eines Wahlsiegs einen Koalitionspartner. Sollte es mit der FDP nicht für eine Mehrheit reichen, könnten bei einem schwarz-grünen oder schwarz-roten Bündnis schnell wieder Stillstand herrschen. Sowohl SPD wie Grüne stehen den CDU-Plänen skeptisch gegenüber. „In Schäubles Haushalt gibt es ganz viele schwarze Nullen, aber keine Luft. Die Versprechen von Herrn Schäuble grenzen da schon ans Unseriöse“, sagt SPD-Politiker Kahrs. Außerdem hatte Schäuble seit 2009 Zeit, für Entlastungen zu sorgen. „Große Ankündigungen bei gleichzeitigem Nichtstun, das passt nicht zusammen.“

Und in der Union sind der Wirtschaftsflügel und die CSU schon wieder darauf gepolt, jegliche Form von Steuererhöhungen auszuschließen, womit mögliche Wege für eine Gegenfinanzierung von Steuersenkungen wieder verbaut wären. Und so könnte auch nach der Wahl wie unter in der großen Koalition eine Blockade drohen. Schuld ist dann wieder jeweils der andere. Doch für Regierungsparteien gibt es Schlimmeres. Denn in einer Koalition profitieren ja schließlich beide Partner von den Mehreinnahmen.

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