Olympische Spiele Kim Jong Uns überraschende Charmeoffensive

Nordkoreas Führer schickt seine Schwester zu den Olympischen Winterspielen. Direkte Gespräche mit den USA könnten den Konflikt entschärfen.

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Nordkorea arbeitet weiter an Raketen und Atomwaffen. Quelle: dpa

Seoul Nordkoreas Führer Kim Jong Un hat sich die größte Überraschung für die Eröffnung der olympischen Winterspiele aufgehoben. Am Mittwoch teilte Südkoreas Vereinigungsministerium mit, dass Kims Schwester Kim Yo-Jong gemeinsam mit dem protokollarischen Staatsoberhaupt Nordkoreas, Kim Yong Nam, am Freitag im Olympia-Stadion von Pyeongchang Platz nehmen soll. Gleichzeitig deutet sich eine leichte Entspannung in der Beziehung zwischen Nordkorea und Südkorea an. Denn de südkoreanische Präsident Moon Jae In will sich mit Kim Yo-Jong treffen. Für Samstag sei ein Mittagessen des südkoreanischen Präsidenten mit den nordkoreanischen Vertretern geplant, bestätigte ein Regierungssprecher.

Dies wäre das erste Mal, dass ein Mitglied der Diktatorendynastie nach Südkorea reist. Und politisch hochrangig ist die erst 31-jährige Kim obendrein. Daheim in Nordkorea ist sie stellvertretende Leiterin der Propagandaabteilung der Arbeiterpartei. Da sollte sie wissen, wie sie in Südkorea medienwirksam den emotionalen Höhepunkt der Spiele bejubeln kann.

Gemeinsam wollen die Koreaner die wachsende Kriegsangst auf der koreanischen Halbinsel durch olympischen Frieden vertreiben. Unten im Stadion werden die Teams der verfeindeten koreanischen Staaten gemeinsam unter einer Fahne einmarschieren – ein Novum bei olympischen Winterspielen. Doch die eigentliche Sensation könnte nun auf den Rängen stattfinden, oder wenigstens in Hinterzimmern der Macht.

Unweit von US-Vizepräsident Mike Pence werden die Gesandten von Nordkoreas Führer sitzen. Und Kim Yong Nam ist als Vorsitzender des obersten Präsidiums des Volkskongresses kein Grüßaugust, sondern gilt als Nordkoreas Nummer 2 oder 3. Kims personelles Aufgebot könnte sich nun auszahlen. Überraschend schürte Pence die Hoffnung, dass sich Vertreter Amerikas und Nordkoreas zu diesem Anlass treffen könnten. Präsident Donald Trump habe immer gesagt, er glaube in Gespräche, erklärte Pence vor seinem Abflug nach Japan und Korea. Er habe zwar um kein Treffen gebeten, so Pence. „Aber wir werden sehen, was passiert.“

Damit scheint auf einmal das Unwahrscheinliche möglich: Der Plan von Südkoreas Präsident Moon Jae-in könnte aufgehen, der Diplomatie im eskalierenden Krieg der Worte zwischen Führer Kim und Präsident Trump wieder eine Stimme zu geben. Seit Monaten hatte er Kim gebeten, ein Team zu senden.

Als der nordkoreanische Führer am ersten Januar in seiner Neujahrssprache einwilligte, ergriff Moon die Chance. Denn die Lage ist kritisch. Der ehemalige US-Vizepräsident Joe Biden hatte sich jüngst besorgt gezeigt, dass die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den streitenden Staaten noch nie so hoch war wie heute. So sehr hatten Kim mit Atombomben- und Langstreckenraketentests und Trump mit angedrohten Militärschlägen die Kriegsstimmung angeheizt.

Selbst im Vorfeld der Spiele wurde in Washington eine Strategie der Nasenstüber, der „bloody nose“, diskutiert. Unter dieser extrem umstrittenen Idee verstehen Washingtons Falken, Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm durch gezielte Militärschläge zurückzuwerfen. Bisher hatten alle US-Präsidenten selbst vor gezielten Angriffen zurückgeschreckt. Denn sie könnten leicht in einen großen Krieg eskalieren, mit hunderttausenden, wenn nicht Millionen Toten.


