Welche drängen sich denn auf?
Dorn: Mich beschäftigt etwa der technologische Wandel. Haben wir all die Maschinen, die biotechnischen Optimierungsmethoden, die Digitalisierung noch im Griff – oder steuern sie mittlerweile uns? Da herrscht bei mir eine große Ratlosigkeit. Weshalb ich Politiker auch immer für ihre Dienste verteidige, denn ich möchte die Antworten nicht geben müssen.
Halten wir fest: Der Kanzleramtschef starrt auf die öffentliche Meinung. Der Regisseur will keine Revolution, die Publizistin ist glücklich, wenn sie Fragen formuliert. Warum so mutlos?
Altmaier: Herrgott, was für Zerrbilder! Es gibt nun mal kein Buch, das unser Allgemeinwohl definiert, deshalb haben wir die Demokratie als ewigen Prozess seines Aushandelns – sie ist ja selbst das Ergebnis eines langen Kampfs. Politik, Kultur und Gesellschaft stehen in einem osmotischen Austausch. Nichts daran ist mutlos, es ist geradezu notwendig. Stellen wir uns doch nur kurz eine Welt vor, in der das nicht gelten würde – vielen Dank auch.
Also noch einmal die Machtfrage: Wie viel Autonomie haben Sie, wie viel Raum zur Gestaltung Ihrer Interessen – und zur Veränderung der Welt?
Dorn: Wenn ich schreibe, habe ich ein Maß an Autonomie, das unvergleichlich ist. Kein Verlag hat mich bislang ohnmächtig gemacht. Was das große Ganze angeht, stelle ich mir aber in der Tat die Frage, wohin unsere Reise geht, wenn Gott und Schicksal gar keine Rolle mehr spielen sollen. Ja, unser ganzer Zivilisationsprozess ist ein Aufbäumen gegen Unmündigkeit, ein Kampf für Selbstbestimmung, auch gegen die Grenzen der Natur. Das ist die Lehre des Prometheus: Du musst nicht winselnd in der Ecke liegen, Mensch, du selbst hast die Mittel, dein Schicksal zu bestimmen.
Ostermeier: Kommt jetzt das Aber? Für das Überbringen dieser Botschaft wird Prometheus schließlich bestraft.
Dorn: Es gibt kein Zurück mehr. Das ist das spezifisch Menschliche: diese Spannung zwischen Unterworfensein und Gestaltungsdrang. Deshalb wird mir angst und bange, wenn ich ins Silicon Valley schaue: Wie dort an der totalen Steuerbarkeit des Lebens gearbeitet wird, befremdet mich zutiefst. Dabei ist dieser Wandel eben keine Naturgewalt, es ist eine Menschengewalt.
Altmaier: Sehen Sie: Das Gute muss erkämpft werden. Ich teile Ihren Pessimismus ohnehin nicht. Ich glaube, die Digitalisierung hat mehr Gutes als Schlechtes gebracht. Der Zugang zu Wissen ist unbeschreiblich groß geworden. Und – im Gegensatz zu früher – für alle. Über Twitter erreichen mich heute Bürger direkt, die mich einst allenfalls auf der Mattscheibe hätten sehen können. Das ist keine Unterdrückung, sondern Ermächtigung.
Ostermeier: Aber die Richtung stimmt trotzdem ganz und gar nicht. Und ich meine auch, überall ein Unbehagen an dieser neuen Kultur zu spüren, das sich Raum verschafft.
Altmaier: Woran machen Sie das fest?
Ostermeier: An Donald Trump. An 30 Prozent für Marine Le Pen. Am Brexit. Da ist doch – noch mal Shakespeare – alles aus den Fugen. Wenn wir uns einig sind, dass die durch und durch technologisierte Welt wahnsinnige Abgründe und Risiken birgt – dann will ich nicht morgen von den Falschen regiert werden.
Dorn: Der Level der Angst steigt. Alles beschleunigt sich so massiv. Früher sind Menschen noch in einer Welt groß geworden, die der ihrer Großeltern sehr verwandt war. Das ist vorbei. Meine Großmutter würde diese Welt nicht wiedererkennen.
Hat der Umstand, dass sich so viele Wähler von etablierten Parteien und ihren führenden Köpfen nicht mehr repräsentiert fühlen, dann gar nichts mit den Repräsentanten selbst zu tun?
Ostermeier: Oh doch! Die Welt macht uns schwindlig, und die bekannten Köpfe können uns nicht mehr neu orientieren. So entsteht das Vakuum, das die Populisten füllen.
Herr Altmaier, heißt das, Sie haben versagt?
Altmaier: Was erwarten Sie jetzt für eine Antwort? Gerade Deutschland erweist sich doch als sehr stabil, die Volksparteien erfreuen sich vergleichsweise großer Zustimmung, die AfD ist bereits wieder auf dem absteigenden Ast.
Dorn: Aber Angela Merkel hat das tödliche Wort von der „Alternativlosigkeit“ geprägt. Das bedeutet so viel wie: Ich bin nicht frei in meiner Entscheidung.