Parlamentswahl Frankreich Die neue Macht im Parlament

Frankreich befindet sich im Umbruch. Dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron ist eine Hausmacht in der Nationalversammlung so gut wie sicher. Bisher wurde er gefeiert, doch sein Siegeszug sorgt auch für Bedenken.

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Der Präsident dürfte mit seiner Bewegung „La République en Marche“ (LREM) der große Sieger der zweiten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag in Frankreich werden. Quelle: dpa

Paris Im altehrwürdigen Palais Bourbon von 1722 gegenüber der Place de la Concorde wurden Hinweisschilder aufgestellt, auf denen „Garderobe“ oder „Willkommensrundgang“ steht. Sie sollen dafür sorgen, dass sich niemand in dem verwinkelten Gebäude verirrt. Die Nationalversammlung hat sich damit schon auf den Empfang der neuen Abgeordneten von Emmanuel Macron vorbereitet. Denn der Präsident dürfte mit seiner Bewegung „La République en Marche“ (LREM) der große Sieger der zweiten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag in Frankreich werden. Bisher wurde er gefeiert, doch sein Siegeszug sorgt auch für Bedenken.

Laut einer Elabe-Umfrage erklärten 61 Prozent der Franzosen, sie hoffen, dass der zweite Wahlgang weniger Sitze für Macron im Parlament bringt, als erwartet. 53 Prozent betonten gar, dass sie sehr besorgt sind. Dabei ist es gar nicht ungewöhnlich in Frankreich, dass der Staatschef eine komfortable Mehrheit hat. Doch bei Macron beunruhigt es die Franzosen, zu blitzschnell war sein Aufstieg, zu sehr hat er die alte Welt zum Einsturz gebracht. ´

Im ersten Wahlgang lag LREM mit über 32 Prozent vorn. Laut einer Opinionway-Umfrage könnte Macron mit seinen Modem-Verbündeten im zweiten Wahlgang auf 440 bis 470 Sitze von 577 im neuen Parlament kommen, davon die von François Bayrou geführte Zentrumspartei auf 50 bis 60. Vor einigen Tagen wurde als Obergrenze noch von maximal 455 ausgegangen. Die bisher regierenden Sozialisten könnten nur noch 20 bis 30 Sitze erhalten, die Konservativen 70 bis 90 Sitze, die Linke La France Insoumise 15 bis 20 Sitze und der rechtsextreme Front National nur einen bis fünf Sitze. In Stichwahlen gegen die Konservativen könnte LREM 58 Prozent der Stimmen erlangen, gegen den FN 60 Prozent, gegen La France Insoumise 59 Prozent.

Es zieht dann eine völlig neue Riege von Amateuren ein, die das Land verwalten soll. Viele Experten darunter, beispielsweise Ärzte oder Wissenschaftler, doch nur wenige von ihnen sind wirklich in ihrem Wahlkreis verankert. Nun müssen diese Neulinge in die Politikwelt eingeführt werden. Ab Juli soll es Ausbildungen, eine Art Crashkurs, für sie geben, gab die Nationalversammlung bekannt. Sie müssen die Prozeduren und Regeln im Parlament lernen. Die Hälfte der Kandidaten sind Politlaien, die Macron alles verdanken. Er hat seine Bewegung, zu der mittlerweile 364.000 Anhänger gehören, strikt von oben fast ein wenig monarchistisch organisiert. Nach dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen waren es allein 44.000, die neu dazu gestoßen sind. „Diese Armee von politischen Neulingen schützt vor Rebellion. Es wird Dilettantismus geben, aber weniger Parteitaktik“, sagte ein Vertrauter von Macron.

Unter den Kandidaten sind so schrille Persönlichkeiten wie die ehemalige Stierkämpferin Marie Sara (52), der geniale Mathematiker und Physiker Cédric Villani (43), der mit einer großen Spinnenanstecknadel am Anzug und seinen halblangen Haaren aussieht wie ein moderner Dandy. Oder Ökonom Hervé Berville (27), adoptiert aus Ruanda, der Frankreichs Eliteschulen besucht hat. Wie die vielen anderen, die weniger auffällig sind, verbindet sie eins: Sie sind Macron-konform, sie schätzen seinen Pragmatismus und seine Zukunftsvision des Fortschritts durch Reformen.


Wie mächtig sollte der Präsident werden?

Und genau diese Konformität verbunden mit Macrons Machtfülle als Präsident mit einer starken Mehrheit im Parlament bereitet in Frankreich Sorgen. „Alle Macht für Macron?“ fragt das konservative „Figaro Magazine“ auf dem Cover und stellt dazu das Foto eines majestätisch guckenden Macron, der auf einem goldenen Stuhl thront. Damit drückt die Zeitschrift genau das aus, was viele in diesen Tagen beunruhigt. Überall wird diskutiert: Wie mächtig sollte der Präsident werden? Gibt es dann überhaupt noch eine handlungsfähige Opposition im Parlament?

Diese Fragen stellen Frankreichs Oppositionspolitiker, die Republikaner, die Linken und vor allem die weit abgeschlagenen Sozialisten. So sagte die ehemalige sozialistische Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem: „Mit einer zu großen Mehrheit werden wir kaum noch eine Opposition haben.“ Die verschmähten Politiker riefen auch aus Eigeninteresse dazu auf, im zweiten Wahlgang gegen Macrons Übermacht im Parlament an die Urnen zu gehen. Doch sie geben damit auch eine Stimmung im Volk wieder. Viele ließen sich von dem Erneuerer mitreißen, der zu einem Amtsantritt betonte, er wolle das Selbstvertrauen seiner Landleute wieder stärken.

Mit der Macht kommt auch das Geld für Macrons Bewegung. Für viele Wählerstimmen bekommen die Parteien viel Geld, bei den Parlamentswahlen gibt es 1,42 Euro pro Wählerstimme vom Staat in die Parteikasse. Das sind für LREM fünf Jahre lang neun Millionen Euro pro Jahr. Die anderen Parteien, vor allem die Sozialisten, müssen sich Sorgen machen. Viele fragen schon in Frankreich: „Sind sie pleite? Müssen sie ihren Parteisitz verkaufen?“

Frankreich ist im Umbruch, die traditionellen Parteien liegen am Boden und Macron geht rasant bei seinen ersten politischen Unternehmungen vor. In der Woche zwischen den Wahlen brachte er das Gesetz zur „Moralisierung der Politik“ auf den Weg, das Interessenkonflikte wie im Fall von François Fillon verhindern soll, der seine Frau beschäftigte.

Als nächstes ist das umstrittene Arbeitsgesetz an der Reihe, das den französischen Arbeitsmarkt liberalisieren soll. Auch die Reformen beunruhigen die Franzosen. Sie haben Macron vor allem deshalb gewählt, weil er die alte Politklasse aus dem Rennen geworfen hat, die sie als korrupt und unfähig empfanden. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie seine Reformen unterstützen werden, zumal über 51 Prozent der Franzosen gar nicht an die Urnen gegangen sind. Die Gewerkschaften haben schon Proteste gegen die Reform des Arbeitsrechtes angekündigt. Schon im vergangenen Jahr wurde auf den Straßen heftig gegen die ersten Veränderungen des Arbeitsrechtes protestiert. Dann wird sich zeigen, was von der derzeitigen Macron-Begeisterung übrig bleibt.

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