Pandemiebekämpfung Diese Anreize überzeugen auch den letzten Impfskeptiker

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Impfbereitschaft: Ursachenforschung statt Aktionismus

Justus Haucap, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität (HHU), hat Szechs Vorschläge bereits in die Praxis umgesetzt. Zusammen mit der Düsseldorfer Unternehmensberatung Dice Consult hat er vergangene Woche eine Impflotterie für HHU-Studierende ins Leben gerufen. Mittlerweile haben sich bereits etwa 1500 Studierende registriert. Zu gewinnen gibt es zehnmal 500 Euro – vorausgesetzt, man ist bis spätestens zum Start des Wintersemesters am 11. Oktober 2021 vollständig geimpft. „Das ist Ökonomie in der Praxis“, sagt Haucap. „Die Bundesregierung macht das Impfangebot, wir fördern die Nachfrage!“

Gerade bei Studenten würden monetäre Anreize am besten wirken, meint Haucap. „Viele sind ja im Studium doch eher knapp bei Kasse.“ Zudem sei unklar, ob andere Impfgeschenke wie Gutscheine oder Konzertkarten aufgrund unterschiedlicher Präferenzen für alle Studierenden denselben Anreiz hätten. „Dieses Problem gibt es bei Geld nicht.“

Mit der Lotterie will Haucap nicht nur den Düsseldorfer Studierenden die Impfmüdigkeit austreiben, sondern auch andere Institutionen inspirieren. „Wir würden uns freuen, wenn sich andere Universitäten oder auch Unternehmen etwas ähnliches überlegen, um das Impftempo voranzutreiben.“

Denn: Im Gegensatz zu Lotterien, die von der öffentlichen Hand finanziert werden, wie etwa in Ohio, seien Verlosungen, die Unternehmen oder unabhängige Einrichtungen initiieren, glaubwürdiger. „Das Motiv, warum jemand die Impfkampagne unterstützt, ist den Menschen bei privaten Initiativen meist klarer“, sagt Haucap. Gerade im Fall einer Universität sei das Ziel eindeutig: „Wir wollen nach drei Corona-Semestern endlich möglichst viele Studierende im Hörsaal wiedersehen. Und die Impfung trägt nun mal essentiell dazu bei.“

Dennoch sind hohe finanzielle Anreize für Impfungen problembehaftet. Es könne „zu negativen Auswirkungen auf andere Impfungen oder spätere Pandemien kommen“, sagt Florian Spitzer, Verhaltensökonom am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Für künftige Impfkampagnen entstehe dadurch die Gefahr, dass ein Großteil der Bevölkerung erst finanzielle Entlohnungen abwarte, bevor er sich impfen lasse. Befragungen des „Hamburg Center for Health Economics“ zufolge empfindet zudem fast die Hälfte der Deutschen nachträglich eingeführte Boni als unfair gegenüber denjenigen, die sich bereits zuvor haben impfen lassen. Entgegenwirken ließe sich dem nur damit, dass auch bereits Geimpften derselbe Geldbetrag zuteilwird. „Das wiederum wäre mit weiteren hohen Kosten verbunden“, sagt Spitzer.

Der österreichische Verhaltensökonom schlägt deshalb zunächst andere, weniger kostspielige Schritte vor. Wichtig sei es vor allem, noch stärker in die Ursachenforschung zu investieren, sagt Spitzer – also „herauszufinden, was die Gründe sind, warum Menschen zögern, sich impfen zu lassen“. Diese Gründe könnten sich von Person zu Person stark unterscheiden. So lässt sich erklären, dass manch einem Impfmuffel nicht einmal ein dreistelliger Geldbetrag als Motivation ausreicht, während einen anderen schon die Aussicht auf ein kostenloses Mittagessen überzeugen kann – letzteres zeigte zuletzt eine erfolgreiche Bratwurst-Aktion in der thüringischen Kleinstadt Sonneberg. „Unterschiedliche Gründe verlangen auch unterschiedliche Maßnahmen“, sagt Spitzer.



Die Verhaltensökonomie zeige, dass Menschen kleinere Risiken systematisch überschätzten, sagt der Spieltheoretiker Sebastian Moritz. Die seltenen Nebenwirkungen von Impfstoffen oder der gefühlte Aufwand der Buchung eines Impftermins könnten deshalb bereits ausreichen, damit sich Menschen nicht impfen lassen. Es gebe auch Bevölkerungsschichten, für die das Durchdringen von seitenlangen Aufklärungsbögen und das Risiko, danach ein paar Tage nicht arbeiten zu können, in keinem Verhältnis zu den Vorteilen einer Impfung stünden, sagt Moritz. Impfangebote und -informationen müssten deshalb so niedrigschwellig wie möglich sein.

„Wenn sich Menschen auf Basis ihrer ganz individuellen Kosten-Nutzen-Abwägung nicht impfen lassen, kann der Staat versuchen, dieses Kosten-Nutzen-Kalkül zu verändern“, sagt der Spieltheoretiker. Aber auch: „Wir haben noch nicht alle erreicht, die mit rationalen Argumenten überzeugt werden können.“ Viele noch Ungeimpfte sähen keine relevante Gefahr für sich selbst durch das neue Coronavirus – zumindest keine, die mit der angenommenen Gefahr einer Corona-Impfung vergleichbar sei.

Eine aktuelle Studie aus den USA, wo bereits Ursachenforschung zur Impfmüdigkeit betrieben wird, bestätigt das. Der Hauptgrund, warum sich Amerikaner bislang nicht impfen lassen, ist demnach die Sorge vor den Nebenwirkungen des Impfstoffs. Dahinter folgen Argumente, die versuchen, die von dem neuen Coronavirus ausgehende Gefahr kleinzureden.

Für seinen „Covid-19 Vaccine Monitor“ hat der amerikanische Forschungskonzern „KFF“ Menschen einmal im Januar 2021 und ein zweites Mal im Juni 2021 befragt. Immerhin ein Fünftel derjenigen, die zu Jahresbeginn noch verkündet hatten, sich nicht impfen zu lassen, hatten sich sechs Monate später umentschieden. Ausschlaggebend war bei den allermeisten ein aufklärendes Gespräch mit Familienangehörigen oder dem Hausarzt.

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„Ich habe dann doch gemerkt, dass viele der angeblichen Impffolgen, von denen ich gehört oder gelesen hatte, nicht stimmten“, wird ein 69-jähriger US-Amerikaner in der Studie zitiert, der noch im Januar angegeben hatte, sich „auf keinen Fall“ impfen zu lassen. Ein 28-jähriger Studienteilnehmer gibt sich da etwas pragmatischer: „Freunde, Familie und Arbeitskollegen haben mich belabert“, sagt er.

Mehr zum Thema: Regierungen weltweit verfolgen derzeit ein Ziel: Impfmuffel zum Impfen zu bewegen. Ideen gibt es viele: etwa Geldprämien, geschenkte Hühner oder Schusswaffen. Überblick über die skurrilsten Impfanreize der Welt.

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