Ostsee-Pipeline Deutschland und USA erzielen Durchbruch im Streit über Nord Stream 2

In Washington befürchten Politiker beider Parteien, dass Nord Stream 2 Polen und die Ukraine von der Erdgasversorgung abschneiden könnte und Moskau zu viel Macht über die europäische Gasversorgung geben könnte. Quelle: REUTERS

Die Gaspipeline Nord Stream 2 sorgt seit Jahren für massiven Streit zwischen den USA und Deutschland. Nun ist beiden Seiten eine Einigung gelungen. Der Kompromiss soll den angestrebten Neustart in den deutsch-amerikanischen Beziehungen möglich machen.

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Nach jahrelangem Streit haben die USA und Deutschland einen Durchbruch im Konflikt um die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 erzielt. Die Top-Diplomatin Victoria Nuland aus dem US-Außenministerium sagte am Mittwoch bei einer Anhörung im Kongress in Washington, die Einigung werde im Laufe des Tages offiziell vorgestellt werden. Bei den Verhandlungen mit Vertretern der Bundesregierung sei die amerikanische Seite in engen Beratungen mit der Ukraine gewesen. Die beinahe fertiggestellte Ostsee-Pipeline soll russisches Gas nach Deutschland bringen - unter Umgehung der Ukraine, die auf die Einnahmen aus dem Gas-Transit angewiesen ist.

Nuland sagte, Deutschland habe sich in der Einigung unter anderem zu Maßnahmen verpflichtet, „sollte Russland versuchen, Energie als Waffe einzusetzen oder weitere aggressive Handlungen gegen die Ukraine zu begehen“. Das schließe mögliche Sanktionen ein. Vereinbart sei außerdem Unterstützung für eine Verlängerung des 2024 auslaufenden Gas-Transitabkommens durch die Ukraine um weitere zehn Jahre. Man werde außerdem daran arbeiten, die Abhängigkeit der Ukraine vom russischen Gas und den Transit-Einnahmen zu verringern.

Nuland betonte, die Regierung von US-Präsident Joe Biden sei weiterhin der Überzeugung, dass Nord Stream 2 „ein schlechter Deal“ sei, der die Abhängigkeit Europas von russischer Energie verstärke. „Das ist eine schlechte Situation und eine schlechte Pipeline, aber wir müssen helfen, die Ukraine zu schützen, und ich habe das Gefühl, dass wir mit dieser Vereinbarung einige wichtige Schritte in diese Richtung gemacht haben.“

Aus der Ukraine kam allerdings Kritik. Aus dem Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj hieß es am Mittwoch: „Die Entscheidung zu Nord Stream 2 kann nicht hinter dem Rücken all derer getroffen werden, die das Projekt real bedroht.“ Das könne nur bei einem persönlichen Treffen Selenskyjs mit US-Präsident Joe Biden geklärt werden. Das Weiße Haus teilte am Mittwoch mit, ein Treffen Bidens mit Selenskyj sei für Ende August geplant.

Lob kam aus Moskau: „Diese Vereinbarung gibt uns die Möglichkeit, den Bau von Nord Stream 2 in Ruhe abzuschließen und den Betrieb vollständig aufzunehmen“, sagte Wladimir Dschabarow vom Föderationsrat - das Oberhaus des russischen Parlaments - der Agentur Interfax. Zugleich stellte er Bedingungen für eine mögliche Verlängerung des Transitvertrags durch die Ukraine: Die Ukraine sollte sich als „konstruktiver Partner“ unter Beweis stellen. Bei „normalen Bedingungen“ werde niemand Druck ausüben auf die Ukraine.

Merkel spricht mit Putin

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Mittwoch nach Regierungsangaben mit dem russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin - Thema dabei war auch Nord Stream 2. Merkel dürfte Putin den Durchbruch im Streit mit den USA erläutert haben.

Die deutsche Wirtschaft in Russland lobte die Einigung. „Es ist ein gutes Zeichen, dass Washington und Berlin ihren Streit (...) beigelegt haben und die für Europa äußerst wichtige Gasverbindung fertiggestellt werden kann“, sagte der Präsident der deutsch-russischen Auslandshandelskammer (AHK), Rainer Seele. „Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass es solche Leuchtturmprojekte zwischen Russland und Europa gibt.“



Biden und Merkel hatten am vergangenen Donnerstag in Washington einen Neustart in den deutsch-amerikanischen Beziehungen beschworen, nach schwierigen Jahren unter Bidens Vorgänger Donald Trump. Biden sagte dabei, er habe Merkel gegenüber nochmals seine Bedenken bezüglich der Pipeline ausgedrückt. Russland dürfe diese nicht nutzen, um „die Ukraine auf irgendeine Weise zu erpressen“.

Merkel sagte nach dem Treffen, Nord Stream 2 sei ein zusätzliches Projekt und keine Alternative zum Gastransit durch die Ukraine: „Unser Verständnis war und ist und bleibt, dass die Ukraine Transitland für Erdgas bleibt.“ Merkel machte deutlich, man werde „auch aktiv handeln“, falls Russland das Recht der Ukraine auf Gastransit nicht einlösen werde.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, dass jegliche Androhung von Sanktionen „nicht akzeptabel“ sei. Russland werde aber die offizielle Erklärung abwarten, sagte er der Agentur Interfax.

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In den USA gibt es seit Jahren parteiübergreifend Widerstand gegen Nord Stream 2. Die Einigung dürfte im Kongress daher auf starken Widerstand stoßen. Dort lehnen viele Republikaner das Projekt ab und fordern Sanktionen, genauso wie einige von Bidens Demokraten. Kritiker sehen in der Pipeline ein geopolitisches Projekt Russlands, das die Energiesicherheit Europas gefährde. Sie bemängeln außerdem, dass die Pipeline der Ukraine schaden könnte. Kiew ist auf Milliardeneinnahmen aus dem russischen Gastransit angewiesen. Befürworter der Pipeline wiederum werfen den USA vor, nur ihr eigenes, teureres Gas in Europa absetzen zu wollen.

Mehr zum Thema: Die demonstrative Harmonie bei Angela Merkels USA-Besuch kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in den transatlantischen Beziehungen nach wie vor hakt. Knackpunkt: die russische Gaspipeline Nord Stream 2.

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