Oppositionsblatt „Zaman“ Kritik an der Türkei nach staatlicher Übernahme von Zeitung

Die staatliche Kontrolle über die türkische Oppositionszeitung „Zaman“ sorgt für Zündstoff vor dem EU-Türkei-Gipfel. Die EU dürfe Angriffe auf die Pressefreiheit trotz Flüchtlingskrise nicht hinnehmen, lauten Appelle.

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Die türkische Regierung hat die Oppositionszeitung „Zaman“ unter ihre Kontrolle gebracht. Quelle: AFP

Istanbul Die staatliche Übernahme der regierungskritischen Zeitung „Zaman“ hat sowohl in der Türkei als auch im Ausland Proteste wegen Verletzung der Pressefreiheit ausgelöst. Die Zeitung war am Freitag auf einen Gerichtsbeschluss hin unter die Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. In der Samstagsausgabe, der letzten unter der alten Redaktionsführung, stand auf einer schwarzen Titelseite: „Die Verfassung ist ausgesetzt.“

Vertreter der größten Fraktionen im EU-Parlament forderten die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, die Ereignisse an diesem Montag in Brüssel beim EU-Türkei-Gipfel zu thematisieren. Die EU ist jedoch bei der Verringerung der Flüchtlingszahlen dringend auf die Kooperation der Türkei angewiesen.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Türkei noch kurz vor dem rabiaten Vorgehen gegen die Zeitung wegen ihrer Flüchtlingspolitik gelobt. „Ankara hat unter humanitären Gesichtspunkten zuletzt Bemerkenswertes geleistet. Dort sind 2,5 Millionen Flüchtlinge aus der Krisenregion in Syrien aufgenommen worden. Das verdient Anerkennung und nicht Kritik. Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“.

Türkische Polizisten hatten am Freitagabend das Redaktionsgebäude in Istanbul unter dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gestürmt. Sie setzten auch am Samstag Tränengas gegen Demonstranten ein.

„Zaman“ hatte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr eine tägliche Auflage von rund 850.000 Stück (Stand März 2015). Sie war damit die auflagenstärkste Zeitung der Türkei.

Ein „Zaman“-Reporter sagte der Deutschen Presse-Agentur am Samstag, die staatliche Treuhandverwaltung habe den Chefredakteur abgesetzt. Abdulhamit Bilici verließ das Redaktionsgebäude unter Beifall der Mitarbeiter.


Röttgen: Europa werde nicht schweigen

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), verurteilte das Vorgehen der türkischen Staatsführung als schweren Schlag gegen die Pressefreiheit. „Es ist kein Zufall, dass dieser staatliche Angriff auf die Pressefreiheit zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die EU mit der Türkei eine Vereinbarung über die Rücknahme von Flüchtlingen trifft“, zitieren die Funke Mediengruppe und die „Welt am Sonntag“ den CDU-Politiker. Die türkische Führung wünsche sich „das Schweigen Europas zu der Verletzung von Menschenrechten“. Doch Europa werde nicht schweigen, und die Repression in der Türkei werde dauerhaft keinen Erfolg haben“.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, sagte dem „Tagesspiegel am Sonntag“: „Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung an die Europäische Union zu verspielen.“ Der SPD-Politiker kündigte an, das Thema am Montag vor dem EU-Türkei-Sondergipfel bei einem Treffen mit dem türkischen Regierungschef Ahmed Davutoglu anzusprechen. Es sei klar, dass „die EU bei der Einhaltung ihrer Grundwerte keine Abstriche machen wird“.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, beim Brüsseler Gipfel klare Worte zur Pressefreiheit zu finden: „Von diesem Gipfel darf nicht das verheerende Signal ausgehen, dass die EU über jede Menschenrechtsverletzung hinwegsieht, wenn es um Zugeständnisse (der Türkei) in der Flüchtlingspolitik geht.“

„In einer Demokratie sollten kritische Meinungen nicht zum Schweigen gebracht werden, sondern sie sollten bestärkt werden“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, John Kirby, am Freitag in Washington.

Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss, die Zeitung unter staatliche Aufsicht zu stellen, wurde zunächst nicht bekannt. „Zaman“ steht der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahe, der im US-Exil lebt. Gülen war einst ein Verbündeter des islamisch-konservativen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, hat sich mit ihm aber überworfen. Gülens „Hizmet“-Bewegung ist in der Türkei inzwischen zur Terrororganisation erklärt worden.

Erdogan weist regelmäßig Vorwürfe zurück, die Pressefreiheit in der Türkei werde eingeschränkt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten.

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