Einigung nicht in Sicht: Argentinien droht Staatspleite
Der Einzug ihrer Nationalmannschaft ins WM-Finale, mit dem die meisten Argentinier nicht gerechnet hatten, war eine willkommene Ablenkung. Nun muss sich das Land wieder dem Alltag widmen – und der ist nicht weniger dramatisch als das Endspiel im Maracanã-Stadion: Argentinien steht zwölf Jahre nach seinem aufsehenerregenden Zahlungsstopp erneut am Rande eines Crashs.
Damals hatte das Pampaland seine Zahlungen auf 100 Milliarden Dollar Auslandsschulden eingestellt; es war eine der größten Staatspleiten aller Zeiten. In deren Folge strich die Regierung den Gläubigern in zwei Umschuldungsrunden 70 Prozent ihrer Anleihewerte.
Heute ist die Lage ähnlich vertrackt – doch diesmal für Argentinien. Hedgefonds haben das Land in den USA erfolgreich auf die vollständige Zurückzahlung ihrer Kredite verklagt. Sie wollen sich nicht mit den angebotenen 30 Prozent der Kredite abspeisen lassen. Argentinien muss nun für deren Tilgung und die aufgelaufenen Zinsen vollständig geradestehen – und kann erst dann seine anderen Schulden zurückzahlen.
Keine Kredite mehr
Noch lehnt Präsidentin Cristina Kirchner dies ab. Doch wenn die viertgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas ihre Gläubiger nicht bis zum 31. Juli bezahlt, ist das Land von den internationalen Finanzmärkten isoliert. Pensionsfonds und andere Großinvestoren dürfen Staaten, die von den Ratingagenturen als Zahlungsausfall eingestuft werden, keine Kredite mehr geben. Nicht mal mehr von der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bekäme Argentinien dann Geld. Es wäre die vierte Zahlungskrise Argentiniens in drei Dekaden – und wieder drohen katastrophale Folgen: Bereits jetzt steckt das Land in der Stagflation. Die Wirtschaft dürfte 2014 im besten Falle stagnieren. Gleichzeitig könnte die Inflationsrate bis Jahresende auf rund 45 Prozent hochschnellen, warnt die Investmentbank JP Morgan. Bei einem Default droht eine tiefe Rezession wie 2002, als die Wirtschaft infolge des Zahlungsstopps um 20 Prozent schrumpfte.
Damit nicht genug: Die Devisenreserven sind auf 28 Milliarden Dollar gesunken – vor zwei Jahren waren es fast doppelt so viel. Eine leere Devisenkasse ist für Argentinien hochriskant – ohne Dollar kann die Regierung keine Medikamente, Lebensmittel oder Treibstoffe importieren.
Es sieht also schlecht aus für das Pampaland. Wieder mal. Wie kein anderes Land erlebt Argentinien regelmäßig schwere Krisen – und das schon seit einem Jahrhundert. Seine historische Konjunkturkurve gleicht einem Herzdiagramm. In dessen Verlauf ist aus Argentinien, der einstigen Blüte Südamerikas, ein Krisenstaat geworden, mit instabilen Institutionen, einer ineffizienten Wirtschaft und chaotischen Politik.
Vor einem Jahrhundert installierte das britische Luxuskaufhaus Harrods seine erste überseeische Auslandsfiliale in Buenos Aires. In der Hauptstadt fuhr die erste U-Bahn Südamerikas. Im Teatro Colón sang Caruso. Die Argentinier waren reicher als die Franzosen oder Deutschen. Seitdem geht es langsam, aber stetig bergab. Es gäbe vier Arten von Ökonomien weltweit, sagt der Wirtschafts-Nobelpreisträger Simon Kuznets: „Entwickelte und unterentwickelte Staaten, Japan – und Argentinien.“ In dieser Sonderrolle sehen sich die Argentinier auch selbst: Es gibt wenige Nationen, die ihren Abstieg so leidenschaftlich, ja fast genussvoll analysieren und sezieren – und denen es dabei noch gelingt, sich als einzigartig darzustellen. Argentinier seien Italiener, die Spanisch sprechen, gerne Engländer wären und glaubten, in Paris zu leben, spottete der Schriftsteller Jorge Luis Borges.