Olaf Scholz in Moskau „Putin wird nicht einlenken, bevor er die ultimative Eskalation erreicht hat“

Ukraine-Krise: Scholz heute zu Gast in Moskau. Quelle: dpa Picture-Alliance

Das Treffen mit Wladimir Putin war für Olaf Scholz bislang wohl der schwierigste Termin. Welche Strategie ist die richtige, wenn völlig unklar ist, wie weit die andere Seite wirklich geht? Und welche Lösungen für die Ukraine-Krise sind realistisch? Ein Verhandlungsexperte gibt Einblicke.

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Montag Kiew, Dienstag Moskau: Bundeskanzler Olaf Scholz ist in diplomatischer Mission unterwegs und traf sich nun mit Russlands Regierungschef Wladimir Putin zum Vieraugengespräch. Im Zentrum dieses Antrittsbesuchs: der Ukraine-Konflikt. Worauf kommt es an? Und wie sollte sich der neue Bundeskanzler präsentieren, hat die WirtschaftsWoche den Verhandlungsexperten Matthias Schranner vor dem Moskauer Treffen gefragt.

WirtschaftsWoche: Herr Schranner, Sie sind Experte für Verhandlungstaktik, haben als Polizist etwa mit Entführern gesprochen, die ihren Geiseln die Pistole an die Schläfe hielten. Putin hat 130.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lassen. Kommt Ihnen die Situation bekannt vor?
Matthias Schranner: Das kann man nicht vergleichen. Geiselnehmer agieren aus einer Emotion heraus. Putin verfolgt dagegen ein strategisches Interesse, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu schaffen. Wir wissen nicht, ob er wirklich angreifen will.

Welche Strategie empfehlen Sie, wenn völlig unklar ist, wie weit die andere Seite wirklich geht?
Bei schwierigen Verhandlungen ist es immer so, dass die Gegenseite eine Drohung ausspricht und man nicht weiß, ob sie diese auch durchzieht. Dann ist es immer besser zu deeskalieren. Aktuell kann niemand abschätzen, welche Folgen eine Invasion der Ukraine für Russland, Europa und die USA hätte.

Zur Person

Ex-Kanzlerin Angela Merkel ließ sich von Macho-Gebärden ihrer Gegenüber nie einschüchtern. Hatte sie es als Frau leichter?
Bei Merkel wussten alle, dass sie mit Männlichkeitsritualen keinen Eindruck schinden. Das lag weniger daran, dass sie eine Frau war, sondern weil sie als Gesprächspartnerin respektiert worden ist. Wenn es nur am Geschlecht liegen würde, dann würde man ja nur Frauen hinschicken. Aber jetzt fliegt ja der Kanzler und nicht Annalena Baerbock.

Putin hat an den Drohgebärden aber Gefallen gefunden. Dann funktionieren die ja offenbar aus seiner Sicht sehr gut?
Macht wird über Signale gezeigt, das gehört zur Verhandlungsführung. Das mürrische Gesicht von Putin signalisiert: „Ich lasse nicht mit mir reden“. Gleichzeitig müssen alle zu ihm fliegen, er selbst bleibt in Moskau. Macron hat er an einem extrem langen Tisch empfangen, um zu zeigen, wie weit beide auseinander liegen. Auch die 130.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine sind ein Symbol der Macht.

Wie sollte sich Kanzler Scholz angesichts all dieser Gesten verhalten, wenn er am Dienstag in Moskau mit Putin spricht?
Zunächst muss er klarstellen, in welcher Rolle er auftritt: als Verhandlungspartner. Zuletzt war die Rede davon, dass er als Vermittler nach Moskau fliegt. Das wäre eine andere Rolle, aber Scholz ist ja kein Schlichter zwischen zwei Parteien. Er kann nur als Verhandlungspartner auftreten, weil Deutschland Teil der Nato ist und er eigene Interessen vertritt. Er braucht eine Gegenposition zu Putin und muss dann den Konflikt herbeiführen.

Wie passt das zur Deeskalation, die Sie gerade empfohlen haben?
Eine Verhandlung braucht eine Eskalation. Man muss an den Punkt kommen, wo man sagt: „Ok, wir kommen nicht mehr weiter – was machen wir jetzt?“ Es ist noch viel zu früh zur Deeskalation. Jetzt müsste man eine Gegenposition bestimmen, was Scholz ja macht. Er warnt vor den weitreichenden Folgen. Das ist gut. Er darf noch nicht deeskalieren. Putin wird nicht einlenken, ehe er nicht die ultimative Eskalation erreicht hat.

Für eine Deeskalation ist es laut Verhandlungsexperten Matthias Schranner noch zu früh. Quelle: PR

Wann ist damit zu rechnen?
Am Tag nach den Olympischen Spielen. Während der Spiele wird Putin dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping nicht die Show kaputt machen wollen. Aber der Tag danach ist der Tag, an dem der Westen deeskalieren sollte.

Die Olympischen Spiele laufen noch bis zum 20. Februar. Was müssen wir bis dahin erwarten?
Es wird von beiden Seiten weiter eskaliert. Die westlichen Länder rufen ihre Bürger aus der Ukraine zurück. Das signalisiert Putin, dass er ernst genommen wird. Vielleicht wird ein Flugzeug in ukrainisches Hoheitsgebiet eindringen. Es werden noch mehr Signale kommen.

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Und am Tag nach Olympia?
Dann muss der Westen bereit sein und Putin eine Idee präsentieren. Dann ist Zeit für die finale Verhandlung. Man darf nicht zu früh verhandeln. Wenn man zu früh Kooperationsbereitschaft anzeigt, dann würde Putin alles einstreichen – ohne Gegenleistung.



Und was kommt nach der Eskalation?
Dann wäre es Zeit für eine Vermittlung. Dann könnte etwa die Schweiz als neutraler Vermittler auftreten oder die OSZE.

Welche Lösungen wären möglich?
Ich sehe drei Lösungsansätze: Die Ukraine wird ganz neutral wie die Schweiz. Das wäre möglich, aber unrealistisch. Bei der Österreich-Lösung würde sich die Ukraine nach Westen orientieren, aber nicht Teil der Nato. Oder die Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen bei der deutschen Wiedervereinigung sind das Vorbild.

Und der dritte Lösungsweg?
Wie Deutschland bei der Wiedervereinigung bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen. Die Ukraine würde der Nato beitreten, aber keine Waffen stationieren. Putin hat eines seiner Ziele schon jetzt erreicht. Er ist zurück auf der großen Bühne, Russland ist wieder Weltmacht.

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