Öl und Gas Der Fluch der Rohstoffe in Russland

2008 könnte Russland mit einem blauen Auge davonkommen, doch 2009 wird kritisch. Sinkende Öl- und Gaspreise legen die Defizite der Wirtschaft schonungslos offen.

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Gasförderung im Quelle: dpa

Die Russen können froh sein, dass sie noch einen wie Alexej Kudrin haben.

Der 48-Jährige ist Russlands Finanzminister und einer der wenigen aufrechten Liberalen im Land. In den vergangenen Boomjahren, als ihm der Öl- und Gasexport kräftige Mehreinnahmen bescherte, wachte Kudrin wie Dagobert Duck über seinen Geldschatz.

Im Juli etwa verteidigte er Rücklagen von knapp 600 Milliarden Dollar, die Konservative wie Vize-Premier Igor Setschin gern in Straßenbau und Militär gesteckt hätten. Doch der Druck, die Staatsausgaben hochzufahren, wächst.

An allen Ecken und Enden lauern Gefahren für die russische Konjunktur. Das größte Problem ist der niedrige Ölpreis, der von seinem 140-Dollar-Hoch im Juli in den Keller gerauscht ist und sich derzeit zwischen 50 und 60 Dollar pro Barrel einpendelt.

Makroökonomisch könnte dies den Leistungsbilanzüberschuss von über 91 Milliarden Dollar (2007) in ein Defizit verwandeln. Mikroökonomisch bringt es die Öl- und Gaskonzerne Russlands in die Bredouille. Bei einem Ölpreis von 50 Dollar macht ein ineffizienter Staatskonzern wie Rosneft bei jedem verkauften Barrel einen Verlust von rund 14 Dollar.

Da die Rohstoffriesen zudem hoch verschuldet sind, musste der Staat im September ein knapp zehn Milliarden Dollar schweres Hilfspaket für die Branche schnüren. „Die Öl- und Gaskonzerne werden zumindest in der Rohproduktion für das letzte Quartal ein dickes Minus einfahren“, glaubt Wladislaw Below, Ökonom von der Akademie der Wissenschaften.

Die Aktienkurse in Russland brechen ein

Die Folgen der Finanzkrise sind aber auch in anderen Branchen zu spüren. Die Aktienkurse brechen ein. Der weltweite Nachfrageeinbruch belastet den Stahlkocher Severstal, die Autohersteller Awtowas und Kamaz, den Kohlekonzern Mechel – sie alle haben die Produktion zurückgeschraubt. Im September stagnierte die Industrieproduktion, für Oktober rechnen Experten mit einem Minus in zweistelliger Höhe.

Hinzu kommt eine wachsende Kreditklemme. Viele Unternehmen müssen nun für Kredite bis zu 30 Prozent Zinsen zahlen. Die Banken haben bei einem Zinssatz von 22,67 Prozent auf Einjahreskredite im Interbankenhandel massive Refinanzierungsprobleme – und sehen sich mit einem Kapitalabfluss ins Ausland von 50 Milliarden Dollar allein im Oktober konfrontiert. So bleiben nicht nur Investitionen auf der Strecke.

"Russland wird die Krise schlechter überstehen als viele glauben"

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Aus Geldmangel schicken auch Bauherren ihre Arbeiter nach Hause, Autohändler können Fahrzeuge nicht vorfinanzieren, in Lebensmittelläden leeren sich die Regale.

Massenentlassungen beschränken sich zwar bislang auf den Bankensektor: Die Sberbank etwa will ein Viertel ihrer 260.000 Mitarbeiter rauswerfen. Doch wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt steigt, dürfte das rasch den Binnenkonsum abwürgen – zumal die Inflation mit optimistisch geschätzten 13 Prozent hoch bleibt. Damit würde auch die nach dem Energiesektor zweitwichtigste Stütze der Volkswirtschaft ins Wanken geraten.

Indes: So richtig hat die Krise Russland erst im Oktober erwischt.

Bis dahin erlebte das Land noch drei fette Quartale. Insofern kommen die Russen 2008 mit einem blauen Auge davon. Präsident Dmitrij Medwedew rechnet mit einem Wachstum von rund sieben Prozent; der Internationale Währungsfonds prognostiziert 6,8 Prozent. Spätestens 2009 aber dürfte dies anders aussehen. Michail Deljagin vom Zentrum für Globalisierungsprobleme rechnet mit einem Wachstum zwischen null bis drei Prozent.

Der kremlkritische Ökonom: „Russland wird die Krise schlechter überstehen als viele glauben.“ Er kritisiert, dass sich die Politiker auf hohen Öl- und Gaspreisen ausgeruht haben, statt eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu zimmern.

Sicher, Russland ist nicht arm.

Das Land hat noch immer Gold- und Währungsreserven von knapp 485 Milliarden Dollar zur Verfügung.

Doch die Rücklagen sind seit Juli wegen geldpolitischer Interventionen, Rubel-Abwertung und Kapitalflucht um 19 Prozent gesunken. Auch der Überschuss im Staatshaushalt dürfte drastisch zurückgehen: Das Budget, das sich zu 40 Prozent aus Öl- und Gaseinnahmen speist, ist mit einem Ölpreis von 95 Dollar kalkuliert. Finanzminister Kudrin stehen böse Zeiten bevor.

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