„Ein kleines Fenster für Verhandlungen“

Immerhin kann Nordkorea schon mit konventioneller Artillerie Teile Seouls in den ersten Stunden eines Konflikts einäschern. Von Raketenangriffen auf andere Städte wie Tokio ganz zu schweigen. Die neusten Testraketen könnten sogar theoretisch einen Großteil des Globus erreichen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte daher bei einem Pressegespräch im Foreign Correspondent’s Club Japan in Tokio: „Wir betrachten die Bedrohung, die von Nordkorea ausgeht, keineswegs nur als regionale Gefahr.“

Umso wichtiger werden die friedlichen Wintersportübungen im südkoreanischen Schnee. „Dank Nordkoreas Teilnahme haben wir während der Spiele nun ein kleines Fenster für Verhandlungen, eine Gnadenfrist“, meint Lee Seong-Hyon, Sicherheitsexperte des Sejong Instituts, einem privaten Thinktank in Seoul, der Südkoreas Diplomaten auf Auslandseinsätze vorbereitet.

Die große Frage sei, ob Moon die derzeitigen innerkoreanischen Gespräche im besten Fall sogar zu einem Dialog zwischen Nordkorea und den USA überführen könne. Dies würde die Lage entspannen. „Wenn es allerdings keine substanziellen Verhandlungen gibt, droht ab April nach dem Ende der paralympischen Spiele ein Rückfall in die Krise“, meint Lee.

Joseph Yun, der amerikanische Sondergesandte für Nordkorea-Politik deutete jüngst auf einem Friedenskolloquium in Tokio an, wie die kommenden Wochen ablaufen könnten. „Bei unserer Politik geht es sehr wohl um eine friedliche Lösung“, sagte er. Mit verschärften Sanktionen und militärischen Drohgebärden übten die USA Druck aus, aber die Tür zum Dialog sei offen. Allerdings wollten die USA glaubwürdige Verhandlungen sehen zwischen Nord- und Südkorea.

Die Alternative deutete Yun ebenfalls an: Wenn die Fortschritte den USA nicht reichen, könnte Trump wieder die großen Manöver beginnen, die Südkorea und die USA mit Rücksicht auf Nordkoreas Teilnahme an den Spielen erst einmal um einen Monat auf April verschoben haben. Die Folge dürfte auch dem US-Diplomaten klar sein: Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass Nordkorea dann noch weiterverhandeln würde. Denn in den Kriegsspielen üben amerikanische und südkoreanische Truppen den Angriff auf Kims Familiendiktatur. Nordkorea wettert daher seit Jahren gegen die Übungen.

Doch nicht nur die Zeit ist knapp. Noch schwieriger ist, die inhaltlichen Klüfte zwischen den beteiligten Streitern zu überbrücken. Schon die Ausgangspunkte scheinen kaum überbrückbar. „Wir sollten uns der Wirklichkeit stellen“, sagte Trumps Nordkorea-Mann Yun. „Wenn es Verhandlungen gibt, müssen die über die Denuklearisierung Nordkoreas gehen.“ Dies sei die Grundlage für jedes reale Engagement mit Nordkorea.

Nordkorea hat seinen frisch gewonnenen Status als Atommacht allerdings für unverhandelbar erklärt. Denn nach der offiziellen Begründung will das Land mit seinem atomaren Arsenal die USA von einem militärischen Sturz des Regimes abschrecken. Der Sturz von Libyens Herrscher Muammar al-Gaddafi wird in diesem Zusammenhang gerne als warnendes Beispiel genannt.


Was hat Kim vor?

