Offensive in Idlib Druck auf die letzte Rebellen-Hochburg in Syrien wächst

Im Norden Syriens halten die Rebellen immer noch ein größeres Gebiet. Unterstützt von russischen Luftangriffen rücken die Truppen von Präsident Assad derzeit immer weiter vor. Doch die Offensive birgt Risiken.

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Beirut Idlib ist die letzte große Hochburg der syrischen Rebellen. Doch der militärische Druck auf die Provinz im Nordwesten des Landes an der Grenze zur Türkei wird immer größer. Unterstützt von russischen Luftangriffen und verbündeten Milizen rücken die Truppen von Präsident Baschar al-Assad immer weiter vor. Bei eisigen Temperaturen fliehen deswegen Tausende Zivilisten Richtung Türkei.

Mächtigste Fraktion in Idlib ist die radikalislamische Tahrir al-Scham, ein Bündnis, unter Führung des syrischen Al-Kaida-Ablegers. Nachdem die Terrormiliz Islamischer Staat zum Ende des vergangenen Jahres in all ihren großen Hochburgen besiegt worden war, galt die Provinz als nächstes logisches Ziel. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte vergangene Woche die wichtigsten militärischen Operationen in Syrien gegen den IS für beendet und signalisierte damit, dass sich der Fokus nun auf andere Ziele verschoben hat.

Doch die Idlib-Offensive birgt einige bedeutende Risiken. Mehr als 2,6 Millionen Menschen leben nach UN-Angaben in der Provinz, darunter 1,1 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge. Eine großangelegte Offensive der Regierungstruppen könnte zu vielen Toten in der Zivilbevölkerung führen und die Flüchtlingswelle Richtung Türkei anschwellen lassen.

Die Türkei, die einige Rebellenfraktionen in Syrien unterstützt, hat Militärbeobachter in die Provinz entsandt. Sie sind Teil eines Deeskalationsabkommens mit Russland und dem Iran. Doch die Kämpfe am Boden und die russischen Luftangriffe gehen weiter.

Es ist derzeit unklar, wie weit die laufende Offensive gehen soll. Eine komplette Einnahme der Provinz würde ein langer und blutiger Prozess werden. Vertreter der Opposition sehen derzeit vor allem zwei Ziele: den von den Rebellen gehaltenen Luftwaffenstützpunkt Abu Suhur im Südosten der Provinz sowie die Sicherung der Verbindungsstraße von Damaskus nach Aleppo, die einmal quer durch Idlib geht.

Am Sonntag eroberten Regierungstruppen nach einem Fernsehbericht die strategisch wichtige Stadt Sindschar zurück. Sie liegt rund 20 Kilometer südlich von Abu Suhur. Damit wurde ein großes Hindernis auf dem Weg in Richtung Stützpunkt aus dem Weg geräumt.

In den vergangenen zwei Monaten haben Regierungstruppen bereits mehr als 80 Städte und Dörfer im Norden der Nachbarprovinz Hama eingenommen und sind erstmals seit Mitte 2015 auch wieder nach Idlib selbst vorgedrungen.


Die Sicherung der Verbindungsstraße von Damaskus nach Aleppo

Die Offensive wurde verstärkt, nachdem am ersten Weihnachtsfeiertag Brigadegeneral Suheil al-Hassan, von seinen Soldaten ehrfürchtig „Tiger“ genannt, das Kommando übernommen hatte. Al-Hassan gilt als einer der erfahrensten Offiziere, der das höchste Vertrauen von Präsident Assad genießt. Er hat seine Elitekräfte in dem seit bald sieben Jahren währenden Konflikt zu zahlreichen Siegen geführt - zuletzt mit der Rückeroberung der Stadt Dair as-Saur im Osten des Landes nach monatelangen Kämpfen.

Oppositionsvertreter berichten von Flächenbombardierungen und vielen Opfern der russischen Luftangriffe. Aus ihrer Sicht gilt es jedoch als unwahrscheinlich, dass die Regierungstruppen die gleichnamige Provinzhauptstadt Idlib angreifen werden, weil sie sich dort erfahrenen und bestens ausgerüsteten Aufständischen von Tahrir al-Scham gegenübersähen.

Vieles spricht also dafür, dass Al-Hassans Hauptmission die Sicherung der Verbindungsstraße von Damaskus nach Aleppo ist. Diese ist zwar offiziell unter Regierungskontrolle, doch auch seit der Rückeroberung der von Rebellen gehaltenen Stadtteile von Aleppo im Dezember 2016 kam es dort immer wieder zu Angriffen: vom Osten durch den IS und vom Westen durch die Rebellen. Seit der IS zurückgedrängt wurde, geht es nun vor allem um den westlichen Teil.

Seit Beginn der neuen Offensive an Weihnachten sind laut Oppositionsmedien mehr als 5000 Familien vor den Kämpfen Richtung Norden geflohen - einige in die Stadt Idlib, andere in die Grenzregion zur Türkei. Manche lebten bei bitterer Kälte in Zelten, andere seien komplett obdachlos.

In der vergangenen Woche rückten Regierungstruppen bis auf zwölf Kilometer an den Ort Chan Scheichun heran, wo im vergangenen Jahr mehr als 90 Menschen bei einem Angriff mit dem Giftgas Sarin ums Leben kamen. Experten der Vereinten Nationen und andere Beobachter machten die syrische Regierung für den Angriff verantwortlich. Diese weist die Vorwürfe zurück.

Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien wurden mindestens 43 Zivilisten, 57 Milizionäre und 46 regierungstreue Kämpfer getötet, seit Al-Hassan die Offensive gestartet hat. „Das Regime will den östlichen Teil der Provinz Idlib einnehmen“, sagt der Chef der Beobachtungsstelle, Rami Abdurrahman. „Sein Ziel ist es, jede Bedrohung der Straße von Damaskus nach Aleppo zu beseitigen.“

Al-Hassan genießt nicht nur bei Assad höchstes Ansehen. Als der russische Präsident Wladimir Putin im vergangenen Monat Syrien besuchte, kam er bei einem Treffen auf dem Luftwaffenstützpunkt Hemeimim mit Assad und russischen Offizieren auch mit den General zusammen. „Ihre russischen Kollegen haben mir von Ihrer Arbeit erzählt und dass Ihre Soldaten die Mission effektiv ausführen“, sagte Putin. „Ich hoffe, dass diese Kooperation auch in Zukunft weiter Früchte tragen wird.“

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