Pensionierung polnischer Richter Polens oberste Gerichtsvorsitzende kommt zur Arbeit – obwohl die Regierung sie in Pension schickt

Eine polnische Richterin darf nicht mehr arbeiten, doch sie wehrt sich gegen die Justizreform der Regierung. Auch die Kritik der EU hält an.

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Straßburg/Warschau Die Vorsitzende des Obersten Gerichts in Polen, Malgorzata Gersdorf, hat ihre erzwungene Pensionierung durch die nationalkonservative Regierung vorerst ignoriert. Die 65-Jährige erschien am Mittwoch an dem Warschauer Gericht, obwohl für sie nach einem neuen Gesetz der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit PiS am gleichen Tag der Ruhestand begann.

„Ich trete als Verteidigerin des Rechtsstaats auf“, sagte Gersdorf vor rund 1500 Menschen, die gegen Zwangspensionierungen von hohen Richtern protestierten. Gersdorf zufolge ist die Amtszeit der Juristen verfassungsrechtlich geschützt und kann von den Regierenden nicht gekürzt werden.

Nach einem umstrittenen Gesetz der Nationalkonservativen müssen Richter des Obersten Gerichts in Polen seit diesem Mittwoch bereits mit 65 statt - wie bisher - 70 Jahren in den Ruhestand gehen. Wer im Amt bleiben will, muss dies im Vorfeld bei Staatspräsident Andrzej Duda beantragen. Dies taten laut Gerichtsangaben 16 der von den neuen Pensionierungsvorschriften betroffenen Richter.

Bis Duda über ihre Anträge entscheidet, bleiben sie laut Präsidentenkanzlei im Amt. Elf Juristen, die nun keinen Antrag stellten, gingen laut Präsidentenkanzlei in Pension - dazu zählt demnach auch Gersdorf.

Kritiker befürchten, die Regierenden könnten durch die früheren Pensionierungen missliebige Richter aus dem Amt entfernen. „Zerstören Sie nicht die demokratische Kultur in Ihrem Land!“, forderte der Vorsitzende der europäischen Sozialdemokraten, Udo Bullmann (SPD), am Mittwoch in Straßburg nach einer Rede des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. „Polen muss zurück ins Zentrum der Europäischen Union kommen.“ Viele Abgeordnete hatten bei der Debatte mit Morawiecki Schilder mit der Aufschrift „Rechtsstaat“ vor sich aufgestellt.

„Warum entlässt Ihre Regierung Richter wegen deren politischer Meinung?“, fragte der Vorsitzende der Christdemokraten im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU). Wenn Polen seine demokratischen Errungenschaften nicht bewahre, werde Europa das übernehmen.

Auch die EU-Kommission warnte wiederholt vor Einschnitten in die Unabhängigkeit der polnischen Justiz. „Wenn der Rechtsstaat systematisch bedroht ist, dann können wir nicht einfach die Augen davor verschließen, wir können nicht sagen, dass das ein rein nationales Problem ist“, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis am Mittwoch.

Die EU-Behörde, die bereits ein Sanktionsverfahren wegen Gefährdung von EU-Grundwerten gegen Polen führt, hatte am Montag ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Morawiecki behauptete in Straßburg, die Richter in seinem Land könnten heute unabhängiger arbeiten als vor den Reformen. „Polen ist ein stolzes Land, bitte erteilen Sie uns keine Lehren!“

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