An diese Begründung knüpfen China und Russland mit ihrem Vorschlag „freeze for freeze“ an. Nach diesem Modell würden die USA und Südkorea ihre Militärmanöver vorerst vertagen. Als Gegenleistung hört der Norden auf, Atombomben und Raketen zu testen. Die beiden nördlichen Nachbarn Nordkoreas hoffen, damit erst einmal die Lage zu entspannen und langfristig vielleicht den Norden zu einer atomaren Abrüstung zu bewegen.

Die Idee hört sich zunächst einmal vernünftig an. Aber sie hat gleich mehrere Haken. Der erste ist militärisch: Moon wäre vielleicht dazu bereit, die Manöver sogar um ein Jahr zu verschieben. Die USA hingegen wollen die gemeinsamen Übungen mit Südkoreas Truppen nicht einfach ruhen lassen. Die Manöver seien unabdingbar, damit die amerikanisch-südkoreanischen Truppen Nordkorea wirkungsvoll abschrecken könnten, erklärt ein amerikanischer Militärstratege in Tokio. Man schicke ja auch kein Team ohne Training zur Fußballweltmeisterschaft.

Der zweite Grund ist geopolitisch. Ein solcher Schritt liefe auf eine faktische Anerkennung Nordkoreas als Atommacht hinaus. Und dies wollen nicht nur die USA vermeiden, sondern viele Staaten. Denn sie fürchten, dass Nordkoreas Beispiel Schule machen könnte und sich immer mehr Staaten atomar bewaffnen.

Und dann ist da noch eines Grundprobleme im gesamten Korea-Konflikt: Niemand weiß genau, ob die offiziellen Ziele nicht nur taktisch sind und Kim strategisch etwas anderes vorhat. Brian Myers von der Dongseo hat Nordkoreas Propaganda Jahre lang studiert. Nun meint er zu wissen wie Kim sich den „Endsieg“ vorstellt: „Nordkorea strebt eine Wiedervereinigung der Nation unter nordkoreanischer Führung an, was selbstverständlich den Abzug amerikanischer Soldaten und die Eliminierung des südkoreanischen Staates voraussetzt.“

Unterstützt wird Myers Außenansicht durch einen ehemaligen Insider in Kims Regime. Der übergelaufene nordkoreanische Diplomat Thae Yong-ho sagte vor dem außenpolitischen Ausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses, dass Kim nicht nur das wirtschaftlich florierende Südkorea als Bedrohung ansehe. Kim glaube auch, dass Atombomben notwendig seien, um die USA-Truppen von der koreanischen Halbinsel zu vertreiben.

Wenn das die wirklichen Ziele Nordkoreas sind, werden Verhandlungen natürlich sehr schwierig. Doch wegen dieser Unsicherheit über das genaue Zusammenspiel von Kims möglichen strategischen und taktischen Zielen gibt auch so viele verschiedene Lösungsvorschläge. Darum ist es so schwierig, die Staaten wie beim erfolgreichen Atomdeal mit dem Iran auf eine gemeinsame Position zu vereinen und dann mit Sanktionen zum Einlenken zu zwingen.

Neben Russland spielt China dabei die größte Rolle, da Nordkorea vom Handel mit China abhängt. Doch für China sei Nordkorea immer noch eher ein Pluspunkt als eine Last, meinte Steinmeier in Tokio. China war Nordkorea als Puffer zu den USA und Unruheherd durchaus willkommen. Daher hat das Land auch lange mit harten Sanktionen gezögert, meinen Experten. Denn verglichen mit einem Zusammenbruch des Regimes war Nordkoreas atomares Aufrüsten für China lange das kleinere Übel. Inzwischen gibt es zwar Zeichen eines Gesinnungswandels in Peking, aber niemand weiß, wie tief der geht.

Doch diese Unsicherheiten sind kein Grund, Gespräche von vornherein abzulehnen. Denn Kims Regime ist keineswegs monolithisch. Und nur durch Verhandlungen können Südkorea, die USA und damit die Welt herausfinden, welche Spielräume es für friedliche Lösungen gibt. Nur sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Das Risiko bleibt groß, dass der olympische Friede nur eine Episode in einem noch langen Konflikt sein könnte.

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