Österreich Braust der Bahnchef ins Kanzleramt?

Werner Faymann ist Geschichte – Österreichs Sozialdemokraten suchen einen neuen Kanzler. Und wollen wohl Bahnchef Christian Kern befördern. Der Manager hat sich vor allem in der Flüchtlingskrise viel Anerkennung erworben.

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Christian Kern hat sich ein engmaschiges Netzwerk bei Österreichs Sozialdemokraten aufgebaut. Quelle: picture alliance / FOLTIN Jindri

Wien Österreich ist anders. In Deutschland werden Politikerkarrieren mit einem Posten bei der Bahn wie im Fall des ehemaligen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) beendet, in der Alpenrepublik werden sie in dem staatsnahen Betrieb begonnen. Denn Christian Kern, bislang CEO der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), wird offenbar nächster österreichischer Bundeskanzler werden. Er soll den am Montag zurück getretenen Werner Faymann als Regierungschef und SPÖ-Parteivorsitzenden ersetzen, wie Kreise der sozialdemokratischen Partei SPÖ dem Handelsblatt am Dienstag berichteten.

Der ebenfalls als Kanzlerkandidat gehandelte Fernsehmanager Gerhard Zeiler gilt hingegen als chancenlos. Wie Insider berichten, habe der frühere RTL-Vorstandschef nur die Unterstützung der Sozialdemokraten in den Bundesländern Wien, Burgenland und Niederösterreich. Der 60-jährige Wirtschaftsliberale aus dem Wiener Arbeiterviertel Ottakring hat zwar mit dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl einen wichtigen Fürsprecher und verfügt zudem über eine viel internationale Erfahrung. Doch hat Zeiler innerparteilich kein Netzwerk wie Kern. Zeiler, Fernsehmanager beim amerikanischen Medienriesen Time Warner, hält sich derzeit in New York auf, wie sein Sprecher erklärte.

ÖBB-Chef hat seit der Übernahme des Chefsessels bei der Bahn vor sechs Jahren zahlreiche Kontakte geknüpft. „Durch seinen Job als Bahnchef verfügt er natürlich in Österreich über ein enges Netz von politischen Kontakten“, sagt ein SPÖ-Insider. Dazu gehört der steirische Landeshauptmann (Ministerpräsident) Peter Kaiser (SPÖ), der Kern schon sehr früh unterstützte. Als einer seiner größten Förderer gilt der frühere Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ).

Kern machte eine typische Karriere eines Sozialdemokraten in Wien. Nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien wurde er schnell Mitarbeiter und Pressesprecher im Kanzleramt und der Partei. Später wechselte er zum Stromkonzern Verbund, der mehrheitlich im Besitz des österreichischen Staates ist. Dort stieg er in den Vorstand auf. 2010 schaffte der aus dem Arbeiterviertel Simmering stammende Sozialdemokrat schließlich den Sprung auf den Chefsessel.


Standortpakt für Österreich gefordert

Während der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015 erwarb sich der eloquente ÖBB-Chef viel Anerkennung, da der Transport von Tausenden von Migranten und deren Erstversorgung an den Bahnhöfen reibungslos funktionierte. Unbürokratisch ließ er Migranten auch ohne Fahrkarten in die Züge der ÖBB.
Der sportliche Manager, der auf modische Anzüge Wert liegt, ist aber kein klassischer Volkstribun. Das Amt des Regierungschefs wird für den vierfachen Vater, der in zweiter Ehe verheiratet wird, eine komplett neue Erfahrung. „Kern ist in seiner Karriere noch nie durchs Feuer gegangen. Für seine neue Aufgabe wird er Steherqualitäten brauchen“, sagt ein Sozialdemokrat, der den Bahnchef seit vielen Jahren kennt. Die Parteilinke fremdelt mit dem smarten Manager, der durch seine Managementtätigkeit finanziell unabhängig ist.
Der kommissarische SPÖ-Chef Michael Häupl wollte am Dienstag noch keine Namen für eine Kanzlerkandidatur nennen. Der langjährige Wiener Bürgermeister sagte nur: „In einer Woche sind wir fertig, da schlüpft ein schöner Schmetterling aus der Puppe.“ Dann wollen die Sozialdemokraten ihren neuen Vorsitzenden und damit auch Kanzler vorstellen.

Die von den liberalen Neos und der rechtspopulistischen FPÖ geforderten Neuwahlen wird es unterdessen nicht sofort geben. Die SPÖ fürchtet bei einem Urnengang weitere Stimmenverluste, heißt es in Parteikreisen. Die ÖVP hingegen liebäugelt durchaus mit Neuwahlen. Die Konservativen könnten ihr junges politisches Nachwuchstalent, Außenminister Sebastian Kurz, ins Rennen um das Kanzleramt schicken, wird in Wien spekuliert.

In SPÖ-Kreisen in Wien geht man davon aus, dass erst 2017 Wahlen zum österreichischen Nationalrat stattfinden. Die Sozialdemokraten wollen dann vom erhofften Aufschwung durch die neue Regierung unter Kern profitieren. Die reguläre Legislaturperiode in Österreich geht erst 2018 zu Ende.
ÖVP-Chef und kommissarischer Bundeskanzler Reinhold Mitterlehner fordert unterdessen einen neuen Standortpakt für Österreich, um die wirtschaftliche Stagnation des Alpenlandes zu überwinden. Im Mittelpunkt sollen dabei die Themen Deregulierung und Bürokratieabbau stehen. Mitterlehner verlangte am Dienstag auch ein Reformpaket in den Bereichen Bildung, Renten und Gesundheit.

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