Ölpreis Warum Öl zur Ramschware wird - und die Weltwirtschaft verändert

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Tiefrote Spuren in den Bilanzen

Kann so etwas die Industrie retten? Der niedrige Ölpreis hinterlässt tiefrote Spuren in den Bilanzen der Mineralölriesen: Shell verlor im zweiten Quartal 37 Prozent des Nettogewinns, ExxonMobil die Hälfte, bei Chevron betrug das Minus sogar 90 Prozent – und BP machte einen Verlust von 5,8 Milliarden Dollar.

Ist das Leid der Anbieter von Erdöl also die große Freude der Verbraucher, somit beinahe der gesamten deutschen Volkswirtschaft?

Paradoxerweise nicht: Selbst die Automobilindustrie hat Sorgen, deren Produkte noch fast alle auf erschwingliches Benzin und entsprechend billiges Erdöl angewiesen sind. Vor allem, weil Wohl und Wehe ihrer Exportmärkte vom Erdölgeschäft abhängt.

So blicken Hersteller, für die der russische Markt eine große Rolle spielt, mit Schrecken auf die Absatzzahlen in der kriselnden großen Ölnation. Der kollabierte Ölpreis und die EU-Sanktionen infolge des Ukrainekonflikts haben die russische Konjunktur auf Talfahrt geschickt – die Absatzzahlen der Autohersteller brachen massiv ein. Nach herben Verlusten 2014 ist der Automarkt auch 2015 im Keller: 36 Prozent weniger Autos wurden im ersten Halbjahr in Russland abgesetzt. Politische Sanktionen und billiges Öl haben zusammen den Wechselkurs des Rubel verfallen lassen, russische Unternehmen und Privatleute können sich darum viele Importwaren kaum noch leisten.

Im zweitgrößten Automarkt der Welt, den USA, sorgt der niedrige Ölpreis dagegen für gute Stimmung. Ein Benzinpreis von durchschnittlich 68 Euro-Cent pro Liter lockt die Amerikaner in die Autohäuser – und dort direkt zu den großen, durstigen Modellen: Der Verkauf von Pritschenwagen und Geländewagen war im ersten Halbjahr 2015 mehr als zehn Prozent im Plus. Der Absatz spritsparender Pkws dagegen ist leicht rückläufig. Schön ist das für BMW und Mercedes, deren Geländewagen im ersten Halbjahr zweistellig zulegten. Für VW verschärfen sich dagegen die Absatzprobleme, weil der Hersteller in den USA keine Geländewagen baut. Das Unternehmen bleibt auf seinen Passat und Jetta sitzen.

Dass die Autoindustrie, anders als in der Vergangenheit, nicht einhellig den Preisverfall des Öls bejubelt, hat aber noch einen ganz anderen Grund: Die Branche versucht – auch in früherer Erwartung von Ölpreisen jenseits von 100 oder sogar 150 Dollar pro Barrel – sich mit Hybrid-, Elektro- und Wasserstoffautos unabhängiger zu machen von fossilen Brennstoffen. Die Konzernchefs haben Milliardensummen für die Entwicklung alternativer Antriebe freigegeben. Nun müssen sie fürchten, dass die größte technische Revolution in der Geschichte des Automobils auf absehbare Zeit erst einmal vertagt wird.

Vor allem gewerbliche Kunden wie Post, Speditionen oder Taxis, für die wartungsarme und sparsame E-Autos eigentlich ideal wären, könnten angesichts der globalen Ölschwemme als grüne Vorkämpfer ausfallen. Für Umweltpolitiker und -ökonomen ist das der Horror. „Ein niedriger Ölpreis verleitet zur Verschwendung und vor allem zu der irrigen Annahme, dass Öl dauerhaft immer so billig bleibt“, sagt die Umweltökonomin Claudia Kemfert vom Berliner DIW, – „ und das führt zu verminderten Anstrengungen in Sachen Energieeffizienz.“

Ganz anders hatte sich auch Siemens die Sache mit dem Ölgeschäft vorgestellt. Die Münchner stiegen eigens beim US-Unternehmen Dresser-Rand, Ausrüster von Öl- und Gasfirmen, ein. Die aber sind vom niedrigen Ölpreis schwer getroffen. Im ersten Quartal ist Dresser-Rand mit einem Minus von 24 Millionen Dollar tief in die roten Zahlen gerutscht. Siemens klammert sich nun an die Hoffnung, dass niedrige Energiepreise auch Investitionen der Ölindustrie auslösen können: „Das derzeitige niedrige Preisniveau führt dazu, dass die Kunden verstärkt über kostensenkende Maßnahmen nachdenken“, sagt Lisa Davis, Chefin der Siemens-Energiesparte. „Das bringt uns auch neue Geschäftschancen, wenn wir effizienzsteigernde Technologien anbieten.“

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