Österreich Showdown im Bundeskanzleramt

Die Regierungskoalition in Wien ringt um ein Reformprogramm. Scheitern die Verhandlungen, wäre das das Ende der Regierung unter Kanzler Christian Kern. Im schlimmsten Fall drohen Neuwahlen.

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Der österreichische Kanzler Christian Kern (l, SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) kommen in Wien zusammen. Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft der Regierung. Quelle: dpa

Wien Ganz Österreich blickt derzeit auf den Wiener Ballhausplatz, dem Sitz des Bundeskanzlers. Der ehemalige Tagungsort des Wiener Kongresses dient der rot-schwarzen Regierung bereits seit Donnerstag als Konferenzort, um Österreich quasi neu zu erfinden. Die Koalitionäre der sozialdemokratischen SPÖ und konservativen ÖVP ringen am ehemaligen Dienstsitz von Fürst Metternich über ein umfangreiches Reformprogramm, dass Österreich aus der Krise führen soll. Scheitern die Gespräche, ist die Regierung unter Kanzler Christian Kern (SPÖ) am Ende. Dann drohen Neuwahlen, obwohl die Legislaturperiode regulär erst im Herbst 2018 zu Ende geht.

Die Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP, die auch am Samstag weiter gehen, stehen unterdessen auf Messers Schneide. „Beide Seiten müssen flexibel sein“, sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Freitag. „Da gibt's Momente, da findet man, es läuft alles ganz super, dann gibt es Momente, wo man das Gefühl hat, das steht kurz vorm Platzen“, bestätigte SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder. Kanzler Kern hat bereits seine geplante Israel-Reise abgesagt, um auch am Wochenende mit dem konservativen Koalitionspartner durchverhandeln zu können. Ursprünglich stellte Kern der ÖVP ein Ultimatum bis Freitag.

Das Hin und Her in der Regierung sorgt für eine tiefe Verunsicherung in der Alpenrepublik. „Wenn jetzt nicht eine Einigung mit einen wirklichen großen Reformpaket kommt, wird es eine politische Disruption in Österreich provozieren. Das kann niemand ernsthaft wollen“, sagte Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, dem Handelsblatt. „Neuwahlen sind nicht im Interesse der regierenden Parteien, sie unterstützten nur die FPÖ.“ In Wien gehen viele davon aus, dass nach Neuwahlen zu keiner Neuauflage der rot-schwarzen Koalition angesichts des zerrütteten Verhältnisses der beiden Parteien mehr kommen wird. „Das wahrscheinlichste Modell ist eine Regierung aus SPÖ und FPÖ“, sagt einer den Sozialdemokraten nahestehender Manager am Wochenende. Eine derartige Koalition gibt es bereits im Burgenland.

Die Wirtschaft macht vor diesem Hintergrund Druck auf die Regierung in Wien, sich endlich zu einem Umbau des Landes durchzuringen. „Österreich braucht tiefgehende Reformen, denn die Bürger haben keine Geduld mehr“, warnt der Eigentümer und CEO des Telematik-Konzerns Kapsch AG. „Alles dauert ewig. Niemand kann sich auf etwas einigen. Das muss sich dringend ändern.“


Unternehmen wollen privatisieren

Nach Auffassung der Industriellenvereinigung gehört der Staatsbereich grundlegend saniert, beispielsweise das Gesundheits- und Rentensystem. Nur dann sind nach Auffassung der Unternehmen genügend Mittel frei, um Bürger und Unternehmen zu entlasten. Zum Forderungskatalog der österreichischen Wirtschaft, um den Standort wieder auf Vordermann zu bringen, gehören die Senkung der Lohnnebenkosten, ein Investitionsfreitag für das produzierende Gewerbe, eine Erhöhung der Forschungsprämie für Unternehmen, die Ermöglichung eines 12-Stunden-Tages ohne bürokratische Hürden und Lockerungen beim Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer. „Der Kündigungsschutz für über 50-Jährige ist kontraproduktiv. Wenn ich als Unternehmer nicht kündigen kann, werde ich auch niemanden einstellen“, sagte Kapsch angesichts der hohen Arbeitslosigkeit im Land. „Wir brauchen mehr Investitionsanreize und Steuerentlastungen in Österreich, um wieder zur Spitzengruppe in Europa zu gehören“, sagt Kapsch. Die Steuer- und Abgabenquote von 52 Prozent ist aus der Sicht der Unternehmen zu hoch. Bei der Körperschaftssteuer von 25 Prozent liegt Österreich sogar höher als Schweden. Die Industriellenvereinigung Österreich verlangt daher, die Körperschaftssteuer auf einbehaltene Gewinne von derzeit 25 Prozent nun zu halbieren. „Die österreichischen Unternehmen wachsen, nur nicht in Österreich. Das ist unser Problem“, resümiert Kapsch.

Österreich blieb beim Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahren hinter der europäischen Entwicklung zurück. Das angesehene Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) prognostiziert für dieses und nächstes Jahr ein Wachstum von 1,5 Prozent und 1,4 Prozent. Bundeskanzler Kern hat mit seinen, vor wenigen Wochen vorgestellten Reformvorhaben „Plan A“ versprochen, endlich für mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze zu sorgen. „Wenn die Bundesregierung die Standortbedingungen wirklich verbessert, werden wir wieder an die Wachstumsspitze in Europa kommen“, sagt Kapsch. „Wenn große Schritte durch die Regierung gesetzt werden, können wir schnell positive Effekte sehen.“ Über die großen Schritte streitet die Regierung unter Kern allerdings seit seinem Amtsantritt im Mai vergangenen Jahres.

Auch der am Donnerstag vereidigte neue österreichische Bundespräsident will die Bürger so schnell wie möglich beruhigen. „Der Baumeister, der nur plant und das Bauwerk nicht fertig macht – mit dem werden wir nicht zufrieden sein“, sagt er und meinte damit indirekt Bundeskanzler Kern, der bislang im eigenen Land als der Mann der vielen Worte, aber nicht der Taten gilt. „Die Österreicher warten auf die notwendigen Ergebnisse“, sagte der frühere Wirtschaftsprofessor. Van der Bellen, ehemals Chef der Grünen, will eine Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ nach vorgezogenen Neuwahlen unbedingt verhindern. Die Rechtspopulisten kommen nach jüngsten Umfragen auf 33 Prozent. Die Österreicher sind nach drei Wahlgängen im Fall des Bundespräsidenten längst wahlmüde.

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